Galileo Galilei soll gesagt haben, das Buch der Natur sei in der Sprache der Mathematik geschrieben. Er und andere Forscher stellten einen Bezug von gewissen Naturphänomenen zu Zahlenfolgen her. Berühmt ist etwa Fibonaccci, der schon im 13. Jahrhundert das Wachstum einer Kaninchenpopulation mit einer relativ simplen Zahlenfolge beschrieb. Diese „Fibonacci-Folge“ steht neben vielen anderen Phänomenen auch in Zusammenhang mit der Verteilung der Kerne im Samenstand der Sonnenblume, in der Größenverteilung der Kammern urzeitlicher Kopffüßer, etc.

KaktusFibonaccizahlen bei der Anordnung von Stacheln eines Kaktusses. Die Anordnung der Stacheln nach Fibonaccizahlen sorgt für eine optimale Flächennutzung.
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Dennoch ist relativ unbekannt, dass mathematische Methoden zu großen Fortschritten in den Lebenswissenschaften führen können. Daher wurde bereits Anfang des Jahres 2018 das „Jahr der Mathematischen Biologie“ ausgerufen. Mit der Initiative wollen die Ideengebenden Wissenschaft und Gesellschaft die wachsende Bedeutung mathematischer Methoden für die Biologie und die Lebenswissenschaften ins Bewusstsein rufen und den wechselseitigen Einfluss möglichst noch verstärken. Die Anwendung mathematischer Methoden in der Biologie erlaubten völlig neue Interaktionen zwischen diesen Disziplinen und seien auch eine große Quelle neuer interessanter mathematischer Probleme, so die Initiatoren Europäische Mathematische Gesellschaft (EMS) und die Europäische Gesellschaft für Mathematische und Theoretische Biologie (ESMTB).

2018 06 07 YMaBioTatsächlich fanden seit Januar bereits über 20 Konferenzen, Workshops und öffentlichkeitswirksame Aktivitäten zum Thema statt, beginnend mit einer Auftaktveranstaltung im finnischen Joensuu. Auf einem Workshop des Lorentz Centers im niederländischen Leiden wurde es dann konkreter: Dort wurden Forschungsansätze diskutiert, die Ausbreitung bestimmter Krebszellen im Körper mittels (evolutionärer) Spieltheorie zu verstehen. Anfang Februar ging es dann auf einem Workshop in Turin um die Frage, wo in Biologie und anderen Naturwissenschaften die Mathematik dynamischer Systeme zur Anwendung kommen könnte. Auch Mikrobenwachstum und -adaption lassen sich mit mathematischen Methoden beschreiben und simulieren, wie auf einem Workshop des Lorentz Centers Anfang März eindrucksvoll gezeigt wurde; wie auch bei einem mathematischen think tank am Amsterdam Institute for Advanced Study (IAS) zur Wirt-Mikrobiom-Beziehung. Bis Jahresende sind ein Dutzend weiterer einschlägiger Workshops und Konferenzen zu diesem jungen und spannenden Forschungsgebiet geplant.

Thomas Vogt

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KaktusOb Sonnenblumen, Tannenzapfen oder Kakteen: Bei zahlreichen Beispielen aus der Pflanzenwelt tauchen Fibonacci-Zahlen auf, wenn es um Spiralförmige Anordnungen geht. Aber warum eigentlich?Die markierten Spiralarme wickeln sich von Stachelknoten zu Stachelknoten scheitelabwärts. Je nach Auslaufwinkel besteht ein Wirbel mal aus acht, mal aus dreizehn und mal aus \(21\) Spiralarmen. Dass die Anzahl immer eine Fibonaccizahl ist, ist kein Zufall. So verteilt, kommen sich die Stacheln am wenigsten in die Quere.

