Sind Matheleistungen eine Frage der Einstellung? Ja, behauptet eine Forschergruppe um Jo Boaler von der Stanford University im Fachmagazin Frontiers in Education. In der neuen Studie zeigten Probanden gemessen an einer Kontrollgruppe signifikant bessere Lernerfolge, mehr Ehrgeiz und positivere Einstellungen zur Mathematik, wenn sie in einem Online-Kurs Vorurteile über ihre Potenziale im Fach hinterfragten. Die Ergebnisse würden zeigen, dass Probanden durch den Kurs entwicklungshemmende Geisteshaltungen lockerten und seltener resignierten.

Es ist eine verbreitete Annahme, dass es in Mathematik nur Naturtalente und notorische Nullchecker gibt. Entweder, oder. Und ohne „Mathe-Gehirn“ ist alles Pauken vergeblich. Für Boaler sind dies „schädliche und durchdringende Mythen über das Lernen von Mathematik“, die sich von klein auf in uns einnisten. Kann man sie korrigieren?

Boaler und ihr Team verfolgten fünf Monate lang die Entwicklung von rund tausend kalifornischen Schülerinnen und Schülern aus den Klassenstufen sechs bis acht. Einige davon gingen wie gewohnt in den Unterricht, während andere zusätzlich einen Online-Kurs, einen sogenannten MOOC (massive open online course), durchliefen. In sechs etwa halbstündigen Videos lernten Letztere motivierende Ideen kennen, etwa, dass Mathematik überall sei, kreativ sei und jeder sie bis zu einem hohen Niveau lernen könne. Die Kursteilnehmer diskutierten die Ideen untereinander und arbeiteten an mathematischen Aufgaben. Zu Beginn und am Ende der Studie befragten die Wissenschaftler die Lehrer nach dem Engagement beider Schülergruppen. Die Schüler sollten über ihre Einstellungen zur Mathematik Auskunft geben. Zudem testeten die Forscher die mathematischen Fähigkeiten der Schüler mit SBAC, einem in den USA verbreiteten Leistungstest. Kontrollgruppe waren jeweils Klassen mit gleicher Lehrperson, um deren individuellen Einfluss auszuschließen. Ergebnis: Am Ende waren die Schülerinnen und Schüler, die den Kurs belegt hatten, der Kontrollgruppe in allen gemessenen Bereichen voraus.

https://www.frontiersin.org/files/Articles/367600/feduc-03-00026-HTML/image_m/feduc-03-00026-t009.jpgAuthors: Boaler, Dieckmann, Pérez-Núñez, Sun and Williams; CC-BY

"Die Untersuchung stellt einen deutlichen Zusammenhang zwischen der Einstellung der Schülerinnen und Schüler und ihren Lernerfolgen fest", so die Autoren. Es sei damit gezeigt, dass die Arbeit an der Schnittstelle von Mathematik und dem Blick auf die eigene Lernfähigkeit zu besseren fachlichen Leistungen, besserem Lernverhalten und positiveren Ansichten über das Fach führen kann. “Kursabsolventen legten in der Totalpunktzahl des Mathematikteils von SBAC 0,33 Standardabweichungen zu. Das heißt, der durchschnittliche Kursabsolvent erzielt mehr Punkte als 63% der Mitglieder der Kontrollgruppe, wobei beide Gruppen anfangs gleich abschnitten,” heißt es in der Veröffentlichung.

Die Studie ist zugleich Praxistest für das growth mindset-Konzept  der Psychologin Carol Dweck. Mit growth mind bezeichnet Dweck das Gegenteil von fixed mind, eines engstirnigen fatalistischen Blicks auf die eigenen Stärken, Schwächen und Potenziale. Statt in Stein gemeißelt und angeboren begreifen growth minds ihre Fähigkeiten als plastisch, wandelbar, kultivierbar. Der Unterschied zwischen den Typen sei  im Umgang mit Fehlschlägen besonders deutlich. Fixed minds werten Fehler als Bestätigung ihrer mangelnden Gabe. Oft geben sie zu früh auf oder meiden Situationen, die ihnen aussichtslos erscheinen gänzlich. Growth minds sehen Scheitern als Chance zur Entwicklung.

Eine Ausrede weniger für Mathemuffel? Boaler sieht in ihren Ergebnissen eine Wandlung der Geisteshaltungen von starr zu flexibel. Zudem seien im Unterschied zu einer anderen Studie die positiven Effekte ihres MOOCs nahezu unabhängig von Geschlecht sowie sozialem, ökonomischen und ethnischem Hintergrund der Teilnehmer. Problematisch ist allerdings die Datenlage: Nur 156 ihrer tausend Probanden beantworteten sowohl die Vor- als auch die Nachbefragung.

Text: David Vogel; CC-BY-SA

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