Am 11. Februar 2021 ist Isadore Singer im Alter von 96 Jahren verstorben. Singer gehört ohne Zweifel zu den bedeutensten Mathematikern des 20. Jahrhunderts. Er hat maßgeblich die Entwicklung der Mathematik in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts mitbestimmt. Ein Höhepunkt seiner Laufbahn als Mathematiker war die Zusammenarbeit mit M. Atiyah, die im Beweis des ”Indexsatzes von Atiyah-Singer” gipfelte. Der Indexsatz stellt einen tiefen Zusammenhang zwischen zwei sehr unterschiedlichen Gebieten der Mathematik – der Analysis und der Topologie – her. Auf der analytischen Seite geht es um die Dimension von Lösungsräumen elliptischer Differentialgleichungen auf kompakten Mannigfaltigkeiten. Der Index eines elliptischen Differentialoperators auf einer kompakten Mannigfaltigkeit ist die Differenz der Dimension des Kernes und der Dimension des Kokernes des Operators. Der Inhalt des Indexsatzes ist die Berechnung des Indexes mittels einer topologischen Invariante der Mannigfaltigkeit, dem Todd-Geschlecht, und einer Invariante, die man aus dem Hauptsymbol des Differentialoperators gewinnt. Eine Inspiration für die Entwicklung des Indexsatz kam von I.M. Gelfand. Er hatte bemerkt, dass der Index eines elliptischen Differentialoperators invariant unter Homotopien ist und wurde dadurch zur Vermutung veranlasst, dass der Index durch eine topologische Formel gegeben ist. Vorläufer des Indexsatzes waren der Satz von Gauß-Bonnet-Chern, der Signatursatz von Hirzebruch und der Satz von Hirzebruch-Riemann-Roch, die scheinbar völlig verschiedene Gebiete betreffen. Sie erweisen sich aber als Spezialfälle des Indexsatzes, der sie in genialer Weise verallgemeinert und vereint. Raoul Bott hat ebenfalls wichtige Beiträge zum Indexsatz geleistet, insbesondere durch den Fixpunktsatz von Atiyah und Bott. Deshalb nannte man Atiyah, Bott, Hirzebruch und Singer auch die “Gang of Four”. Mit Singer ist nun das letzte Mitglied dieser für die Mathematik so einflußreichen “Gang” dahingegangen.

Der Indexsatz wurde in vielfältiger Weise weiterentwickelt. Daraus ist die Indextheorie hervorgegangen. Ein wichtiger weiterer Meilenstein war der Indexsatz von Atiyah, Patodi und Singer, der eine Verallgemeinerung des Signatursatz von Hirzebruch auf Mannigfaltigkeiten mit Rand beinhaltet. Der Beitrag des Randes zum Indexsatz ist eine spektrale Invariante des Signaturoperators auf dem Rand, die als Eta-Invariante große Bedeutung erlangt hat.

Neben dem Indexsatz hat Singer weitere wichtige Entwicklungen in der Mathematik initiiert. Dazu gehört insbesondere die analytische Torsion, die von Ray und Singer als analytisches Pendant der Reidemeister-Torsion, einer topologischen Invariante von Mannigfaltigkeiten, eingeführt wurde. Das Analogon der analytischen Torsion für komplexe Mannigfaltigkeiten spielt heute eine wichtige Rolle in der arithmetisch algebraischen Geometrie z.B. im Zusammenhang mit dem arithmetischen Satz von Riemann-Roch.

Mitte der 1970iger Jahre begann die Entwicklung der Eichfeldtheorie, die den Rahmen für die Quantenfeldtheorie der Elementarteilchen bildet. Die Eichfeldtheorie gründet sich auf grundlegende Konzepte der Differentialgeometrie. Dies führte zu engen Zusammenhängen zwischen Eichfeldtheorie, Geometrie und Topologie. Insbesondere führte dies zum Zusammenhang zwischen “Anomalien” der Quantenfeldtheorie und der Indextheorie elliptischer Operatoren. Singer begann sich nun sehr intensiv mathematischen Problemen der Quantenfeldtheorie zuzuwenden. In Oxford arbeitete er mit Atiyah und Hitchin über Instantons. In diesen Arbeiten spielte wieder der Indexsatz eine wichtige Rolle. Diese Arbeiten regten eine Menge von neuen Ideen an, die sowohl Mathematiker als auch Physiker faszinierten und inspirierten.

Isadore Singer wurde am 3. Mai 1924 in Detroit geboren. Er begann das Studium der Physik an der Universität von Michigan und schloß es mit dem Bachelorgrad ab. Danach wechselte er zur Mathematik und setzte sein Studium an der Universität Chicago fort, dass er 1950 mit dem PhD abschloß. Anschließend war er als Postdoc am MIT. Er lehrte zeitweise an der UCLA, der Columbia University, in Princeton und an der U.C. Berkeley. Während seiner Zeit in Berkeley war er beteiligt an der Gründung des MSRI. 1983 kehrte er an das MIT als John D. MacArthur Professor zurück und lehrte hier für die nun folgenden Jahre.

Singer war Mitglied in zahlreichen Kommissionen und hatte viele wichtige Positionen inne. Zum Beispiel war er Vorsitzender des "Committee of Science & Public Policy" der Nationalen Akademie der Wissenschaften der USA, war Mitglied des wissenschaftlichen Beirats des Weißen Hauses (1982-88) und des National Research Councils (1995-99).

Für seine wissenschaftlichen Leistungen wurde er mit vielen Preisen geehrt. Beispiel sind der Bôcher Preis (1969), die National Medal of Science (1983) und die Eugene Wigner Medal (1988). Den Leroy P. Steele Prize für das Lebenswerk der American Mathematical Society (AMS) bekam er im Jahr 2000, 2004 dann den Abelpreis.

Isadore Singer 1977Isadore Singer, verstorben 2021. Quelle: MFO

Werner Müller

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