Die Verteilung der Stacheln hängt davon ab, in wie oft die Pflanze die Stacheln pro Umlauf beim spiralartigem Wachsen bildet. Der Winkel, indem sich neue Stacheln bilden kann mit \(r \cdot 360°\) beschrieben werden, wobei \(r\) irgendeine Zahl ist. Ist \(r\) bespw. \(\frac{2}{5}\), bildet sich alle \(\frac{2}{5} \cdot 360°=144°\) ein Stachelknoten. Dies hätte zur Folge, dass sich fünf Linien an Stachlknoten bilden würde; der zur Verfügung stehende Platz würde dann offensichtlich nicht optimal genutzt werden. Ist im Allgemeinen die Zahl \(r\) nah an einer rationalen Zahl \(\frac{p}{q}\) würde man \(q\) klar unterscheidbare Spirallinien erkennen. Je klarer eine Spirallinie erkennbar ist, desto schlechter wird der Platz genutzt. Irrationale Zahlen, die sich gut mit Brüchen annähern lassen sind daher als Wahl für die Zahl \(r\) ungeeignet. Um die Stacheln möglichst platzsparend anzuordnen, ist daher eine Zahl \(r\) gesucht, die sich möglichst schlecht mit irrationalen Zahlen annähern lässt. Diese Zahl \(r\) ist der sogenannte goldene Schnitt \(\varphi\) mit \(\varphi = \frac{1+\sqrt{5}}{2}\). Der goldene Schnitt löst die Gleichung \(\varphi=1+\frac{1}{\varphi}\), welches zu rekursiv zu folgender Kettenbruchentwicklung führt:
\begin{align*}\varphi=1+\frac{1}{1+\frac{1}{1+\frac{1}{1+\frac{1}{1+\ddots}}}}\end{align*}

An der Kettenbruchentwicklung von \(\varphi\) kann man erkennen, warum der goldene Schnitt der ideale Kandidat für die Zahl \(r\) darstellt: Bei jeder anderen irrationalen Zahl taucht irgendwo in der Liste der Teilbrüche eine Zahl auf, die größer als 1 ist; diese Zahl würde daher nicht besser mit Brüchen angenähert werden können als der goldene Schnitt. Der resultierende Winkel \begin{align*} \Psi = \varphi \cdot 360° \approx 582,49° \sim 222,49°\end{align*}
wird auch häufig goldener Winkel genannt.

fibsprizwei mögliche Stachelverteilungen, die eine von \(r=\sqrt{3}\) und die anderen von \(r=\varphi\) erzeugt. Die Verteilung  ist im rechten Bild ideal, da der zur Verfügung stehende Platz optimal genutzt wird. (eigene Abbildung, erzeugt mit Geogebra).

In der Abbildung oben sieht man zwei Stachelknotenverläufe, wobei der eine von \(r=\sqrt{3}\) und der andere von \(r=\varphi\) erzeugt wurde. Im linken Teil des Bildes lassen sich klare Linienverläufe erkennen, während die Stachelknoten im rechten, von \(r=\varphi\) erzeugten Verlauf gleichmäßig verteilt sind. Die Flächennutzung ist also ideal.

Wenn man die Kettenbruchentwicklung von \(\varphi\) nun bis zu einer konkreten Stelle auswertet, erhält man die folgenden Brüche: \(1\), \(\frac{3}{2}\), \(\frac{5}{3}\), \(\frac{8}{5}\), \(\frac{12}{8}\) und so weiter. Die Nenner und Zähler dieser Brüche sind gerade die Fibonacci-Zahlen. Da die Anzahl der Spirallinien der Stacheln gerade die Zähler der Brüche sind, mit der die Zahl \(r\) angenähert werden, findet man die Fibonacci-Zahlen in der Stachelverteilung des Kaktusses wieder.

Der goldene Winkel taucht in der Pflanzenwelt wegen der oben beschriebenen optimalen Eigenschaften in vielfältiger Weise auf: Pflanzen bilden ihre Blätter und Bäume ihre Äste in diesem Winkel aus, um die Sonneneinstrahlung optimal zu nutzen; ein anderer Winkel würde dazu sorgen, dass sich Blätter bei Sonneneinstrahlung mehr im Wege stünden. Sonnenblumen bilden Ihre Kerne im Inneren der Blüte nach dem obigen Muster aus. Ebenfalls findet man dieses Muster beim Tannenzapfen und bei der Ananas.

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