Inhalt
» Vorbemerkungen
» Der Multiplikationssatz
» Der Additionssatz
» Beispiele
» Anmerkungen
Vorbemerkungen
In der Wahrscheinlichkeitsrechnung gelten aufgrund einiger Mengenoperationen und den Axiomen der Wahrscheinlichkeitstheorie bestimmte Rechenregeln, so zum Beispiel der folgende Multiplikationssatz. Die wichtigsten treten selbsterklärend am sogenannten Baumdiagramm auf, auch wenn ihre Hintergründe oft andere sind.
Als einleitendes Beispiel betrachten wir folgendes Zufallsexperiment: In einer Urne liegen acht Kugeln. Drei davon sind schwarz und fünf rot. Es werden zwei Kugeln hintereinander gezogen. Geben Sie die möglichen Versuchsausgänge an wenn Sie ohne Zurücklegen und mit Beachtung der Reihenfolge ziehen.
Wir beachten die Reihenfolge der Farben, daher benötigen wir Tupel \((,)\), nicht Mengen \(\{ ,\}\). Unsere Ergebnismenge \(\Omega\) besteht dann aus
\begin{align*}
\Omega=\{ (R,R),(R,B),(B,R),(B,B)\}
\end{align*}
für \(R\)ed und \(B\)lack.
Wir können das auch wie folgt visualisieren
und es ist naheliegend, in jedem Ast die Wahrscheinlichkeiten aufzuschreiben. Bei jedem Zug liegt ein laplacescher Zufallsversuch vor (alle Kugeln gleich wahrscheinlich), weshalb wir unsere Regel "günstige durch mögliche" anwenden können.
Was ist nun die Wahrscheinlichkeit zwei rote Kugeln zu ziehen? Hier hilft der Multiplikationssatz.
Der Multiplikationssatz
Der Multiplikationssatz besagt "die Wahrscheinlichkeit des Ereignisses am Ende eines bestimmten Pfades ist das Produkt der Wahrscheinlichkeiten entlang eben dieses Pfades". Das bedeutet, die Wahrscheinlichkeit, zwei rote Kugeln zu ziehen, beträgt \(\frac{5}{8}\cdot \frac{4}{7}\):
Analog ist die Wahrscheinlichkeit, zwei schwarze Kugeln zu ziehen \(\frac{3}{8}\cdot \frac{2}{7}\).
Wie hoch ist nun die Wahrscheinlichkeit, Kugeln unterschiedlicher Farben zu ziehen? Hier hilft uns der Additionssatz
Der Additionssatz
Der Additionssatz besagt "Die Wahrscheinlichkeit für ein Ereignis bestehend aus mehreren Pfaden ist die Summe der Wahrscheinlichkeiten der einzelnen Pfade". Das bedeutet, um die Wahrscheinlichkeit zweier gezogener Kugeln unterschiedlicher Farbe(\(=:U\)) zu berechnen, addieren wir alle Pfade, in denen das auftritt (dabei wenden wir natürlich den Multiplikationssatz an).
Wir erhalten also
\begin{align*}
P(U)=\frac{5}{8}\cdot \frac{3}{7}+\frac{3}{8}\cdot \frac{5}{7}=\frac{15}{28}.
\end{align*}
Zusammengefasst wird "entlang eines Pfades im Baum multipliziert und einzelne Äste werden gegebenenfalls addiert".
Beispiele
Wachschutz: Ein Bauernhof besitzt einen Wachhund und eine Gans. Der Wachhund bemerkt Einbrecher in achtzig Prozent der Fälle und alarmiert sein Besitzer, die Gans, unabhängig vom Wachhund, in 90 Prozent der Fälle. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Einbrecher bemerkt wird?
Lösung
Wir erstellen ein Baumdiagramm mit den Ereignissen \(G:=\)"die Gans bemerkt den Einbruch" und \(W:=\)"der Wachhund bemerkt den Einbruch" und wollen, dass mindestens ein Tier Alarm\(=:A\) schlägt.
