Mathemacherin des Monats Dezember 2017 ist Roswitha Jahnke. Wer immer etwas wollte von, mit, in, gegen oder wegen der DMV: Sie bekam alles ab. Zwölf Jahre Geschäftsführerin der Deutschen Mathematiker-Vereinigung, das sind zwölf Jahre Sitzungen, Buchhaltung, Steuern, Verträge, zwölf Jahre Adressatin für Lob, Beschwerden und natürlich den ein oder anderem Plausch mit vertrauten Mitgliedern. Was tut man nicht alles für die Mathematik! In wenigen Monaten übergibt die Diplommathematikerin Roswitha Jahnke an die Diplomgeographin Andrea Kirstein-Gaekel, die sie bereits eingearbeitet hat. Gewohnt entspannt und jovial wirkte die Frau, ohne die die DMV längst kollabiert wäre, beim Treffen an ihrer Wirkungsstätte, der DMV-Geschäftsstelle in der Markgrafenstraße in Berlin-Mitte. Bei Tee und Keksen erzählte Sie dem DMV-Medienbüro von ihrem Werdegang und ihrem beruflichen Alltag.

DMV JahnkeFoto: DMV-Medienbüro

Frau Jahnke, wie ging alles los? In der Schule ...

Damals war ich in den Naturwissenschaften besonders gut! Bald kam die Frage: Was machste denn nach dem Abitur? Stadtplanung und Ingenieurwissenschaften fand ich sehr interessant, aber da Logik und Ordnung auch mein sonstiges Leben durchziehen, entschied ich mich für ein Mathestudium. Über den Studienplatz an der Humboldt-Uni war ich sehr froh. Die Mathematik dort war damals schon renommiert und als Ostberlinerin wollte ich nicht raus aus der Stadt.

Also war Ost-Berlin für Sie der optimale Ort. Galt das auch für die zeitgeschichtlichen Umstände?

In der DDR testete man Anfang der 1970er ein Express-Programm: Mathe-Studium komprimiert auf 4 Jahre. Damit war alles sehr verschult und es gab praktisch keine Gelegenheit in andere Bereiche zu schnuppern oder sich ein Netzwerk aufzubauen. Das war ein bisschen dem heutigen Bachelor/Master-System ähnlich, allerdings mit dem Unterschied, dass das DDR-Konzept schon nach zwei Jahrgängen wieder verworfen wurde. Leider war mein Jahrgang einer davon und ich also Gefangene dieser Strukturen!

... sie logisch und mit Ordnungsprinzipien aufgebaut ist. Deshalb macht es Spaß, sich darin zu bewegen und mit mathematischen Modellen Sachverhalte zu erklären. Je mehr man in die Mathematik eintaucht, umso besser kann man die Welt erklären.


Trotz der Entbehrungen: Sprach ein gutes Mathematikdiplom auf dem Arbeitsmarkt nicht für sich?


Jein. „Markt“ oder Stelle selber suchen war ja nicht: Wir Absolventen wurden alle von einer staatlichen Agentur vermittelt. Sie können sich meine Begeisterung vorstellen, als man mir vorschlug, im Landkreis Görlitz eine Sparkasse zu leiten. Dank meiner Studienleistungen bekam ich aber ein anderes Angebot, das ich nicht ablehnen konnte: Wissenschaftlerin am „Zentralinstitut für Mathematik und Mechanik“ der Akademie der Wissenschaften, dem heutigen WIAS. Dort begann ich Mitte der 1970er Jahre an numerischen Berechnungen zu arbeiten, die beim Modellieren von Ionisierungsvorgängen in der Laserphysik halfen. Das war total spannend und passte wunderbar zu meinen Spezialgebieten Numerik und Optimierung. Mit der Wiedervereinigung änderte das Institut seine Ausrichtung hin zu Analysis und Stochastik. Eine gewisse Wissenschaftlerin passte dann nach siebzehn Jahren nicht mehr ins Profil ...

Wir ahnen Schlimmes: Sie standen dann auf der Berliner Mohrenstraße ... ?

Zunächst, ja. Aber dann ging ich einfach eine Straße weiter! Überhaupt brachte ich mein ganzes Berufsleben hier im Kiez am Gendarmenmarkt zu. Bevor ich 2005 zur DMV kam, war ich nämlich zwölf Jahre wissenschaftliche Fachredakteurin beim Zentralblatt Mathematik. Im etwa zehnköpfigen Team kategorisierten und indizierten wir zunächst frühere Zentralblatt-Jahrgänge für die Datenbank des Zentralblattes. Das heißt: alles durchlesen, ordnen, Abstracts verfassen. Spätestens als ich das Gebiet „Dynamische Systeme“ betreute, hieß es auch: aktuelle Mathematik recht nah verfolgen, wenn auch ohne selbst welche zu machen. Gleichwohl eine tolle Aufgabe.

