Lebewesen sind bis hin in ihre Zellen ständigem Wandel ausgesetzt. So schwanken etwa Temperatur, Strahlung oder Stoffkonzentrationen in der Umgebung zum Teil erheblich. Wie Zellen diesen Witterungen trotzen, untersuchte eine Gruppe Forschender um die Mathematikerin Robyn Araujo von der Queensland University of Technology in Brisbane, Australien. Wie sie im Fachmagazin Nature Communications berichte, nahmen sie einen oft zitierten Mechanismus namens Robust Perfect Adaption genauer unter die Lupe und modellierten ihn mathematisch. Die Ergebnisse können auf Sicht auch in der Krebstherapie nützlich sein, meinen die Autoren.

Mit Robust Perfect Adaption (RPA) meinen Fachleute die Fähigkeit eines Netzwerks, seine Ausgangslage nach Einwirkung eines neuen Stimulus wiederherzustellen. Zum Beispiel verblasst eine Geruchswahrnehmung nach kurzer Zeit, auch wenn die Geruchsquelle nah und aktiv bleibt. Unser Geruchssinn verhindert dadurch zu starke Reize und macht sich wieder empfänglich selbst für unscheinbare Begleitnoten.

In Zellen laufen solche Pufferphänomene pausenlos ab. Auf eindringende Hormone oder „Wachstumsfaktoren“ – für die Signalübertragung zwischen Zellen verantwortliche Proteine – sendet eine Zelle zunächst ein spontanes Rücksignal und relaxiert dann umgehend.

„Proteine bilden unfassbar komplexe Netzwerke chemischer Reaktionen wodurch Zellen kommunizieren und ‚denken‘“, sagt Araujo. „Wie dieses ‚zelluläre Gehirn‘ funktioniert war lange unerforscht“. Alles im Detail zu verstehen sei im Augenblick utopisch, dazu seien die Netzwerke schlicht zu groß, zu vielgestaltig und ihre Abläufe zu verwoben. „Aber mit Werkzeugen aus der Mathematik können wir ausmachen, wie die Netzwerke aufgebaut sein sollten, damit sie wie beobachtet agieren.“169429 webDr. Robyn Araujo has developed new mathematics to investigate how the incredibly complex biological networks within cells can adapt and reset themselves after exposure to a new stimulus. Credit: QUT

Araujos Konstruktion der Netzwerke erinnert an ein chaotisches Stille-Post-Spiel. Es wimmelt von Knoten – Araujo meint damit zum Beispiel Molekülzustände oder -konzentrationen –, die biochemische Signale empfangen und so in der Art weitergeben. Das Geflüster bekommen hier aber beliebig viele andere Knoten mit und reagieren wiederrum darauf. Welche das im einzelnen sind, dadurch definiert sich das Netzwerk. Auf zwei Knoten kommt es besonders an: der erste, der den äußeren Reiz auf die Reise schickt und der letzte, der es „laut“ ausgibt. RPA liegt vor, wenn sich der letzte Knoten jedes Mal grob genauso verhält, ganz gleich, was der erste tut.

„Es gibt erstaunlich wenige Arten ein Netzwerk zu konstruieren, das sich perfekt adaptiert“, sagt Araujo. Um herauszufinden welche, verwendeten die Forschenden Methoden aus der Topologie – die Disziplin die sozusagen untersucht, wie Eigenschaften eines Objekts erhalten bleiben, wenn es gequetscht, verdrillt oder anderweitig verformt wird. Dabei fanden sie heraus, dass bereits zwei Klassen topologischer Strukturen genügen, um alle RPA-fähigen Netzwerke zu mitsamt der biochemischen Signalströme beschreiben. Die Methode funktioniert nach Ansicht der Autoren für Netzwerke beliebiger Größe und Komplexität und es sei kein Vorwissen darüber nötig, wie die Komponenten verwoben sind und wie stark die individuellen Reaktionen sein mögen.

„Die Studie ist ein wunderbares Beispiel dafür, wie Mathematik die Gesellschaft voranbringen kann“, kommentiert Koautor Lance Liotta die Entdeckungen des Teams. Anwendungspotenzial sehen die Autoren auch in Hypothesen zur Drogenabhängigkeit und in Strategien gegen Krebsarzneiresistenzen. „Sie kann auch besser verstehen helfen, wie unser Hormonsystem, Immunabwehr sich an die häufigen Veränderungen perfekt anpassen und uns fit halten", sagt Liotta.