Der Film zum historischen Gletscherunglück und zur Rekonstruktion des Unfallortes gewinnt den fast forward science-Wettbewerb 2014 in der Kategorie Substanz. Damit ein Webvideo in dieser Kategorie preiswürdig ist, muss die fundierte Vermittlung von Wissenschaft und Forschung im Vordergrund stehen. Dennoch sollte der Film einen gewissen Unterhaltungswert haben.

Wenn 86 Jahre nach dem Verschwinden von vier Bergsteigern ihre sterblichen Überreste am Fuße des Großen Aletschgletschers fernab ihrer Route auftauchen, wirft das Fragen auf. Wo verschwanden die Wanderer und was war die Ursache dafür? Ein Forscher*innenteam von der FU Berlin und der ETH Zürich macht in dem Video erlebbar, dass Wissenschaft zur Beantwortung solcher Fragen durchaus geeignet ist.

Obwohl die wissenschaftliche Thematik hoch komplex ist, schafft es das Team um den Mathematiker Dr. Guillaume Jouvet, die Geschichte im Stil einer Nachrichtensendung anschaulich zu erzählen und den Zuschauer*innen spannende Einblicke in den Forschungsprozess zu ermöglichen, heißt es in der Begründung. Das Preisgeld beträgt 3.000 Euro. Herzlichen Glückwunsch!

www.fastforwardscience.de/gewinner-2014.html

Inzwischen haben Guillaume Jouvet, Antonia Mey, Tim Conrad und weitere Kolleg*innen der FU Berlin ein weiteres Video über Gletscher-Mysterien gemacht. Dieser Film wurde nun bei dem Fastforward Science 2014 Wettbewerb eingereicht und ist jetzt von der Jury in der Kategorie Substanz unter die 5 Finalisten gewählt worden. "Das bedeutet, dass das Video nun auch für einen "Community-Award" antritt, bei dem das Video auf Youtube so viele Kommentare und postives Feedback bekommen sollte wie irgend möglich", erläutert die Postdoktorandin Antonia Mey.

Hier das sehenswerte Video auf youtube

Weitere Infos zum Fast foward science Wettbewerb hier.

Der Mathematiker Guillaume Jouvet von der Freien Universität Berlin und der Glaziologe Martin Funk von der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich haben in der jüngsten Ausgabe des Fachblatts "Journal of Glaciology" ihre Ergebnisse zu den Todesumständen von vier Männern in den Alpen im Jahr 1926 publiziert.

Im März 1926 kehrten vier junge Männer, davon drei Brüder, nicht von ihrer Bergtour auf dem Großen Aletschgletscher zurück. 86 Jahre später fanden zwei englische Alpinisten die sterblichen Überreste der drei Brüder im ewigen Eis. Ausgehend vom Fundort der Knochen haben Guillaume Jouvet und Martin Funk mithilfe eines Computermodells den Ort zurückverfolgt, an dem die Männer zu Tode gekommen und vom Gletscher aufgenommen worden sein müssen.

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Im Bild: schwarzes Rechteck (oben links): Bereich des Bergunglücks; schwarze Linie: Weg der sterblichen Überreste der drei Brüder im Gletscher vom Jahr 1926 (oben links) bis zum Jahr des Fundes 2012 (unten rechts). (Abb.: G. Jouvet, M. Funk)

Im März 1926 erreichten mittags vier Männer, drei von ihnen Brüder, den Großen Aletschgletscher, den mit 23 Kilometern längsten Eisstrom der Alpen. Laut Augenzeugen brachen sie am Nachmittag zu einer Tour auf. Es war das letzte Mal, dass man sie lebend sah. Wahrscheinlich gerieten sie in einen Schneesturm und erfroren. 86 Jahre später, im Juni 2012, fanden zwei englische Wanderer Überreste und Ausrüstungsgegenstände der drei Brüder; der vierte Mann bleibt verschollen.

Ausgehend vom Fundort der Knochen haben der Mathematiker Guillaume Jouvet aus der Arbeitsgruppe von Professor Ralf Kornhuber an der Freien Universität Berlin und der Glaziologe Martin Funk von der ETH Zürich nun den Ort ermittelt, an dem die Männer höchstwahrscheinlich starben und vom Gletscher aufgenommen wurden. Bei der Rekonstruktion half ihnen ein Computermodell, das Jouvet 2010 während seiner Doktorarbeit an der ETH Lausanne entwickelt hatte.

Ursprünglich hatten die Mathematiker und Glaziologen das Modell erstellt, um Wachstum und Schwund des Aletschgletschers im Zeitalter des Klimawandels zu verstehen. Das Simulationswerkzeug der Forscher stellte erstmals das dreidimensionale Fließfeld des Gletschers dar und ließ auch Aussagen über die Fließgeschwindigkeit im Innern des Gletschers zu. Mit ihrem Modell simulierten die Forscher zunächst die zukünftige Entwicklung des Aletschgletschers in einem sich verändernden Klima.

Im Fall der vermissten Wanderer nutzten die Forscher das Modell, um die Geschichte des Gletschers rückwärts zu simulieren: um den Weg zurückzuverfolgen, den die sterblichen Überreste der Brüder im Gletscher nahmen. Das Modell berücksichtigt die zeitlich und räumlich variierende Fließgeschwindigkeit des Eises. Es zeigte sich, dass die Körper mit einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von 122 Metern pro Jahr insgesamt rund 10,5 Kilometer im Eis transportiert worden sein müssen. So gelang es den Wissenschaftlern, das Gebiet, in dem die Alpinisten verschwanden und vom Gletscher "verschluckt" wurden, zu bestimmen und auf eine Fläche von 1600 mal 300 Metern einzugrenzen.

Jouvet und Funk hoffen, bei der Lösung weiterer ungeklärter Fälle helfen zu können, zum Beispiel beim spurlosen Verschwinden eines Flugzeugs des Typs Dakota C-53. Im November 1946 stürzte die Maschine auf dem Gauligletscher in den Berner Alpen ab. Die Passagiere - amerikanische Militärangehörige - konnten in einer komplizierten Aktion gerettet werden; die Maschine verschwand im Eis. Die Forscher wollen mithilfe ihres Programms eine Prognose erstellen, wann das Flugzeug wieder vom Gletscher freigegeben werden wird. Vom vierten jungen Mann, der die drei Brüder an jenem Tag im Jahr 1926 begleitet hatte, fehlt bis heute jede Spur - bis das Eis eines Tages vielleicht auch seine sterblichen Überreste freigibt.

Abbildungen, Filme, Informationen:
www.page.mi.fu-berlin.de/jouvet/#simulations

Fachpublikation: www.igsoc.org/journal/60/220/

Medienmitteilung der ETH Zürich: www.bit.ly/1mbPeUW

Pressemitteilung der FU Berlin: www.bit.ly/Mfb2yW

Thomas Vogt