Unter den berühmten Frauen in der Mathematikgeschichte gehört sie sicher zu den Top Ten: Sofia Kowalewskaja (1850-1891), die nach langjähriger Zusammenarbeit mit Karl Weierstrass (1815-1897) in Berlin und einigen Irrungen schließlich in Stockholm landete, auf einem Lehrstuhl für Mathematik -- nicht nur ein Ausnahmetalent, sondern auch ein Ausnahmefall in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Mit 41 Jahren stirbt Kowalewskaja. Ist sie eine Marilyn Monroe der Mathematik oder einfach nur ein Zufall der Geschichte?

Sofja Wassiljewna Kowalewskaja 1

Eine Doktorarbeit an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz hat sich jetzt mit genau dieser Frage beschäftigt, mit dem Bild von Kowalewskaja in der Öffentlichkeit. Die Autorin, Eva Kaufholz-Soldat, ist selbst Kowalewskaja-Fan: „Es gibt zwar einige Frauen, die zur damaligen Zeit mit Sondergenehmigungen promovieren konnten“, erklärt sie. „Aber Kowalewskaja überstrahlt alle.“

Tatsächlich war Kowalewskaja eine schillernde Figur mit einem bewegten Leben. Geboren in eine wohlhabende Familie - Vater General - genießt sie eine gute Ausbildung. In ihren "Kindheitserinnerungen", die sie 1890 veröffentlicht, erinnert sie sich an die Tapeten ihres Kinderzimmers: Wie zu dieser Zeit nicht unüblich, bestanden sie aus Altpapier. In ihrem Fall stammte es aus Mathematikbüchern, und das Muster der Formeln faszinierte die kleine Sofia. Sie setzt durch, studieren zu dürfen, und heiratet dafür pro forma. Ihr Studium nimmt sie in Heidelberg auf, wechselt 1870 nach Berlin zu Weierstrass, der sie unter seine Fittiche nimmt und ihre Dissertation privatim betreut. Anschließend geht sie zurück nach Russland, wo sie mit ihrem Ehemann zusammenkommt und sogar einer Tochter das Leben schenkt. Sie kehrt nach Westeuropa zurück und lernt 1882 in Paris Gösta Mittag-Leffler (1846-1927) kennen, der ihr wenig später eine Stelle als Privatdozentin in Stockholm anbieten kann. Kowalewskaja ist zu dieser Zeit eigentlich nach Spekulationen komplett pleite - ihr Mann hat sich gar selbst getötet. Sie selbst starb am 10. Februar 1891 an einer Lungenentzündung.

Schon gleich nach ihrem Tod wird Kowalewskaja für ganz unterschiedliche Ziele eingespannt: Von der Frauenbewegung als Heldin, von Konservativen als Menetekel für andere Frauen mit ähnlichen Ambitionen: Ihr früher Tod lasse auf einen für Frauen ungünstigen Lebenswandel schließen. (Galois (20), Abel (27) oder Eisenstein (29) werden da stillschweigend unter den Teppich gekehrt.)

„Wir können feststellen, dass der jeweilige historische Kontext das Bild von Kowalewskaja verändert hat“, sagt Kaufholz-Soldat - wobei Kowalewskaja selbst Anteil an ihrem schillernden Bild hatte. „Sie bezeichnete sich selbst einmal als Chamäleon, und sie hat völlig unterschiedlich auf Leute gewirkt."