Wer diesen Blog aufmerksam verfolgt, weiß, dass wir uns an dieser Stelle seit Jahren für eine Korrektur des Equal Pay Day einsetzen. Denn die Organisatoren des Medienspektakels, das daran erinnern soll, wie viel Frauen mehr arbeiten müssen, um dasselbe zu verdienen wie Männer, freuen sich jedes Jahr viel zu früh. (Unten der repost einer detaillierten Erklärung des Berechnungsfehlers.)

Hier ganz kurz und einfach die Fakten: Frauen bekommen im Schnitt in Deutschland 78% des durchschnittlichen Jahreseinkommens von Männern, also 22 Prozentpunkte weniger. In ganz Europa sieht es übrigens etwas besser aus, da sind es 83%.

Bleiben wir in Deutschland. Stellen wir uns der Einfachheit halber vor, dass Männer in einem Jahr 100 Euro verdienen. Dann verdienen Frauen 78 Euro in einem Jahr. An einem Werktag -- Berlin hatte 2013 250 Werktage - verdienen Frauen also im Schnitt 0,312 Euro. Um ebenfalls auf ihre 100 Euro zu kommen, müssen sie dieses Jahr weitere 22 Euro/0,312 Euro/Tag, also etwa 70,5 Tage ins neue Jahr hineinarbeiten - und das ist um die Mittagszeit des 10.4.2014.

"Gefeiert" wird der Equal Pay Day aber mit unschöner Tradition alljährlich am 21. März. Warum nur? Und wie hat das Equal Pay Day-Kommitee einen Statistiker beim Statistischen Bundesamt finden können, der auch keine Ahnung von Prozentrechnung hat?

Die Equal-Pay-Day-Rechnung wird gemeinhin mit einer Menge Unschärfen und Irrtümern dargestellt - wobei wir mal nicht darüber sprechen wollen, wie man ein Durchschnittseinkommen berechnet, was ein Einkommen überhaupt ist, wie viel Sinn der Durchschnitt hier macht (wäre der Median nicht viel aussagekräftiger?), wie sich das Durchschnittseinkommen im Laufe eines Jahres verändert...

Gehen wir mal kurz die grundsätzlichen Fragen an: Was heißt Prozent? Prozent bezeichnet den Anteil einer Größe. Man müsste also stets dazu sagen, worauf sich die Prozent beziehen: Was sind also "100 Prozent" in diesem Fall? Das Einkommen der Frauen? Das Einkommen der Männer? Genau an dieser Stelle passiert es, dass -- wie so oft -- relative Zahlen wie absolute behandelt werden. "Frauen verdienen 22 Prozent weniger als Männer" soll nämlich eigentlich heißen: Frauen verdienen 78 Prozent des Jahresdurchschnittseinkommens der Männer -- das Einkommen der Männer ist 100 Prozent. Und setzt man das Einkommen der Frau als 100 Prozent an, dann verdienen Männer eben 128 Prozent des Einkommens der Frauen.

Zweitens sind Prozente nicht Prozentpunkte. Von Prozentpunkten spricht man, wenn es um Differenzen von Prozentzahlen geht. Die Aussage lautet also korrekt: Frauen verdienen 22 Prozentpunkte weniger als Männer. Und Männer 28 Prozentpunkte mehr als Frauen.

Dritter Punkt: Menschen arbeiten in der Regel nicht 365 Tage im Jahr. Setzt man 253 Arbeitstage im Jahr an (Berlin) [das war für 2012], dann sind 128 Prozent der Arbeitstage pro Jahr etwa 324 Tage, und 78 Prozent der Arbeitstage sind etwa 198 Tage. Nun muss man noch beachten, dass die unterschiedliche Dichte von Feiertagen - um es mal mathematisch auszudrücken - dazu führt, dass 78 Prozent des Jahres nicht zugleich 78 Prozent der Arbeitszeit sind.

Weil Frauen am 1. Januar 2013 78 Prozent vom Männerverdienst bekamen, war für Männer also der Equal Pay Day am 198. Arbeitstag des Jahres 2012, was ungefähr dem 11. Oktober 2012 entspricht -- denn da hatten sie bereits so viel Geld in der Tasche wie die Frauen am Ende des Jahres.

Sehen wir die Sache aus Frauensicht: Frauen müssen 128 Prozent von ihrem Jahresverdienst erarbeiten, um dasselbe zu verdienen wie Männer. Also bekommen sie nach etwa 128 Prozent ihrer Arbeitszeit, also nach 324=253+71 Arbeitstagen und somit erst um den 14. April 2013 herum, das Einkommen, das der Mann schon am 1. Januar 2012 bekam.

Jetzt ist es passiert: Nachdem die Organisatorinnen des Equal Pay Day den Tag über Jahre hinweg zu früh terminiert haben, haben sie nun die Definition des Tages geändert.

Der Aktionstag markiert den Zeitraum im Jahr, den Frauen bei gleichem Arbeitsvolumen (bezogen auf die Männer) ohne Bezahlung („für lau“) arbeiten:
22% von 365 Tagen = 80 Tage.


...heißt es auf der Webseite zum EPD. Das heißt: Ab 2014 wird als Equal Pay Day des Tages gedacht, an dem Frauen anfangen, dasselbe Einkommen wie Männer pro Zeiteinheit zu haben. Moment - dasselbe Einkommen?

Ja, richtig gelesen: Nach neuer Definition arbeiten Männer vom ersten Tag des Jahres an bezahlt, Frauen aber kostenlos - bis zum Equal Pay Day des Jahres. Ab dann verdienen Männer und Frauen jeden Tag *dasselbe*. (Nach alter Definition war der Equal Pay Day der Tag, bis zu dem Frauen im neuen Jahr "nacharbeiten" mussten, um dasselbe Vorjahreseinkommen wie Männer zu haben.)

Mit der neuen Definition ist das Datum gerettet: 78 Prozent des Jahres-Einkommens von Männern kann man tatsächlich als Vollbezahlung für 78 Prozent des Jahres bei den Frauen ansehen.

Es bleibt aber immer noch eine gewisse Dosis Willkür: Man könnte ja auch sagen, Frauen arbeiten 78% des Jahres voll bezahlt und ab dann unbezahlt. Die "Equal Pay Time" würde für Frauen dann ab dem 10.10.2014 enden. Oder, aus Männersicht: Männer haben am 10.10.2014 ihren Equal Pay Day, den Tag, an dem sie so viel verdient haben wie Frauen Ende 2014.

Und um die Verwirrung perfekt zu machen, findet man auf der Webseite der Organisatorinnen übrigens auch noch parallel die alte Definition des Equal Pay Day:

Das Datum des Aktionstags markiert den Zeitraum, den Frauen über das Jahresende hinaus arbeiten müssen, um auf das Vorjahresgehalt ihrer männlichen Kollegen zu kommen. 2014 findet der Equal Pay Day am 21. März statt.


(Zu finden unter der Überschrift "Hintergrund und Ziele".)

Wie man es auch dreht und wendet: Eine traurige Sache, dass Frauen und Männer überhaupt ungleich verdienen. Vielleicht sollte man sich mehr auf die Untersuchung der Ursachen konzentrieren?

Andreas Loos