[Hier wird bald ein Bild eingefügt]
In unserer Rechnung addieren wir also die drei Äste
\begin{align*}
P(A)=0,8\cdot 0,9+0,8\cdot 0,1+0,2\cdot 0,9=0,98.
\end{align*}
Alternativ können wir die Rechnung auch über das Gegenereignis \(A^c:=\)"keines der beiden Tiere schlägt Alarm" ausrechnen und erhalten
\begin{align*}
P(A)=1-P(A^c)=1-0,2\cdot 0,1=0,98
\end{align*}
Anmerkung: Ob wir im Baumdiagramm zuerst Gans oder Hund eintragen ist in diesem Fall uns überlassen.
Basketball: Der Basketballspieler J.J. ist ein Experte für Freiwürfe, dem Strafwurf beim Basketball.
"Wird ein Spieler bei einer Korbaktion oder bei einem Wurf gefoult und der Ball geht nicht in den Korb, so erhält der Spieler zwei [...] Freiwürfe." (Wikipedia)
Den ersten Freiwurf trifft er mit einer Wahrscheinlichkeit von 85 \(\%\). Trifft er diesen nicht, wird er nervös, und die Wahrscheinlichkeit, den zweiten Wurf zu treffen, verringert sich um 10 \(\%\). Trifft er den ersten Wurf jedoch, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, auch den zweiten Wurf zu treffen, um 10 \(\%\). Berechnen Sie die Wahrscheinlichkeit, dass J.J. bei zwei Freiwürfen mindestens einen Punkt erzielt.
Lösung
Wir fertigen das Baumdiagramm an wobei wir mit \(T\) den Treffer beim jeweiligen Wurf bezeichnen
und bezeichnen mit \(X\) die Anzahl der Treffer. Wir können dann schreiben
\begin{align*}
P(X\geq 1)=0,85\cdot 0,95+0,85\cdot 0,05+0,15\cdot 0,75=0,9625
\end{align*}
oder alternativ
\begin{align*}
P(X\geq 1)=1-P(X=0)=1-0,15\cdot 0,25=0,9625
\end{align*}
Anmerkungen
Der Multiplikationssatz basiert letztendlich auf der bedingten Wahrscheinlichkeit. Da wir hintereinander Kugeln ziehen müssen wir nur beachten, dass unser Ereignis \((R,B)\) als Menge geschrieben \(R\) im 1. und \(B\) im 2. Zug bedeutet, also \(R_1\cap B_2\). Dann folgt
\begin{align*}
& P(B|R)=P(B_2|R_1)= \frac{P(R_1\cap B_2)}{P(R_1)} \\
& \Leftrightarrow P(R_1)\cdot P(B_2|R_1)=P(R_1\cap B_2)=P((R,B))
\end{align*}
Der Additionssatz beruht letztendlich auf dem dritten Axiom von Kolmogorov,
\begin{align}
P(\{ b,w\} )=P(\{ b_1,w_2\} )+P(\{ b_2,w_1 \} )=P((b,w))+P((w,b))
\end{align}
da die Ereignisse disjunkt sind.
Die Formel von Bayes "tauscht" letztendlich die Reihenfolge der Ebenen des Baumdiagramms aus:
Die Herleitung funktioniert wie folgt:
\begin{align*}
P(V|T) & = \frac{P(V\cap T)}{P(T)}\\
& =\frac{P(T|V)\cdot P(V)}{P(T)}\\
& =\frac{P(T|V)\cdot P(V)}{P(T|V)\cdot P(V)+P(T|V^c)\cdot P(V^c)}\\
\end{align*}
denn es gilt \(P(T)=P(T|V)\cdot P(V)+P(T|V^c)\cdot P(V^c)\):
Am "klarsten" sieht man den Perspektivenwechsel nun wenn wir die Gleichung wie folgt umformen:
\begin{align*}
P(V|T) =\frac{P(T|V)\cdot P(V)}{P(T)} \\
P(V|T)\cdot P(T)=P(T|V)\cdot P(V)=P(V\cap T)
\end{align*}