Ein Leben für die Mathematik

Paul Erdős hat sein Leben ganz der Mathematik gewidmet. Als ständig Reisender verbreitete er die Mathematik und ihre Probleme - und oft auch deren Lösungen - wie kein Zweiter. Sein Hab und Gut bestand aus nicht viel mehr als aus einem Koffer, mit dem er immer und überall unterwegs war um sich mit anderen Mathematikern auszutauschen. Und das ist nur eine Anekdote aus dem bewegten Leben des Paul Erdős. Erdős gilt heute als einer der größten Mathematiker des 20. Jahrhunderts. Am 26. März 2013 wäre er 100 Jahre alt geworden. Er verstarb während der Konferenz in Warschau über Graphentheorie am 20. September 1996.

Paul Erdős war besonders im Bereich der Kombinatorik zu Hause, also in dem Teil der Mathematik, der sich vor allem mit der Auswahl und dem Zählen interessanter Objekte befasst. Ein wichtiges Teilgebiet der Kombinatorik ist die Graphentheorie; Erdős gilt als einer ihrer Begründer. (Straßennetze z.B. lassen sich als Graphen darstellen.) Dabei war Erdős kein Theoretiker: Ihn interessierten vor allem konkrete Probleme und Fragen und wie man sie lösen kann.

Doch seine Fragen waren von so großer Tragweite, dass ihre Erforschung nicht selten neue Forschungsfelder und Theorien erzeugte. Ein Beispiel ist die Ramsey-Theorie: Hier färbt man in einem Graphen die Kanten – die „Verbindungsstücke“ – entweder rot oder blau. Die Frage dabei ist, wie viele Knoten ein Graph mindestens haben muss, damit er auf jeden Fall zum Beispiel ein rotes oder blaues Dreieck enthält, unabhängig davon, wie die Kanten gefärbt wurden.

Erdős war berühmt für seine eleganten Beweise und die mathematischen Hilfsmittel, die er schuf. Eines der bekanntesten ist die probabilistische Methode. Hier zeigt man die Existenz eines Objektes in einer Menge, indem man beweist, dass die Wahrscheinlichkeit, beim zufälligen Griff in die Menge eines der Objekte in Händen zu halten, nicht Null ist.

Das klingt nach wenig Neuem: Wenn ich beim Griff in eine Schublade mit einer Wahrscheinlichkeit von – sagen wir – einem Fünftel eine rote Socke herausfischen kann, dann muss ein Fünftel der Kleidungsstücke darin aus roten Socken bestehen – also muss es mindestens eine rote Socke geben. Überraschender Weise ist es aber oft einfacher die nichtverschwindende Wahrscheinlichkeit zu beweisen als die Existenz des Objektes an sich.

Paul Erdős. Quelle: Dokumentarfilm \"N is a Number: A Portrait of Paul Erdős\", George Paul Csicsery für Springer VideoMATH, ISBN 3-540-92642-9. Informationen zum Film hier.

Ein unruhiges Leben

Paul Erdős wurde am 26. März 1913 als drittes Kind einer jüdischen Familie in Budapest geboren. Doch er wuchs als Einzelkind auf: seine beiden älteren Schwestern starben noch im Kindesalter (ansteckenden Krankheiten) – und vor der Geburt des kleinen Paul. Die Angst seiner Mutter vor ansteckenden Krankheiten prägte auch den kleinen Paul in seiner Kindheit und Jugend. Seine Mutter schickte ihn die meiste Zeit nicht zur Schule, sondern ließ ihn statt dessen zu Hause von einem Privatlehrer unterrichten. Selbst später in der höheren Schule ging er wegen den Bedenken seiner Mutter nur jedes zweite Jahr zum Unterricht.

Obwohl der Vater schon am Anfang des ersten Weltkrieges in russische Gefangenschaft geriet und dort sechs Jahre blieb, hatte Paul Erdős sein Interesse an der Mathematik doch auch ein Stück weit seinen Eltern zu verdanken. Denn beide waren Mathematiklehrer. Da sein Vater aber in Gefangenschaft lebte und seine Mutter den ganzen Tag an der Schule unterrichten musste, wurde Paul von einer deutschen Gouvernante erzogen.

