Dem französischen Informatiker Michael Rao (38) gelang im Jahr 2017 ein Beweis, der auch über die Grenzen der Mathematik hinweg für Aufsehen sorgte. Er untersuchte sämtliche Überdeckungen der Ebene mit einem einzelnen Baustein, der immer wieder überdeckungsfrei und ohne Lücken aneinandergelegt wird. In der Mathematik spricht man hier von Parkettierungen. Die häufigste Parkettierung, deren Bausteine passenderweise als Kacheln bezeichnet werden, findet sich in fast jedem Badezimmer. Quadratische Fliesen bilden eine periodische Parkettierung, deren Periodenlänge genau die Seitenfänge einer Fliese entspricht. Denn neben einer Fliese schließt sich periodisch immer wieder eine neue an. Es ist aber nicht nur mit Quadraten möglich die Ebene ohne Löcher und Überlappungen zu überdecken, sondern mit sämtlichen Drei- und Vierecken. Ebenfalls schon lange bekannt, sind die Arten von Sechsecken mit denen eine Parkettierung möglich ist. 

Rao 2Foto: privat

Offen war bis zum letzten Sommer, mit welchen Fünfecken sich die Ebene abdecken lässt. Seit über hundert Jahren wurden immer wieder neue Typen von Fünfecken gefunden. Den letzten und fünfzehnten Typ fanden im Jahr 2015 das Mathematikerehepaar Casey Mann und Jennifer McLoud gemeinsam mit ihrem Studenten David Von Derau. Michael Rao gelang es im vergangenen Sommer zu zeigen, dass diese Liste vollständig ist. Es kann also kein weiteres Fünfeck gefunden werden, dass die Ebene parkettiert. mathematik.de berichtete.

Bei einem Besuch des Wissenschaftlers an der Freien Universität Berlin im Februar 2018 hielt er einen Vortrag über seinen Beweis und nahm sich Zeit mit uns zu sprechen. 

PentagonTilings15-verticalDie vollständige Liste der 15 verschiedenen Typen von konvexen Fünfecken mit denen sich die Ebene parkettieren lässt. Michael Rao konnte zeigen, dass es kein anderes Fünfeck mit dieser Eigenschaft geben kann.

Herr Rao, wie sind Sie auf die Idee gekommen, sich mit der Parkettierung der Ebene zu beschäftigen?

Als im Jahr 2015 eine neue fünfeckige Kachel, der fünfzehnte Typ, gefunden wurde, sagte einer meiner Kollegen zu mir: Warum versuchst du nicht einen sechzehnten Typ zu finden? Du kannst gut mit dem Computer umgehen, vielleicht kannst du ein Programm schreiben, dass eine neue Kachel berechnet– Es war eine Herausforderung. 

Also wollten Sie eigentlich eine neue Kachel finden?

Zu Beginn schon. Ich dachte, wenn ich ein Programm schreiben kann, das alle bereits bekannten Typen noch einmal findet, entdeckt es vielleicht auch einen neuen sechzehnten Typ. Ich habe also mit meinem Computer herumgespielt. Er fing dann aber an, merkwürdige Muster zu erzeugen und so wurde mir nach und nach klar, dass es unmöglich ist, noch eine weitere Kachel zu finden. Um zu zeigen, dass es keine weitere Kachel geben kann, musste ich meine Strategie jedoch umkehren. Denn wenn man eine neue Kachel sucht, ist das Finden dieser einen Kachel ein Erfolg. Will man aber hingegen zeigen, dass es keine weitere Kachel gibt, muss man für alle potentiellen Fünfecke zeigen, dass sie nicht in Frage kommen. Das ist eine unendliche Aufgabe, wenn man keine Klassifikation hat. Ich musste also einen Weg finden, sämtliche Fünfecke zu parametrisieren, umendlicheviele Fälle zu erzeugen. Die Endlichkeit der Fälle ist notwendig, um es mit dem Computer lösen zu können. 

Ist die Verwendung von Computern bei Beweisen, die große Fallunterscheidungen beinhalten, immer noch umstritten?

Es gibt Computerbeweise für jede Menge Theoreme. Der Beweis des Vierfarbensatzes von Haken und Appel war im Jahre 1976 der erste seiner Art. Ein anderes wichtiges Beispiel ist die Keplersche Vermutung. Die Frage ist, ob es einen Fehler im Programmcode gibt. Meiner Meinung nach, macht das aber keinen großen Unterschied, denn auch in einem langen menschlichen Beweis kann es irgendwo einen Fehler geben. 

