Kleine Geometrieaufgabe: Welche Form können polygonale Fliesen oder Kacheln haben, mit denen sich die Ebene ohne Überlappungen und Zwischenräume pflastern lässt? Rotation, Translation und Spiegelung sind erlaubt. Die Frage nach der perfekten Pflasterung („tiling“) sieht einfach aus, ist es aber nicht; vielmehr stellt sie ein komplexes Problem der Diskreten Geometrie dar, an dem Geometriker*innen lange Zeit gepuzzelt haben.

Dreiecke und Vierecke bieten sich zur Pflasterung an, das geht immer. Die Sechsecke, mit denen man Pflastern kann, sind relativ leicht zu beschreiben. Aber was ist mit Fünfecken? Manche passen, andere nicht... Mathematiker*innen – Profis und Amateure – haben während der vergangenen 100 Jahre insgesamt 15 Typen von Fünfecken gefunden, mit denen man die Ebene lückenlos bedecken kann. Die Identifikation dieser 15 Fünfeckstypen erforderte cleveres und ausdauerndes Knobeln, zuletzt auch mit Computerhilfe, und führte zu fünfeckigen Fliesen mit teils ausgefeilten Geometrien.

KachelungBisher bekannte 15 Arten der Parkettierung mit Fünfecken (nach Ed Pegg, wikipedia, CC-BY-SA)
 
Die Suche nach den fehlenden Fünfecken ist eine spannende Geschichte hundertjähriger mathematischer Forschung, mit zahlreichen Beiträgen mathematischer Amateure: Sie begann im Jahr 1918, als ein junger, ambitionierter, deutscher Mathematiker namens Karl August Reinhardt an der damaligen Königlichen Universität zu Frankfurt am Main seine Doktorarbeit mit dem Titel „Über die Zerlegung der Ebene in Polygone“ einreichte, in der er die ersten Fünfeck-Typen präsentierte.


Reinhardt wurde später auch dadurch sehr bekannt, dass er (in seiner Habilitationsschrift 1921) „Reinhardtsche Körper in zwei komplexen Dimensionen“ neu entwickelte und 1928 Hilberts 18. Problen löste, indem er ein Polyeder fand, aus dem der dreidimensionale Raum lückenlos auf nicht auf periodische Weise aufgebaut werden kann.

Als nächster führte erst wieder Richard B. Kershner 1968 die Suche nach weiteren Fünfecken fort, fand drei weitere Typen und konstatierte, dass mit nun insgesamt acht Fünfeck-Typen alle gefunden seien. Das las - wird kolportiert - der Informatiker Richard E. James, in Martin Gardners beliebter Kolumne Mathematical Games im Scientific American, wollte es nicht glauben und fand tatsächlich 1975 ein weiteres Fünfeck („Typ 10“). Kershners Behauptung, er habe eine„komplette Liste“ war damit widerlegt. Durch die Arbeit von James konnte auch im Nachhinein erklärt werden, welches Parkettierungssystem Kershner übersehen hatte...

Ebenfalls angeregt von Martin Gardners Kolumne machte die mathematische Amateurin und Autodidaktin Marjorie Rice die Parkettierung mit Fünfecken zu ihrem Thema. „Sie entwickelte ihre eigene Notation für Fünfecke und fand auf diese Weise eine weitere, bisher unbekannte Fünfeckform (Typ 9), die sie Gardner zuschickte. Gardner leitete die Arbeit von Rice weiter an die Mathematik-Professorin Doris Schattschneider, die mit Rice in Kontakt trat und in den folgenden Jahren Rices Ergebnisse publizierte“, heißt in einem fundiert recherchierten Artikel auf Wikipedia. Das war 1976/77. Fast zehn Jahre später, 1985, fand dann der deutsche Mathematikstudent Rolf Stein „Typ 14“.

Zuletzt (Ende 2015) hatte das Mathematiker-Ehepaar Casey Mann und Jennifer McLoud-Mann mit „ihrem“ Studenten David Von Derau an der University of Washington in den USA per Computersuche die bisher letzte pentagonale Kachelung gefunden, also eine weitere Fünfecksform.
Doch die entscheidende Frage war noch offen: Sind mit diesen 15 Typen nun alle Fünfeck-Varianten gefunden, mit denen man die Ebene lückenfrei auslegen kann, oder nicht?

Sollten es alle sein, so fehlte der Beweis. Das könnte sich nun geändert haben. Jedenfalls hat der Mathematiker Michael Rao von der ENS Lyon (École Normale Supérieure de Lyon) einen Algorithmus vorgeschlagen, mit dem sich alle Fünfeck-Varianten zweifelsfrei identifizieren lassen sollen, die eine Ebene lückenlos pflastern. Und siehe da, seine Computer-Rechnung ergibt: Es gibt nur genau die 15 Typen von Fünfecken, die bisher gefunden wurden; aber auch keine weiteren.

In seiner Arbeit reduzierte Rao zunächst die potentiell in Frage kommenden Fünfeckstypen, indem er sich auf solche mit bestimmten (sinnvollen) Winkeln beschränkte. So fand er zunächst heraus, dass nur begrenzt viele Fälle zu überprüfen seien, nämlich exakt 371. Das war an sich schon eine wichtige Erkenntnis und machte seinen Algorithmus überhaupt erst möglich.

Rao stellte seine Arbeit im Mai 2017 auf einer Konferenz in Montreal vor und veröffentlichte sie auf dem arXive preprint Server am 1. August 2017.

Nun ist die Fachwelt aufgerufen, die Arbeit zu prüfen und (hoffentlich) den Beweis zu bestätigen. Sollte Letzteres erfolgen, dann ginge die Suche nach dem fehlenden Fünfeck nach 100 Jahren zu Ende.

Akzualisiert am 1. August 2017.

Thomas Vogt, DMV-Medienbüro

Mehr zum Thema:

Science Slam von Dirk Frettlöh, Institut für Mathematik der Universität Bielefeld, zum Thema "Aperiodische Pflastersteine" (2012):