Apropos „machen“. Seit diesem Monat nennt man Sie „Mathemacherin“ für Ihre Leistungen in der DMV-Geschäftsstelle...

Ja, und das freut mich sehr! Als ich die Nachfolge der früheren Geschäftsführerin Anneliese Bertholdt antrat, trat ich nicht das erste Mal in ihre Fußstapfen. Wo ich auch hinkam, sie war schon da, denn schon im Akademie-Institut und beim Zentralblatt waren wir Kolleginnen. Eines Tages fragte sie mich: Willst du meine Stelle übernehmen?
Die vielen, sehr verschiedenen Aufgabenfelder waren neu für mich. Sekretariatsarbeit, Verzeichnisse, Archiv, Organisation von Sitzungen und Tagungen, Mitgliederbetreuung, Finanzen, Steuern später auch Aufgaben im Zusammenhang mit dem Abiturpreis und mit „Mathe im Advent“. Heute wundere ich mich, wie ich das im 1-Frau-Betrieb alles geschafft habe.

Und Sie wollten nie mit der Kohle durchbrennen!?

Es ist eine Vertrauensstelle. Loyalität musste ich erst beweisen...

Ja, das belegt eine historische Quelle. Schauen Sie!

DanksagungBertholdt ausmdmvAus Mittleilungen der DVM, 2005-3. Präsident G. Wildenhain: „Es war daher eine kluge Entscheidung, den Übergang von Frau Bertholdt in die Altersteilzeit mit einer kontinuierlichen Einarbeitung der Nachfolgerin, Frau Roswitha Jahnke, zu verbinden. Dieser Prozess ist inzwischen sehr erfolgreich abgeschlossen. Alles deutet darauf hin, dass Frau Jahnke das Amt als Leiterin der Geschäftsstelle ähnlich zuverlässig und erfolgreich ausfüllen wird, wie das Frau Bertholdt getan hat.“

... Vertrauensvorschuss gab es erst nach erfolgreicher Probezeit.

Der Herr Wildenhain! Er hat mich erst heute Morgen angerufen und alles Gute für den kommenden Ruhestand gewünscht.

In zwölf Dienstjahren erlebt man bestimmt einiges. An welche Episoden erinnern Sie sich?

Am meisten hatte ich mit den Schatzmeistern und Schriftführern zu tun. Ohne Jürg Kramers Unterschrift konnte ich lange nichts machen. Günter Törner kam auch nach seiner Amtszeit gelegentlich vorbei, um sich zu erkundigen und zu empfehlen. Mit Ehrhard Behrends war ich lange im Wahlteam, wir zählten und zählten die Stimmzettel.
Als Günter M. Ziegler DMV-Präsident wurde verwandelte sich die Geschäftsstelle zeitweilig in eine Werbeagentur. Herr Ziegler wunderte sich darüber, dass die Professoren-Mitglieder nur eine kleine Teilmenge der Mathematikprofessoren in Deutschland sind und wollte die Differenzmenge per persönlichem Anschreiben für die DMV gewinnen. Also gestalteten wir einen Serienbrief und er verbrachte seine nächsten Wochenenden signierend und grußformelnd mit Tinte und Füller. Tolle Ideen und engagierte Umsetzung – das schätze ich an Herrn Ziegler.
Außerdem gelte ich laut Internet als „Die DMV“, beziehungsweise deren erste Adresse. Also wenden sich viele Mitglieder zuerst an mich mit jeder Art von Anliegen, ob Administratives, Lob, Kritik oder einfach ein Plausch. Trotz der „Isolation“ im Büro, entwickelten sich daraus über die Jahre auch Bekanntschaften.

Haben Sie einen Rat für die Zukunft der DMV?

Früher galt es als Ehre, die Mathematik als DMV-Mitglied fördern zu können und das war ausschlaggebendes Argument für eine Mitgliedschaft. Die Haltung verkörpern in besonderem Maße alle unsere Amtsträgerinnen und Amtsträger, die ja ehrenamtlich arbeiten. Heute zieht das nicht mehr. Die jungen Leute fragen: was habe ich denn davon? Man braucht mehr Angebote für Studierende und Absolventen, vielleicht ein Programm, das individuell bei Berufsorientierung und –einstieg hilft. Auch die Kooperation mit anderen mathematisch-naturwissenschaftlichen Gesellschaften könnte man so oder generell stärken.

Und ihre persönliche Zukunft? Wie verbringen Sie Ihren Ruhestand?

Auf jeden Fall werde ich mehr Sport machen, Fahrrad, Fitness etc. Und natürlich die DMV-Mitteilungen lesen.

Wir danken Ihnen für das Gespräch.