Wäre es theoretisch möglich, dass ich nur mit einem Bleistift und nahezu unbegrenzt viel Zeit Ihren Beweis nachrechnen könnte? Kann man per Hand dasselbe Ergebnis zu erhalten?

Theoretisch natürlich schon. Aber ich glaube, es ist wahrscheinlicher, dass Sie sich irgendwo verrechnen, als dass der Computer einen Fehler macht. (lacht)

Das fürchte ich auch. Wie haben Sie denn sicherstellen können, dass in dem Programm kein Fehler ist?

Ich habe alles zweimal gemacht. Als ich mit dem Programm fertig war und mich versicherte, dass alles funktioniert, habe ich noch einmal ganz von vorne angefangen. Gerade suche ich noch nach jemandem, der bereit ist, meine Methode noch einmal neu aufzusetzen, um den Beweis ein drittes Mal zu verifizieren. 

Können Sie den Moment beschreiben, in dem Sie gemerkt haben, dass Sie derjenige sein werden, der als der „Klassifizierer“ der Parkettierung der Ebene in die Geschichtsbücher der Mathematik eingehen wird? 

 

All put together. One last view as I move on to the next bit.

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Die amerikanische Textilkünstlerin Chawne Kimber hat verschiedene Parkettierungen mit Fünfecken als Mustergrundlage für Patchworkarbeiten gewählt. Auf ihrem Instagram Account und ihrem Blog chauchycomplete finden sich noch mehr interessente Arbeiten der Mathematikprofessorin.

Es war kein bestimmter Moment, in dem ich dachte: Heureka, ich habe einen Beweis gefunden! Als ich angefangen habe, nach einer neuen Kachel zu suchen und mir immer klarer wurde, dass die Suche hoffnungslos ist, habe ich meine Perspektive umgedreht. Ich habe ein paar Experimente mit meinem Computer gemacht und langsam angefangen einen Weg zu sehen. Zu Beginn hatte ich keine vernünftige Definition für das, wonach ich gesucht habe. Ich musste erst mal einen theoretischen Rahmen schaffen, um Kategorien für die Fallunterscheidung zu bilden. Am Anfang ist gar nicht klar, womit man es zu tun hat. Man muss eine Grundlage schaffen, auf die der Beweis aufbaut. Dann kommen die ersten Schritte des Beweisens. In diesem Prozess entsteht dann langsam ein Gefühl, dass man es vielleicht schaffen kann. 

Wie hat sich dieses Gefühl verdichtet?

Ich war im Sommerurlaub in den Bergen, als ich an dem Beweis arbeitete. An manchen Tagen arbeitete ich am Computer und an anderen wanderte ich. Während des Laufens hatte ich Zeit, über das Problem nachzudenken. Ich habe jeden Schritt im Kopf nachvollzogen und im Laufe der Zeit wurde ich immer sicherer, dass alles aufgeht.

Haben Sie sich auch zuvor schon mit Parkettierungen beschäftigt?

Ja, aber ich habe zunächst mitaperiodischen Parkettierungen gearbeitet. Aperiodische Symmetrien finden wir zum Beispiel in der Struktur von Quasikristallen. Das bekannteste Beispiel ist das Penrose-Parkett. Es besteht aus zwei Kacheln und erzeugt ein scheinbar gleichmäßiges Muster. Ein anderes Beispiel sind die Wang-Dominos. Das sind Quadrate, die an den Seiten eingefärbt sind. Beim Zusammenlegen dürfen nur gleichfarbige Seiten aneinandertreffen, wie bei einem Dominospiel. Es war zunächst nicht klar, ob es ein Set an Wang-Dominos gibt, die ein aperiodisches Muster erzeugen.

