Fast unbemerkt von der Öffentlichkeit gab die Universität Manchester im Sommerloch, konkret am 25. August 2017, einen spannenden Archivfund bekannt: In einem alten Aktenschrank kam schon im Mai 2017 eine umfangreiche Korrespondenz von Alan Turing ans Licht. Sie erstreckt sich über die Zeit von 1949 bis 1954 und umfasst 141 Vorgänge. Inzwischen ist der Schriftverkehr, der rund 150 Briefe des Computerpioniers enthält, in der Universitätsbibliothek einzusehen, in Teilen auch online (siehe unten).

AlanTuring

(Alan Turing/Quelle: HNF-Blog)

Der glückliche Finder war Jim Miles, Professor an der Informatikfakultät. Er räumte einen Lagerraum der Universität auf und stieß in einem Aktenschrank auf einen dicken Ordner mit der Aufschrift „Alan Turing“. Miles öffnete ihn und hielt zahlreiche Schreiben von und an Turing in der Hand, dienstliche Korrespondenz von April 1949 bis Juni 1954. Die Hochschule hielt zunächst dicht und machte sich daran, die Post auszuwerten. Am 25. August ging man dann mit einer Mitteilung an die Öffentlichkeit.

turing 1952Geheimdienstchef Eric Jones bedankt sich am 21. November 1952 für die Übersendung eines Fotos
für den Kryptologen William Friedman (Foto The University of Manchester)

Zu Turings Briefpartnern zählten prominente Wissenschaftler von nah und fern, etwa der  Kybernetiker Ross Ashby, der Logiker Alonzo Church, der Genetiker J. B. S. Haldane, der Wirtschaftsforscher Oskar Morgenstern, der Sprachphilosoph Gilbert Ryle und der Informationstheoretiker Claude Shannon. Aus der Computertechnik treffen wir auf Christopher Strachey, Maurice Wilkes und Beatrice Worsley; sie war die erste Informatikerin ihres Heimatlandes Kanada. Sechs Briefe behandelten den englischen Schüler Lionel March, der als mathematischer Wunderknabe galt.

Inhalte

In zwei Schreiben ging es um Rechenmaschinen mit Kurbel und Sprossenräder. Im Juni 1951 bestellte Turing eine Brunsviga 15 mit Rückübertragung des Resultats. Im Oktober folgte eine Britannic-Doppelrechenmaschine, der englische Nachbau der Brunsviga D13. Am Jahresende dementierte Alan Turing in mehreren Briefen das Gerücht, dass ein Schachspiel zwischen dem Mark-1-Computer in Manchester und einem Rechner im amerikanischen Princeton geplant wäre. Dort stand die IAS-Maschine, die John von Neumann gebaut hatte.

ChessEin Schachmagazin bittet am 16. November 1951 um Informationen zu einem
angeblichen Computer-Schachturnier. (Foto The University of Manchester)

In den Akten kommt zweimal Deutschland vor. Das Zentralblatt für Mathematik fragte am 14. November 1951 (damals noch aus Ost-Berlin) an, ob Turing als Rezensent mitarbeiten würde; er lehnte einen Monat später ab. Im Dezember 1952 erklärte sich Turing gegenüber dem Foreign Office bereit, in Deutschland Vorträge zu halten. Als Themen schlug er mathematische Logik, elektronische Computer und sein aktuelles Arbeitsgebiet aus der Biologie vor. Im Januar 1953 zog er sich aber schon wieder aus dem Projekt zurück.

Am 21. Mai 1954 schickte Alan Turing einen Brief an einen kanadischen Studenten. Es ist der letzte von ihm in unserer Sammlung. Das letzte Schreiben, das von außen an ich nach Manchester ging, entstand am 2. Juni 1954. Sein Absender war der chinesisch-amerikanische Mathematiker Hao Wang; er bat um Sonderdrucke. Alan Turing hat es wohl nicht mehr gelesen, da er am 4. Juni aus dem Leben schied.

Chess 1…aber Alan Turing weiß von nichts. (Foto The University of Manchester)

Die Turing-Korrespondenz befindet sich jetzt in der Universitätsbibliothek von Manchester und kann vor Ort studiert werden.

Erste Informationen zu den Inhalten liegen bereits online vor. Das Material umfasst 141 dienstliche Themen. Ganz rechts kann man das dunkelblaue Feld nach oben oder unten ziehen, weiter links einzelne Vorgänge anklicken. „Letter“ bezeichnet ein in Manchester eingegangenes Schreiben; „Copy Letter“ ist die Kopie eines Briefs von Alan Turing oder seiner Sekretärin. Mancher Vorgang enthält auch mehrere Schreiben der Beteiligten.

Weitere Dokumente und Briefe verwahrt seit längerem das Turing Digital Archive in Cambridge. http://www.turingarchive.org/

Quelltext: Ralf Bülow im HNF-Blog