Unser Mathemacher der Monate März und April ist der Oberkonservator am Mathematisch- Physikalischen Salon der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden und DMV-Medienpreisträger 2019, Michael Korey. Korey macht sich nicht nur um die Forschung verdient, sondern auch um die verständliche Präsentation der historischen Sammlungsobjekte wie Astrolabien, Armillarsphären und Himmelsgloben. Dabei richtet der promovierte Mathematiker besonderes Augenmerk auf den mathematischen Kontext und vermittelt diesen an breite Besuchergruppen. Thomas Vogt hat sich mit dem Preisträger unterhalten.

Als Oberkonservator am Mathematisch-Physikalischen Salon der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden begeistern Sie Kinder und Jugendliche im Zeitalter von Smartphone und Internet für mechanische Meisterwerke der Renaissance - wie machen Sie das?

Ein Smartphone hat fast jeder, das ist so yesterday – wer hat aber heute ein Astrolabium?

Diesen zukunftsweisenden Alleskönner mit einer 2000 Jahre langen Geschichte kann man bei uns im Dresdner Zwinger kennenlernen. Mit ihm konnte man beispielsweise die aktuelle Zeit allein von den Sternen ablesen, die Höhe eines Gebäudes feststellen, die vorgeschriebenen Gebetszeiten oder die Gebetsrichtung im Christentum und Islam ohne Uhr und Kompass ermitteln. Möglich wird dies alles durch die geschickte Ausnutzung mathematischer Prinzipien beim Bau des Instruments: der Winkeltreue stereografischer Projektion und der Seitenverhältnisse ähnlicher Dreiecke. Diese Fundierung muss man nicht kennen, um das Instrument erfolgreich einzusetzen, die Kenntnis davon führt aber, wie so oft, zu einem vertieften Verständnis – und zur gesteigerten Freude. Ein Oxforder Kollege sagte einst, die Menschheit sei zweigeteilt: Es gebe die eine Hälfte, die das Astrolabium für das Großartigste überhaupt halte, und die andere Hälfte, die noch nicht die Chance zu sehen gehabt habe, dass das so ist.

DrMKoreyMuseumsnacht SKD2014Medienpreisträger Michael Korey

(Foto: Christian Juppe für SKD)

Aber im Ernst: Als ein kulturhistorisches Museum mit Schwerpunkt auf der Geschichte wissenschaftlicher Instrumente des 16. bis 18. Jahrhunderts wird der Mathematisch-Physikalische Salon niemals im schlichten Sinne up-to-date sein und den „letzten Schrei“ der Technik ausstellen können. Das wollen wir auch nicht, weil wir immer wieder feststellen, dass die historischen Exponate des Museums – technische Meisterwerke und Kunstwerke ersten Ranges zugleich – eine besondere Ausstrahlung auf Besucher ausüben, die sie in ihren Bann zieht. Wir zielen darauf, mit einer niedrigschwelligen Präsentation Neugierde zu wecken. Dazu möchten wir die Mathematik und andere Naturwissenschaften, gerade in ihrer Verbindung zu den Interessen des sächsischen Fürstenhofs, wofür sehr viele der ausgestellten Instrumente, Automaten, Uhren und Globen hergestellt oder im Auftrag gegeben wurden, als zentralen Teil der Kultur präsentieren.


man auf sie zählen kann: als Quelle der Inspiration, der Kommunikation und der Schönheit. Als solides Fundament in einer Welt voller Unsicherheiten. Als Mittel zum Weltverständnis (und oft zur vermeintlichen Weltbeherrschung). Und als Lehre, wie tief man einer Frage nachgehen kann, wie viel noch zu ergründen ist und wie wenig man selber weiß.

