Der russische Mathematiker Grigori Alexandrowitsch Margulis feiert am 24. Februar seinen 75. Geburtstag. Er gilt als einer der profiliertesten Mathematiker der Gegenwart. Der Abelpreisträger des Jahres 2020 gehört zu den wenigen Mathematikern, denen die Ehre zuteilwurde, sowohl mit dem Abelpreis als auch mit der Fields-Medaille ausgezeichnet worden zu sein [1] – und ist der Einzige, der weder die eine noch die andere Auszeichnung persönlich entgegennehmen durfte.

Margulis wurde 1946 in Moskau geboren. 1962 belegte er bei der Internationalen Mathematik-Olympiade in Budweis (CSSR, heute Tschechische Republik) den 2. Platz. Im gleichen Jahr schrieb er sich für Mathematik an der Moskauer Lomonossow-Universität ein, wo er 1970 bei Yakov Sinai zu einem Problem aus der Ergodentheorie promovierte. 

Später beschäftigte sich der zwischenzeitlich Habilitierte vornehmlich mit speziellen diskreten Untergruppen von Lie-Gruppen, die Gitter genannt werden. 

MargulisAbbildung 1: Grigori Margulis (Foto: Dan Rezetti, Bildquelle: https://www.abelprize.no/nyheter/vis.html?tid=76103)Für seine Arbeiten zu Gittern in Lie-Gruppen wurde ihm 1978 die Fields-Medaille verliehen; eine persönliche Entgegennahme Margulis‘ wurde vonseiten der sowjetischen Behörden allerdings vereitelt, die ihm eine Ausreiseerlaubnis nach Helsinki, Tagungsort des Internationalen Mathematikerkongresses 1978, verweigerten. 

Sein Laudator Jacques Tits befand zu Margulis Abwesenheit: „[…] I cannot but express my deep disappointment - no doubt shared by many people here - in the absence of Margulis from this ceremony. In view of the symbolic meaning of this city of Helsinki, I had indeed grounds to hope that I would have a chance at last to meet a mathematician whom I know only through his work and for whom I have the greatest respect and admiration.“(„Meine – zweifelsohne mit den hier anwesenden geteilte – Enttäuschung über die Abwesenheit von Margulis von dieser Preisverleihung ist nicht in Worte zu fassen. In Hinblick auf die Symbolkraft der Stadt Helsinki [2] hatte ich Hoffnungen gefasst, diesen bewundernswerten Mathematiker, den ich vorher nur durch seine Arbeiten kannte, endlich persönlich kennenlernen zu dürfen“).

1991 wechselte Margulis an die Yale-Universität, wo er bis heute lehrt und arbeitet.

2020 wurde ihm, zusammen mit Hillel Fürstenberg, der Abelpreis verliehen. Aufgrund der Corona-Pandemie übertrug die norwegische Akademie der Wissenschaften die Verleihung allerdings als Livestream.

Margulis Forschungsgebiet liegt, grob gesprochen, im Grenzbereich von Algebra und (Differential-)Geometrie. Einer der Schwerpunkte in Margulis mathematischen Werk ist die Erforschung von Liegruppen, das sind Objekte, die sowohl eine geometrische als auch eine algebraische Struktur tragen, mit Hilfe von Gittern, also diskreten Untergruppen, die in einem gewissen Sinne die Gruppe hinreichend gut aufspannen (genauer: Ein Gitter ist eine diskrete Untergruppe, dessen Quotientenraum endliches Volumen hat).

GitterAbbildung 2 Das Gitter \(\mathbb{Z}(1,1)oplus \mathbb{Z}(-2,1)\) in \(\mathbb{R}^2\). Gitter treten allerdings nicht nur in flachen Gefilden wie dem \(\mathbb{R}^2\) auf: Margulis untersucht vor allem solche Gitter, die in gekrümmten Räumen beheimatet sind.

 

Da Gitter auf natürliche Weise in der Zahlentheorie auftauchen – beispielsweise lassen sich die ganzen Zahlen als ein Gitter in den reellen Zahlen oder endliche zyklische Gruppen als Gitter in der Kreisgruppe auffassen und Gitter in den komplexen Zahlen bilden das Grundgerüst für die Theorie der elliptischen Kurven und der Modulformen – findet Margulis‘ Arbeit auch dort Anschluss und ist beispielhaft für die sich im 20. Jahrhundert Bahn brechende Vereinheitlichung und Zusammenführung verschiedener mathematischer Gebiete.


[1] Die anderen sind Jean-Pierre Serre, Michael Francis Atiyah, John Griggs Thompson, John Milnor und Pierre Deligne.

[2] Gemeint ist hier der Status Helsinkis als Austragungsort der folgenreichen Konferenz über die Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE), die als ein Höhepunkt der Entspannungspolitik zwischen den Staaten des Warschauer Paktes und der NATO der 1970er Jahre gilt.