Der Mathemacher der Monate April und Mai ist Edmund Weitz. Seit mehreren Jahren bemüht sich der Professor für Informatik und Mathematik der HAW Hamburg darum, die Mathematik von den Hörsälen in die Öffentlichkeit zu tragen, indem er nahezu alle seine Vorlesungen aufnimmt und frei verfügbar bei der Online-Videoplattform Youtube zur Verfügung stellt.

In seinen Videos behandelt er zahlreiche Themen der klassischen Mathematik und der klassischen theoretischen Informatik.

Neben den Videos zu den Vorlesungen befinden sich unter seinem Account auch noch weitere Videos zu Themen, die nicht auf dem Lehrplan stehen, wie beispielsweise Videos zum Auswahlaxiom, zu Goodsteinfolgen und zum fleißigen Bieber, einem speziellen Problem aus der Theorie der Turingmaschinen.

Besonderen Anklang finden seine Weihnachtsvorlesungen, in denen er sich populärwissenschaftlichen Themen der Mathematik zuwendet. Sie sind in erster Linie an ein (interessiertes) Laienpublikum gerichtet.

Weitz ist Autor verschiedener Fachbücher, sowie des Lehrbuchs „Konkrete Mathematik (nicht nur) für Informatiker (Springer)", bei dessen Lektüre man sich via QR-Code direkt zu seinen Videos verlinken lassen kann.

weitzEdmund Weitz
(Foto: Kolja Warnecke)

Neben Jörn Loviscach von der FH Bielefeld und Christian Spannagel von der PH Heidelberg gehören Sie zu den wenigen deutschsprachigen Mathematikprofessor_innen, die ihre Vorlesungen im großen Umfang aufnehmen und frei zugänglich im Internet veröffentlichen. Warum ist das hierzulande so wenig verbreitet?

Weitz: Zunächst wohl einfach deswegen, weil es Arbeit macht. Nach und nach entwickelt man eine gewisse Routine, aber trotzdem kommen zum normalen Aufwand, den man in die Vorlesung investiert, noch weitere Tätigkeiten wie Schneiden, Hochladen und Verschlagworten hinzu, die einfach Zeit kosten, die man auch für andere Dinge verwenden könnte. Ich habe das bei diversen Kolleginnen und Kollegen im eigenen Department beobachtet, die die Idee gut fanden und sich die von mir verwendete Technik teilweise schon vor Jahren erklären ließen. Bisher ist keiner von denen so weit, es wirklich zu machen, und als Grund dafür wird eigentlich immer mangelnde Zeit genannt.

Vielleicht fragen die Kollegen sich aber auch, warum sie es machen sollten. Die Hochschulen sehen es gerne, wenn ihre Professoren Drittmittel akquirieren und diese dann wieder ausgeben und wenn am Ende Veröffentlichungen dabei herausspringen. Da die Vorlesungsvideos kein Geld kosten, kein Personal binden und keine Paper generieren, sind sie im Hochschulalltag quasi unsichtbar.

Schließlich kann ich aus eigener Erfahrung berichten, dass man erst mal eine gewisse Hemmschwelle überwinden muss. Wenn Sie Videos Ihrer Vorlesungen im Internet frei zugänglich machen, können Sie sicher sein, dass jedes "Äh" und jeder Schreibfehler nicht nur wahrgenommen, sondern ggf. auch hämisch kommentiert wird. Damit muss man klarkommen können.

Wenn nahezu alle Vorlesungen online verfügbar sind, gibt es dann überhaupt noch Studierende, die zur Vorlesung erscheinen?

Weitz: Es mag ein paar geben, die sich die Vorlesung lieber zu Hause auf dem Sofa anschauen, aber ich beobachte keine signifikante Abnahme der Zuhörerzahlen. Mir scheint, die Videos werden hauptsächlich für das Nacharbeiten und Wiederholen eingesetzt, und so war es auch intendiert.

...jeder sie für sich selbst neu erfindet.


In Ihren Vorlesungen, insbesondere in den außerplanmäßigen, probieren
Sie häufig einen Spagat zwischen mathematischer Exaktheit und Allgemeinverständlichkeit. Was davon ist schwerer zu opfern, und warum?

Weitz: Ich musste in meinen ersten Jahren als Lehrender erst mühsam lernen, dass mathematische Exaktheit häufig der Feind des Verstehens ist. Und ich muss aufgrund meiner Ausbildung als Mathematiker immer noch etwas schlucken, wenn ich "Halbwahrheiten" von mir gebe oder etwas mit einem Beispiel begründe statt es formal zu beweisen. Aber ich bin inzwischen überzeugt, dass das zumindest für die Ansprache von "Laien" und für den Unterricht in Fächern, in denen die Mathematik nur eine "Hilfswissenschaft" ist, der richtige Weg ist. Was nützt mir die ganze Exaktheit, wenn sich meine Hörer spätestens nach der zweiten Definition geistig  verabschiedet haben? Da ist es mir lieber, wenn sie erst verstehen, sich dann mit dem Thema beschäftigen und sich dann später vielleicht beschweren, dass das ja so, wie ich es gesagt habe, nicht ganz stimmen kann.

In vielen Ihrer Videos, beispielsweise in denen zur Fourieranalysis, zu modularer Arithmetik und zu linearer Algebra verweisen Sie auf die Anwendungsmöglichkeiten der behandelten Themen "im echten Leben". Ist Mathematik erst dann interessant, wenn sie Anwendung findet?

Weitz: Nein, überhaupt nicht! Ich persönlich bin Mathematiker und brauche keine Anwendungen, um Mathematik interessant zu finden. Aber ich unterrichte an einer Fachhochschule und muss den Studentinnen und
Studenten - die dem Fach anfangs oft mit einer Mischung aus Angst und Abneigung begegnen - vermitteln, warum zu ihrem Studium überhaupt Mathematikvorlesungen gehören. Darum ist sinnvoll, Anknüpfungspunkte zum Rest des Curriculums aufzuzeigen. Nach meiner Erfahrung kann ich aber auch ab und zu den Spaß an der Mathematik als l'art pour l'art rüberbringen. Ich habe jedenfalls schon öfter Sätze gehört wie: "Ich hätte nie gedacht, dass Mathe so cool sein kann!"

Nach einer Weihnachtsvorlesung kommt eine ganz und gar fachfremde Person zu Ihnen und resümiert: "Herr Weitz, das war ein hervorragender Vortrag, tolle Unterhaltung! Leider habe ich absolut gar  nichts verstanden." Wie würden Sie reagieren?

Weitz: Der Konjunktiv ist gar nicht nötig, weil ich das fast wortwörtlich schon öfter gehört habe. Ich finde das nicht schlimm, weil nicht jeder alles verstehen muss. Im Allgemeinen ist es dann trotzdem so, dass etwas hängenbleibt - und sei es nur, dass Mathematik vielleicht doch nicht das stumpfe Formelpauken und Rechnen ist, das man aus der Schule zu kennen meint, sondern auch "tolle Unterhaltung" sein kann.

 

Links: Youtubekanal von Edmund Weitz