Ein kostenloser Audioguide, thematische Führungen, Familienprogramme und ein reichhaltiges Angebot für Schulen und Kindergärten dienen dazu, das materielle und geistige Erbe der Wissenssuche vergangener Epochen lebendig werden zu lassen. Vor wenigen Wochen habe ich zwei Lehrerfortbildungen – für mathematische Gymnasiallehrer*innen aus Berlin und Referendar*innen aus Sachsen – angeboten, und es freute mich zu sehen, wie die weitgehend unbekannten historischen Exponate und unsere Vermittlungsansätze als relevant, nützlich und anregend für den aktuellen Unterricht eingestuft wurden.

Bitte nennen Sie ein Beispiel (Objekt), das besonders gut beim Publikum ankommt und wie sie es präsentieren.

Seit einigen Jahren beschäftige ich mich mit der imposanten Planetenuhr für Kurfürst August von Sachsen (1526-1586): einer wahrhaft fürstlichen Himmelsmaschine der Renaissance mit dem Anspruch, den ganzen Himmelslauf in Echtzeit und in Einklang mit den seinerzeit gültigen geometrischen Modellen zur Vorhersage der Planetenpositionen wiederzugeben. Weltweit sind nur drei weitere, ähnlich raffinierte Uhren aus dem 16. Jahrhundert erhalten – in Paris, Wien und Kassel – und unser Forscherteam hat das Glück, aufregende Entdeckungen bei der näheren Untersuchung aller vier machen zu dürfen. Wir konnten dabei feststellen, dass die vier Uhren sowohl in technischen Details ihrer Fertigung als auch in ihren theoretischen Ansprüchen markante Unterschiede aufweisen. Beispielsweise stellten wir im kompakten Getriebe der Wiener Uhr eine innovative, geometrische Lösung zur Darstellung des ungleichförmigen (scheinbaren) Jahreslaufs der Sonne um den Tierkreis; diese Lösung ist zu den beiden aus der Antike überlieferten und über ein Millennium lang rezipierten Ansätzen äquivalent, taucht aber wohl erst in diesem mechanischen Zusammenhang auf. Außerdem meinen wir in der subtilen, gezielt ungleichförmigen Zahnverteilung bei einzelnen Zahnrädern im Getriebe der Dresdener Planetenuhr, die wir präzise vermessen haben, Zeugen der Geburtsstunde einer neuen astronomischen Theorie zu erkennen. Solche neuen Erkenntnisse wollen wir nicht nur einem Fachpublikum, sondern der breiten Öffentlichkeit nahebringen. Besonders glücklich bin ich daher über die Resonanz auf eine Kabinettausstellung, die wir vor einiger Zeit um die Dresdener Uhr herum hier im Mathematisch-Physikalischen Salon aufgebaut haben, um neue Wege der Vermittlung zu erkunden. Mit Förderung der Kulturstiftung des Bundes konnten wir – in enger Zusammenarbeit mit Medieninformatikern der HTW Dresden und Maschinenbauern der TU Dresden – einige Animationsfilme produzieren und haptische Funktionsmodelle entwickeln, um den Museumsbesuchern die hiesige Planetenuhr im wahrsten Sinne „begreifbar“ zu machen. Wir träumen noch davon, diese vier Meisterwerke des europäischen Kulturerbes erstmals in einer großen Sonderausstellung in direkte Beziehung zu setzen – bisher wurden keine zwei dieser besonderen Planetenuhren jemals an einem Ort ausgestellt! – und der Erfolg der Evaluierung unserer Kabinettausstellung stimmt mich optimistisch, dass es sich lohnt, dieses ambitionierte Ziel zu verfolgen. Einen Eindruck davon bekommt man bei www.skd.museum/planetenlauf.

Welche Formate der Präsentation nutzen Sie und welche kommen besonders gut an?

