1806, als die Stadt Braunschweig im Zuge der Napoleonischen Kriege erobert wurde, bekam der dreißigjährige Carl Friedrich Gauss ungewöhnlichen Besuch von einem französischen Offizier. Er erkundige sich auf Befehl des Generals Pernety nach seinem Wohlergehen, sagte der Offizier, für das er von nun an persönlich verantwortlich sei. Eine gewisse Mademoiselle Germain aus Paris, Tochter eines Freundes des Generals, sei besorgt, dass dem Mathematiker das gleiche Schicksal ereilen könne wie einst Archimedes, der bei der Belagerung von Syrakus von römischen Soldaten erschlagen wurde.

Gauss entgegnete verwundert, dass er das Fräulein aus Paris nicht kenne, wenngleich er sich freue, dass sich eine Unbekannte um seine Sicherheit sorge. Er überlebte die Besetzung der Stadt unbeschadet.

Monate später, als die Wirren der Belagerung vorüber waren, erhielt Gauss einen Brief, in dem die rätselhafte Französin ihre wahre Identität preisgab: Bei dem Studenten Auguste Antonie LeBlanc aus Paris, mit dem Gauss seit längerer Zeit über Probleme aus der Zahlentheorie korrespondierte, handelte es sich in Wirklichkeit um Sophie Germain, die für Korrespondenzen den Namen eines verstorbenen Freundes und Mathematikstudenten als Pseudonym verwendete.

Portrait Sophie GermainAbbildung 1: Sophie Germain

Entzückt von dieser Offenbarung antwortete Gauss: „Wie kann ich mein Erstaunen und meine Begeisterung über Verwandlung meines Freundes M. LeBlanc in diese wunderbare Person ausdrücken? Wenn eine Frau durch ihr Geschlecht und durch unsere Gewohnheiten und Vorurteile, unendlich mehr Hürden bei der Erforschung undurchdringlicher zahlentheoretischer Probleme ausgesetzt ist, und dennoch jene Fesseln löst und in Gefilde vordringt, die den meisten verborgen sind, erfordert dies zweifelsohne edelsten Mut, außergewöhnliches Talent und überlegenes Genie“

Geboren wurde Sophie Germain 1776 als Tochter eines wohlhabenden Textilkaufmanns in Paris. Das Elternhaus war geprägt von den Geschehnissen der französischen Revolution, ihr Vater war Mitglied in der verfassungsgebenden Versammlung. Zwar wurde Wert auf Bildung gelegt, das Interesse Germains an Mathematik wurde allerdings unterdrückt, sodass sie mathematische Literatur nur heimlich lesen konnte. 

Weil Frauen zu dieser Zeit nicht studieren durften, besorgte sie sich unter dem Namen Auguste Antonie LeBlanc Vorlesungsunterlagen der Ecole Polytechnique in Paris. Das Pseudonym verwendete sie später in ihren Briefen, da sie befürchtete, als Frau nicht ernstgenommen zu werden. Unter dem Namen LeBlanc reichte sie Lösungen zu Übungsaufgaben bei dem an der Ecole Polytechnique tätigen Joseph Louis Lagrange ein, der daraufhin den begabten Studenten persönlich kennenlernen wollte. Als sich herausstellte, dass es sich bei LeBlanc um eine Frau handelte, war Lagrange begeistert und förderte sie. Ein Studium an der Ecole konnte sie dennoch nicht aufnehmen. 

Joseph Louis Lagrange2Abbildung 2: Joseph Louis Lagrange

Später nahm sie an mehreren Preisausschreiben zu Problemen aus der Elastizitätstheorie teil, bei denen sie teilweise auf massiven Widerstand von männlichen Mathematikern stieß, allen voran in der Person Dennis Poissons, der als Jurymitglied und Kontrahent ihre Beiträge sabotierte und später ihre Ergebnisse plagiierte. Enttäuscht von dem Verhalten ihrer Widersacher blieb sie der Preisverleihung für den ihr 1815 zuerkannten Preis fern.

Nach ihrer Beschäftigung mit der Elastizitätstheorie widmete sie sich wieder vermehrt zahlentheoretischen Problemen. Insbesondere der erst vor 30 Jahren bewiesene große Satz von Fermat, dass die Gleichung \(x^n+y^n=z^n\) keine ganzzahligen Lösungen für \(n>3\) und \(x\ ,y\,z\neq 0\) haben, weckte ihr Interesse. Mit den von ihr entdeckten Germain-Primzahlen gelang es ihr, einen wichtigen Spezialfall des Satzes zu beweisen; sie zeigte:

Sei \(p\) eine Primzahl und sei \(\theta\) eine weitere Primzahl mit der Eigenschaft, dass wenn (erstens) \(x^p+y^p+z^p\) von \(\theta\) geteilt wird, und (zweitens) \(x^p\) nach Division mit \(\theta\) niemals den Wert \(p\) ergibt, dann hat die Gleichung keine ganzzahligen Lösungen derart, dass die Zahl \(p\) keine der Zahlen \(x\), \(y\) und \(z\) teilt. 

Mit Hilfe dieses Spezialfalls war es ihr möglich, den Satz von Fermat für Primzahlexponenten kleiner als 270 zu beweisen und ebnete den Weg für weitere Spezialfälle dieser Art.

Sie starb 1831 an Brustkrebs.

krg