AnjaFetzer sepia05 2020Anja Fetzer, Foto: privat

Anja Fetzer ist Mathemacherin der Monate Mai und Juni 2020. Sie hat das mathematische Spiel Ganita zur Produktreife geführt und promoviert zur Zeit am Fachbereich „Mathematik und ihre Didaktik" an der Universität Tübingen. Das Interview führte Beate Klompmaker, Leiterin des Netzwerkbüros der
Deutschen Mathematiker-Vereinigung.

Liebe Frau Fetzer, was war Ihr erstes 'mathematisches Erlebnis'?

Ich denke, als ich das erste Mal so richtig lange an einer Aufgabe geknobelt habe, um die Lösung herauszubekommen.

Für Sie ist es also ein Ansporn über Aufgaben zu brüten und Lösungen zu finden. Da kommt mir der Ausruf: „Heureka!, ich habe die Lösung“ in den Sinn.

 Ja, das ist ein bisschen so. Man muss die Neugierde wecken und wenn man ein, zweimal diesen Moment hatte, dann will man ihn wieder haben. Man freut sich einfach darüber, wenn man eine Lösung gefunden hat.

Mathematik Betreiben Probleme löst.
 

War dies Ihre Grundmotivation Mathematik zu studieren und das mathematische Spiel Ganita zu entwickeln?

Ja, unter anderem. Mathematik hat mir dennoch nicht immer Spaß gemacht, manches Mal bekommt man es einfach nicht hin und dann gibt es eine große Frustration. Aber für das Spiel war die Motivation ein großes Thema.

Auch wenn Sie diese Frustrationsmomente in der Mathematik erlebten, so haben Sie immer weiter gemacht, oder?

Ja, total. Es muss dann aber überwiegen, dass es doch irgendwie Spaß macht.

Sie haben während Ihres Studiums das mathematische Spiel Ganita entwickelt. Worum geht es in dem Spiel und für wen ist das Spiel gemacht?

Der Name des Spiels Ganita ist Sanskrit und bedeutet „Mathematik". Das Spiel funktioniert in etwa wie das populäre Spiel Activity, das man in Teams spielt und in dem man Begriffe pantomimisch darstellen, sie zeichnen oder erklären muss. 
Bei Ganita müssen die Schüler*innen in Teams Fragen aus fünf Kategorien beantworten und können so Punkte erzielen. Die Fragen bestehen nur zu einem kleinen Teil aus Rechenaufgaben. Es gibt viele Fragen, die kreatives Denken fördern, oder auch Aufgaben, bei denen die Schüler*innen  etwas pantomimisch oder zeichnerisch erklären müssen.
Die Zielgruppe sind Fünft- und Sechstklässler, wobei das Spiel auch schon in höheren Klassenstufen erfolgreich ausprobiert wurde.

Man kann das Spiel Ganita kostenlos downloaden. Wird in der Klasse vor Spielbeginn zunächst gebastelt? Acht Schüler*innen pro Brettspiel sind beim Spielen praktikabel: werden also pro Klasse drei Spiele ausgedruckt, geschnitten und zusammengeklebt? 

Gebastelt werden kann das Spiel natürlich mit der gesamten Klasse. Nur sollte die Zeit, die das Basteln beansprucht, nicht unterschätzt werden, es gibt über 400 Aufgabenkarten. Basteln und Spielen sind in einer oder zwei Schulstunden vermutlich nicht möglich.

Warum ist Ganita als Brettspiel und nicht digital konzipiert worden?

Klassische Brettspiele haben durchaus ihre Vorteile. Stichworte sind hier Embodiment und kooperatives Lernen. 

Was heißt denn hier das Stichwort Embodiment? Ich kenne den Begriff aus der Demenzforschung, hier werden Spiele oder Übungen für Demenzkranke entwickelt, bei denen eine körperliche Bewegung an eine Denkleistung geknüpft wird.

