Das bewegte Leben eines indischen Mathematik-Genies

Srinivasa Ramanujan war einer der größten indischen Mathematiker. Am 22. Dezember 2012 jährte sich sein Geburtstag zum 125. Mal. Die Mathematik brachte Ramanujan insbesondere bei Reihenentwicklungen, elliptischen Kurven und auf dem Gebiet der Kettenbrüche voran. Seine Lebensgeschichte ist aber auch eine spannende Zeitreise ins Indien des ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhunderts.

Srinivasa Ramanujan QuelleMFO

(Foto: Wiki commons)

Ramanujan wurde am 22. Dezember 1887 im Haus seiner Großeltern in einem Dorf 400 km südwestlich von Madras geboren und wuchs in Kumbakonam (nahe Madras) auf. Er war in allen Fächern ein guter Schüler, zeigte aber bald eine besondere Vorliebe für die Mathematik.

In der High School fiel ihm das Lehrbuch Synopsis of elementary results in pure mathematics von George Shoobridge Carr in die Hände. Dieses Werk von 1856, schon zu Ramanujans Zeiten in weiten Teilen nicht mehr auf dem Stand der Zeit, beflügelte und prägte den Jugendlichen jedoch sehr. Es half ihm beim Selbststudium und machte ihn mit Problemen der reinen Mathematik vertraut. Ramanujan machte sich besonders den knappen Stil des Buches zu eigen; es enthält Sätze und (wenn überhaupt) nur kurze Beweise. Das ließ Ramanujans spätere mathematische Arbeiten schwer verständlich werden.

1904 bekam er aufgrund seiner sehr guten schulischen Leistungen ein Stipendium am staatlichen College von Kumbakonam. Das Stipendium wurde ein Jahr später aber nicht verlängert, weil sich Ramanujan mehr und mehr der Mathematik zuwandte und die anderen Schulfächer vernachlässigte. Er war auch finanziell in Schwierigkeiten. Ohne seinen Eltern Bescheid zu geben, büxte er nach Vizagapatnam aus, 650 km nördlich von Madras.

Mathematisch war er die ganze Zeit hoch aktiv. Er berechnete die Eulersche Zahl auf 15 Nachkommastellen genau und studierte die Bernoulli-Zahlen, die er zuvor selbst entdeckt hatte. (In der westlichen Welt waren sie seit dem späten 17. Jahrhundert bekannt.) Ramanujan interessierte sich besonders (und Zeit seines Lebens) für Identitäten: Grenzwerte von Reihen (unendlich lange Summen gewisser Zahlen, die gewissen Gesetzmäßigkeiten folgen) oder das kontinuierliche Pendant dazu, bestimmte Integrale. Diese Identitäten fand er nach eigenen Angaben oft intuitiv bzw. im Traum.

1906 ging er auf das Pachaiyappa\'s College in Madras mit dem Ziel, den Hochschulzugang zu erwerben. Doch auch dieser Plan scheiterte an der Vernachlässigung anderer Fächer als der Mathematik. So machte Ramanujan weiter auf eigene Faust Mathematik. 1908 wurde er ernstlich krank, dann operiert und erholte sich körperlich nur langsam. 1909 arangierte seine Mutter seine Heirat eines zehnjährigen Mädchens. Ab ihrem 12. Lebensjahr lebte Ramanujan mit ihr zusammen.

Ramanujan verfolgte seine mathematischen Ideen hartnäckig. Trotz fehlenden Universitätsabschlusses gelang es ihm im Journal of the Indian Mathematical Society einige Artikel zu publizieren und Lösungen zu veröffentlichen (ab 1910). Nun galt er in der Region um Madras auch als Mathematik-Genie.

1911 bekam Ramanujan (übergangsweise) seinen ersten Job, 1912 seinen zweiten als Angestellter der Hafengesellschaft von Madras. Hier hatte er das Glück von Leuten umgeben zu sein, die Mathematik studiert hatten, darunter sein Chef. Auch wurde C. L. T. Griffith, Professor für Ingenieurwissenschaften am Madras Engineering College, auf Ramanujan aufmerksam und schickte einem Kollegen am University College London, Arbeitsproben von Ramanujan. Der war einerseits beeindruckt und bestärkte Ramanujan bei seiner Arbeit, verstand aber nicht alles, was Ramanujan erarbeitet hatte, was diesen sehr enttäuschte.

Ramanujan wandte sich daher an Ernest William Hobson (1856-1933) und Henry Frederick Baker (1866-1956), zwei Mathematiker in Cambridge, die jedoch beide nicht antworteten. Daraufhin schickte Ramanujan dem führenden Zahlentheoretiker der Zeit, Godfrey Harold Hardy (1877-1947), eine lange Liste unbewiesener Theoreme und origineller Lösungsansätze, die dessen Aufmerksamkeit erregten. Seine Arbeiten drehten sich unter anderem um Funktionalgleichungen mit der Riemannschen Zetafunktion, elliptische Integrale und hypergeometrische Reihen. Ramanujans Zeilen waren der Beginn einer intensiven und fruchtbaren Zusammenarbeit – zunächst über die Entfernung hinweg und später in England. Hardy nannte die Begegnung mit Ramanujan später „die einzige romantische Begegnung seines Lebens“. Auf Empfehlung Hardys bekam Ramanujan zunächst 1913 für zwei Jahre ein Stipendium für ein Studium an der Universität Madras.

1914 holte Hardy Ramanujan ans Trinity College, Cambridge – ein aufregendes Unterfangen: Ramanujan war strenggläubiger Brahmane, strikter Vegetarier, vertrug das Essen in Europa nicht, wurde gleich im ersten Winter für mehrere Monate krank und der Ausbruch des Ersten Weltkriegs erschwerte die Randbedingungen weiter. Auch erschwerte der Umstand, dass Ramanujan kein Mathematik-Studium absolviert hatte, das tägliche Arbeiten mit den Mathematikprofessoren vor Ort. Am 16. März 1916 war es dann aber so weit: Ramanujan erhielt von der Uni Cambridge den Abschluss Bachelor of Science by Research, von 1920 an Ph.D. genannt. Seine Dissertation behandelte Highly composite numbers (so der Titel). Eine Zahl wird „hochzusammengesetzt“ genannt, wenn sie mehr Teiler besitzt als alle kleineren Zahlen. Beispiel: Die Zahl 12 besitzt mit ihren 6 Teilern mehr Teiler als jede der Zahlen 1 bis 11 und ist daher hochzusammengesetzt.

1917 wurde Ramanujan schwer krank, die Ärzte waren ratlos und befürchteten, er könne sterben. In dieser schwierigen Zeit gab es aber auch gute Nachrichten für Ramanujan: Am 18. Februar 1918 wurde er zum Fellow der Cambridge Philosophical Society ernannt, am 2. Mai 1918 zum Fellow der Royal Society of London und am 10. Oktober 1918 zum Fellow des Trinity College in Cambridge. Ende 1918 ging es Ramanujan gesundheitlich wieder besser und er entschloss sich – geehrt wie kein indischer Mathematiker vor ihm – in sein Heimatland zurückzukehren. Leider verschlechterte sich sein Gesundheitszustand im Laufe des Jahres 1919 wieder deutlich. Ramanujan starb am 26. April 1920 in Kumbakonam.

Quelle Text: St. Andrews Biographies

Übersetzung: Thomas Vogt

Bildquelle: Oberwolfach Photo Collection

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Artikel von Holger Dambeck auf Spiegel Online

Thomas Vogt