Schon im Kleinkindalter entwickelte er sich zu einem wahren Zahlenkünstler. Mit vier Jahren unterhielt er Freunde seiner Mutter mit Rechenspielchen. Er fragte sie zum Beispiel, wie alt sie seien und rechnete ihnen dann vor, wie viele Sekunden sie schon am Leben waren. Schon damals wusste er, dass er später Mathematiker werden wollte, wohingegen seine Mutter die Hoffnung hegte, dass er Arzt würde.

Schwierige 1920er Jahre

Nach einer kurzen kommunistischen Herrschaft wurde in Ungarn 1920 von Admiral Miklós Horthy ein halb-autoritäres Regierungssystem eingeführt. Dadurch wurde der Antisemitismus im Land geschürt, weshalb viele jüdische Wissenschaftler auswanderten.
Im selben Jahr kam Paul Erdős‘ Vater aus der Gefangenschaft zurück.

Vater Erdős hatte sich während der Gefangenschaft die englische Sprache selbst beigebracht, ohne jemals einen Muttersprachler gehört zu haben. So lernte auch sein Sohn Paul dieses rudimentäre Englisch, was später oft zum Unverständnis seiner Zuhörer führte. Ein Beispiel ist der Satz „Vot vuz zat ven it vuz live?“ – will heißen: „ What was that when it was alive?“ oder eben auf deutsch: „Was war das, als es noch lebendig war?“ Dies pflegte Erdős zu sagen, wenn es Fleisch zum Essen gab.

Nach Restriktionen in den ersten 1920er Jahren wurden 1928 die Zulassungsbeschränkungen für Juden an Universitäten wieder gelockert. Paul Erdős schrieb sich 1930 mit 17 Jahren an der Universität Pázmány Péter in Budapest ein, wo er vier Jahre später auch seinen Doktortitel in Mathematik erwarb. Der Antisemitismus nahm aber zu, weshalb er anschließend mit einem Stipendium nach Manchester zu Harold Davenport wechselte. In dieser Zeit reiste Erdős viel in England umher und traf regelmäßig zwei für sein ganzes Leben besonders wichtige Personen: Godfrey Harold Hardy in Cambridge und Stanislaw Ulam, der ebenfalls emigriert war.

Als Paul Erdős 1938 als Stipendiat nach Princeton (New Jersey) in die USA kam, fing seine Zeit des Reisens aber erst richtig an. Die Institutsleitung in Princeton hielt ihn für „eigentümlich und unkonventionell“ was ihn auch nicht zur Sesshaftigkeit bewegte. Alles, was Paul Erdős besaß, hatte er in seinem Koffer dabei.

Zum Thema Eigentum meinte er nur, dass dies eine lästige Plage sei. Zum Glück hatte er aber seinen guten Freund Ronald Graham, der irgendwann anfing, zumindest die Finanzen von Paul Erdős zu managen. Wobei Erdős immer nur einen kleinen Teil für sich behielt und den Rest für wohltätige Zwecke spendete oder auf der Straße Bettlern schenkte. Geld interessierte ihn nicht. Auch hatte er nie Frau, Kinder, Festanstellung, Hobby oder auch nur ein Zuhause. Dabei liebte er Kinder. Er nannte sie immer liebevoll Epsilons. Mit diesem griechischen Buchstaben werden in der Mathematik kleine Einheiten, kleine Größen, bezeichnet.

Mathe, Mathe, Mathe. Erdős putschte sich ständig mit Kaffee und Amphetaminen auf um besser arbeiten zu können, wie er meinte. Das führte auch zu einer Wette mit seinem Freund Ron Graham, der mit Erdős um 500 Dollar wettete, dass er, Erdős, nicht einen Monat ohne Aufputschmittel auskäme. Erdős hielt tapfer durch, sagte danach aber, dass er in der Zeit kein bisschen hätte arbeiten können, die Mathematik sei durch diese Wette um einen Monat zurückgeworfen worden. Erdős ist aber auch für seine gelegentlichen Nickerchen zwischendurch oder während Vorträgen bekannt. Er selber sagte dazu, dass er nicht geschlafen habe, sondern nachgedacht. Schlafes Bruder suchte Erdős am 20. September 1996 in Warschau heim.

„Erdős war ein mathematischer Mönch“. Dieses Fazit zieht Paul Hoffmann in seinem Buch über Erdős mit dem Titel „Der Mann, der die Zahlen liebte“. Die oben stehenden Anekdoten entstammen diesem Buch (Ullstein Verlag, 1999, 357 S., ISBN 3550069782).

Text von Marie Hanke, Andreas Loos und Thomas Vogt