Aperiodische Parkettierung

Im Gegensatz zu periodischen Tilings, bei denen sich eine bestimmte Kachelform im immer gleichen Abstand regelmäßig wiederholt, wie zum Beispiel bei den bereits erwähnten Badezimmerfliesen, sind aperiodische Parkettierungen immer nur in einem bestimmten Abschnitt symmetrisch.Im Bild sehen wir das bekannteste aperiodische Parkett: Das Penrose – Tiling. Der Mathematiker Roger Penrose entdeckte im Jahre 1973 die beiden Kacheln, die zwar ein sehr gleichmäßiges aber eben nicht periodisches Muster erzeugen. Aperiodisch bedeutet in diesem Zusammenhang, dass sich zum Beispiel der Stern, den man im Zentrum des Musters ausmachen kann, zwar wiederholt, sich jedoch die Abstände zwischen diesen Sternen verändern. Die Parkettierung ist aber auch nicht chaotisch, sondern weißt klar eine Struktur auf. Es ist nicht leicht dies mathematisch korrekt zu erfassen. Bis heute gibt es in der Mathematik keine universell gültige Definition für Aperiodizität. Im Jahre 2011 wurde dem israelischen Chemiker Daniel Shechtman der Nobelpreis für die Entdeckung für die Entdeckung eines Kristalls mit einer aperiodischen Struktur, einem sogenannten Quasikristall, verliehen.

Pen0305c coloredDas Penrose- Tiling besteht aus zwei Kacheln, die sich zwar mit deutlicher Struktur aber ohne gleichmäßiger Periode zu einem Muster zusammenfügen.

Und gibt es eines?

Ja, das erste hat 1966 Robert Berger gefunden. Es besteht aus 20,426 Steinen. 2015 gelang es meinem Kollegen Emmanuel Jeandel und mir einen neuen Satz mit einer minimalen Anzahl von elf Steinen zu finden. In der mathematischen Gemeinschaft war dieser Fund übrigens eine viel größere Überraschung und hat für mehr Aufsehen gesorgt, als die Klassifikation der konvexen Parkettierungen der Ebene. 

Wang_11_tilesSpielt man mit diesen 11 Steinen des Wang-Tilings Domino, so erzeugt man ein aperiodisches Muster. Michael Rao und sein Kollege Emmanuel Jeandel konnten zeigen, dass es keinen kleineren Satzan Steinen mit dieser Eigenschaft gibt.

Wollten Sie schon immer Mathematiker werden?

Ich bin eigentlich gar kein Mathematiker, sondern Informatiker. Deswegen nähere ich mich den mathematischen Problemen von einer algorithmischen Seite. Aber ja, ich habe mich schon immer für Mathe, Computer und Wissenschaft interessiert.

Wie geht es jetzt für Sie weiter? Vielleicht ein Millennium Problem? P=NP?

Nein, auf keinen Fall. (lacht) Das ist unmöglich. Ich werde versuchen meinen Ansatz für nicht-konvexe Parkettierungen zu erweitern. Vielleicht versuche ich „den Einstein“ zu finden. Das ist eine einzelne Kachel, die ein aperiodisches Muster erzeugt, ähnlich wie das Penrose Parkett. Außerdem denke ich darüber nach, die Ebene zu verlassen und an dreidimensionalen Parkettierungen des Raumes zu arbeiten. Nebenbei beteilige ich mich an meiner Universität in Lyon ein Fab-Lab für Kinder einzurichten. Wir bauen Roboter und bringen den Kindern das Programmieren bei. Wir nennen es den „Hacker-Space“. 

Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für das Interview genommen haben. Und viel Erfolg bei der Suche nach dem Einstein. 

Aperiodische Parkettierungen und der Einstein.

Die Suche nach dem Einstein, der nichts mit dem Physiker Albert zu tun hat, wurde von dem Deutschen Geometer Ludwig Danzer ausgerufen. Er münzte diesen Begriff für eine einzelne Kachel, die die Eigenschaft hat, eine aperiodische Parkettierung zu erzeugen. Bislang bestehen aperiodische Parkettierungen, wie zum Beispiel das Penrose-Parkett, immer aus einem Satzvon mindestens zwei Kacheln.

Ein Stein, der der Lösung am nächsten kommt ist die Socolar-Taylor-Kachel. Auf dem Bild kann man allerdings erkennen, dass es sich nicht um einen zusammenhängenden Stein handelt, deswegen gilt sie nicht als der gesuchte „Einstein“. Die „Satellitenanteile“ müssen sich immer in dieser Position befinden und erzwingen so eine bestimmte Anordnung der Kacheln. Auf der Oberfläche sehen wir sich immer weiter vergrößernde Dreiecke. Diese Struktur ist ein Fraktal, ähnlich dem Sierpinski-Dreieck, die per Definition aperiodisch ist.

Socolar-Taylor_tileSocolar-Taylor_tiling

Die Socolar-Taylor Kachel und ein Ausschnitt der Parkettierung, die sich aus diesem Stein ergibt.

Interview: Anna M. Hartkopf