Seit der Wiederöffnung des Salons 2013 nach einer mehrjährigen Sanierung bieten wir ein breitgefächertes museumspädagogisches Angebot an. Im „Salon im Salon“, dem Lernort des neupräsentierten Museums, gibt es nun vier Säulen:

thematische Dialogführungen (i. d. R. 60 Minuten), die jeweils mehrere Anknüpfungspunkte im Schulcurriculum aufweisen;
multidisziplinäre Werkstattkurse (i. d. R. 90 Minuten), unterteilt in ein pädagogisch begleitetes Erkunden eines Teils der Sammlung, in den Nachbau eines der mathematischen Instrumente und die anschließende Lösung konkreter mathematischer Aufgaben mit Hilfe dieses von den Schüler*innen selbst gebauten Instruments;
Vorführungen von historischen Experimenten mit Hilfe von detailgetreu replizierten physikalischen Instrumente des 18. Jahrhunderts und
eine vierteilige Reihe für Kindergartengruppen (die Einzelbesuche sind für sie kürzer, wir wollen die jüngsten Besucher schon zu „Wiederholungstätern“ machen).

Für die wundervollen Dinge, die wir zeigen können, kommt es darauf an, echte Begeisterung zu hegen und bereit zu sein, diese auch zu vermitteln. Und wenn es der Vermittlung dient, bin ich manchmal mit Ganzkörpereinsatz dabei. Es ist zum Beispiel vorgekommen, dass ich vor einer Gruppe auf die Knie gehe, um ihre Sicht nicht zu verstellen und den Blick auf ein tiefliegendes Detail in einer Vitrine zu lenken, oder dass ich sogar meinen Gürtel ausziehe – allerdings nicht mehr! – und dann aufrolle, um die Wirkung der Feder bei einer mechanischen Uhr zu illustrieren. In seiner Geschichte des Porzellans (Die weiße Straße) hat der englische Autor und Künstler Edmund de Waal beschrieben, wie ich mit wedelnden Händen vor einem großen Brennspiegel stand, um die bündelnde Wirkung seiner konkaven Form auf einfallende Lichtstrahlen zu erläutern. (Der imposante Spiegel des sächsischen Gelehrten Ehrenfried Walther von Tschirnhaus – einst neben Isaac Newton und James Gregory als führender Algebraiker Europas gelobt – ist eines der Glanzstücke der Sammlung und spielte eine wesentliche Rolle bei der europäischen Nachentdeckung der Rezeptur für das Porzellan.)

Kommen Sie noch zu eigener Forschungsarbeit? Wenn Ja: Was ist Ihr Hauptinteressensgebiet?

Ja, allerdings oft erst spätabends, aber dann intensiv: Ich schätze mich besonders glücklich, dass ich mit inspirierenden Kollegen aus verschiedenen Gebieten und Ländern eng zusammenarbeiten kann. Aktuell sind zwei Projekte besonders aktiv: neben dem oben beschriebenen Projekt „Deus ex machina“ zu den Planetenuhren der Renaissance ist es eine optische Odyssee auf der Spur der weltältesten erhaltenen Fernrohre. Uns ist gelungen, die Anzahl der bekannten „Inkunabeln“ in diesem Gebiet, also Instrumente aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, zu verdreifachen und – dank Förderung der National Science Foundation und der National Endowment for the Humanities (beide USA) und mit Hilfe eines eigens entwickelten, transportablen optischen Labors – die Linsen dieser frühen Fernrohre in öffentlichen Museen und Privatsammlungen erstmals zu vermessen. Damit wissen wir einiges mehr über die Geschichte des Fernrohrs und – wie könnte es anders sein? – ebenfalls sind nun neue, spannende Fragen entstanden.

Hinweis: Eine Übersicht des Angebots vom „Lernort MPS“ ist bei: https://mathematisch-physikalischer-salon.skd.museum/vermittlung/salon-im-salon/ .
Buchungen laufen über den Besucherservice der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! bzw. 0351/4914-2000. S. auch das einführende Büchlein Der Planeten wundersamer Lauf (ISBN 978-3-944555-03-4, zu beziehen über die Buchhandlung Walther König Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!).