Vor 150 Jahren, am 7. Januar 1871, wurde Félix Édouard Justin Émile, genannt Émile Borel, im südfranzösischen Saint-Affrique geboren. Er hat sich um die Grundlagenforschung in der Analysis verdient gemacht; insbesondere gilt er mit seinen Arbeiten zur Maßtheorie neben dem ebenfalls aus Frankreich stammenden Henri Léon Lebesgue als Vater der modernen Maß- und Integrationstheorie.

Emile Borel 1932Émile, Borel Foto: Freie Lizenz

Nach seiner Schulzeit am Elitegymnasium Lycée Louis-le-Grand in Paris studierte er Mathematik an den nicht weniger renommierten Pariser Hochschulen École normale supérieure und der École Polytechnique. Seinen Abschluss erlangte er im Jahr 1892, der Titel seiner Abschlussarbeit lautete Sur quelques points de la théorie des fonctions ("Über gewisse Punkte in der Theorie der Funktionen"). Nach einer Zwischenstation als Dozent an der Universität von Lille ging er 1897 an die École normale supérieure zurück, wo er von da an forschte und lehrte.

1928 gründete er gemeinsam mit Jacques Hadamard und Émile Picard sowie dem US-amerikanische Mathematiker George David Birkhoff das renommierte Forschungsinstitut Institut Henri Poincaré in Paris, das heute eine der weltweit größten mathematischen Bibliotheken beherbergt und unter anderem als Sitz der Société Mathématique de France, der französischen Schwestergesellschaft der DMV, fungiert.

Nicht nur als Wissenschaftler, sondern auch als Politiker machte sich Borel einen Namen: So wurde er 1924 in die Abgeordnetenkammer, dem Parlament der dritten französischen Republik, gewählt, der er 10 Jahre angehörte. Unter Premierminister Paul Painlevé, seines Zeichens selbst Mathematiker, diente er 1925 als Marine-Minister. Während des zweiten Weltkrieges engagierte sich Borel bei der Resistance.

Paul Painlevé 1923Unter Ministerpräsident Painlevé diente Borel als Minister der Kriegsmarine. Foto: freie Lizenz

Borel galt als einer der produktivsten und innovativsten Mathematiker seiner Zeit. Allein in seiner fünf Jahre währenden Zeit in Lille veröffentlichte er 22 Fachartikel. Zahllose Begriffe aus der Maßtheorie und der mengentheoretischen Topologie tragen seinen Namen, wie zum Beispiel Borel-Algebren, das sind Mengensysteme, auf denen man Maße definieren kann, oder der Satz von Heine-Borel, einem wichtigen Hilfsmittel für die Charakterisierung von kompakten Teilmengen des \(\mathbb{R}^n\).

Neben mathematischer Grundlagenforschung hatte Borel ein breitgefächertes Interessenspektrum, das in die verschiedensten Bereiche der Mathematik eindrang; er veröffentlichte Arbeiten zu Statistik, Hyperbolischer Geometrie, Stochastik, und sogar Spieltheorie, die als eigenständige mathematische Disziplin noch gar nicht existierte. In der Wahrscheinlichkeitsrechnung ersann er zur Illustration des Lemmas von Borel-Cantelli das heute Infinite Monkey Theorem genannte Gedankenexperiment, nachdem ein Affe mit einer Wahrscheinlichkeit von 1 (Mathematiker*innen reden hier von „fast sicher“) irgendwann sämtliche Bücher der französischen Nationalbibliothek auf einer Schreibmaschine tippen würde – vorausgesetzt, man lässt dem Affen genügend Zeit. 

Chimpanzee seated at typewriterEin Affe an einer Schreibmaschine. Wenn der Affe wahllos und zufällig in die Tasten tippt, wird mit 100 prozentiger Wahrscheinlichkeit irgendwann jedes beliebige literarisches Werk geschrieben haben; es würde nur sehr lange dauern. Falls der Affe mit einer Geschwindigkeit von einem Zeichen pro Sekunde tippen würde, bräuchte er für diesen Text ohne Beachtung von Groß- und Kleinschreibung eine Zeit in der Größenordnung von 10^4000 Jahren; das Universum ist nicht einmal annähernd so alt (ca. 13*10^9 Jahre). Foto: freie Lizenz

Er starb 1956 im Alter von 85 Jahren in Paris.