Embodiment ist eine relativ gut belegte Theorie, die besagt, dass sensorische und motorische Prozesse Einfluss auf unsere kognitiven Prozesse haben und somit körperliche Aktivität Einfluss auf den Lernprozess haben kann. Ein gutes Beispiel ist, wenn Schüler*innen ganze Zahlen lernen und Zahlen an einem großen Zahlenstrahl einordnen sollen: je kleiner die Zahlen werden, desto weiter müssen sie nach links laufen, je größer, desto weiter nach rechts. Es werden also der Raum und die Zahlen assoziiert, wobei kleine (und negative) Zahlen mit „links“, große (und positive) Zahlen mit „rechts“ assoziiert werden.

Anja Fetzer Grupenbild Mai 2020Anja Fetzer mit Schülern beim Ganita spielen.
Foto: A. F. privat
Das zweite Stichwort ist „kooperatives Lernen“, ist hier das Lernen in Teams gemeint?

 Ja, das heißt mit anderen zusammen lernen. Mit anderen zu lernen kann gerade in der Mathematik hilfreich sein. Wenn man nicht weiß, wie es weitergeht, kommt man, wenn man mit anderen spricht, auf neue Ideen bzw. lernt andere Sichtweisen kennen. Jedoch gibt es auch Studien, die besagen, dass dies nicht immer funktioniert, sondern nur unter bestimmten Bedingungen. Über Embodiment und kooperatives Lernen habe ich in meiner Abschlussarbeit geschrieben. Hier kann man auch nachlesen, dass Ganita die Kriterien für ein effektives kooperatives Lernen erfüllt.

Haben Sie, um das zu erläutern, das Begleitheft für Lehrkräfte geschrieben?

Ja, es soll Lehrer*innen beim Einsatz des Spiels im Unterricht unterstützen sowie ihnen erläutern, auf welchen fachdidaktischen und pädagogischen Grundlagen wir das Spiel konzipiert haben. Ich hoffe, dass das Begleitheft dabei hilft, das Spiel sinnvoll und lernwirksam im Unterricht einzusetzen.

Sie betonen, dass insbesondere Mädchen in ihrem mathematischen Selbstbild und ihren mathematischen Fähigkeiten durch das Spiel gestärkt werden. Können Sie ein Beispiel nennen?

Die Biographien der Mathematikerinnen im Lexikon sowie die zum Teil weiblichen Spielfiguren stellen das stereotype Bild des männlichen, alten und weißen Mathematikers in Frage und bieten weibliche Rollenmodelle, die für Mädchen eine Vorbildfunktion einnehmen können. Wir haben fünf Frauen im Spiellexikon aufgenommen, zum Beispiel Hypatia von Alexandria, die im alten Griechenland gelehrt hat (um 355 – 415), Katherine G. Johnson (geb. 1918), die bei der NASA gearbeitet hat und Maryam Mirzakhani. Sie war eine iranische Mathematikerin und hat 2017 als erste Frau die Fields-Medaille bekommen, eine der höchsten Auszeichnungen in der Mathematik.

Sie promovieren nun nach dem Lehramtsstudium im Fachbereich „Mathematik und ihre Didaktik“ in Tübingen. Wo sehen Sie im Mathematikunterricht an Schulen Schwierigkeiten, die es zu lösen gilt? 

Schwierigkeiten sehe ich darin, bei den Schüler*innen ein adäquates Bild der Mathematik zu erzeugen und mathematisches Denken zu vermitteln und nicht nur „mechanisches Formelanwenden". Ich möchte später trotz Promotion in der Schule als Mathematiklehrerin arbeiten.

Vielen Dank für das Interview!

Kostenlose Downloads: 

Ganita, Lernspiel für den Mathematikunterricht.

Ganita, Begleitheft für Lehrer*innen.

Abschlussarbeit  „Spielerisch lernen im Mathematikunterricht: Das Lernspiel Ganita und seine fachdidaktischen Grundlagen“ (1. Staatsprüfung für das Lehramt am Gymnasium) von Anja Fetzer.