2021 Mathemacherin BeckerGloria Becker hat den letzten Aufgabenwettbewerb von „Mathe im Advent“ gewonnen. Dies ist der Grund, mit der engagierten Mathematiklehrerin zu sprechen und sie zur Mathemacherin der Monate Januar und Februar 2021 zu machen.

 

 

Was war Ihr erstes „mathematisches Erlebnis“?

Mein erstes mathematisches Erlebnis war das Rechnen. Als kleines Kind war ich sehr stolz, als ich endlich rechnen konnte. Auch in der Grundschule fand ich es toll, dass die Mathematik-Stunden immer mit dem Kopfrechnen begannen. Die Spannung vor den unbekannten Aufgaben, das möglichst schnelle Rechnen und die Freude über das richtige Ergebnis waren Erlebnisse, an die ich mich immer noch gerne erinnere.

 

… ich mir eine Welt ohne Zahlen nicht vorstellen kann!

 

Welche Fächer unterrichten Sie am Neuen Gymnasium in Bochum?

Ich unterrichte die Fächer Mathematik und Latein in den Jahrgangsstufen 5 bis 12. Mit meinem Unterricht versuche ich, allen Schülern und Schülerinnen gerecht zu werden, also sowohl schwächere Schüler zu fördern, als auch gute Schüler zu fordern. Darüber hinaus ist mir die Begabungsförderung wichtig. Während meines Referendariats in Dortmund habe ich eine Mathematik-AG geleitet und durfte vier Schülerinnen bis ins Finale des B-Dags (niederländischer Mathematik-Wettbewerb) begleiten. Das war ein aufregendes Erlebnis für mich als junge Lehrerin. Auch am Neuen Gymnasium biete ich regelmäßig Arbeitsgemeinschaften in Mathematik oder Latein an um Schülern die Vielfalt von Mathematik und Latein über die Unterrichtsinhalte hinaus zu zeigen. Ich unterstütze unsere Schüler auch bei der Teilnahme an Wettbewerben wie dem Bundeswettbewerb Fremdsprachen, der Mathematik-Olympiade oder „Mathe im Advent“.

Das Erstellen von Unterrichtseinheiten ist ein Steckenpferd von Ihnen. Sie haben mit der Matheaufgabe mit dem Titel „The Voice of Nordpol“  den Aufgabenwettbewerb von „Mathe im Advent“ gewonnen. In der mathematischen Fragestellung geht es darum, mit welcher Strategie man die meisten Likes bekommt. Die Gier nach „Likes“ in den Sozialen Medien ist ein Trendthema bei Kindern und Jugendlichen. Welche mathematischen Teilgebiete sprechen Sie mit der Aufgabe an? 

Die Frage, wie man die Anzahl seiner Likes am besten vergrößert, ermöglicht den Vergleich verschiedener Wachstumsfunktionen. In der Aufgabe werden verschiedene lineare Wachstumsmodelle und das exponentielle Wachstum in Worten beschrieben und die Schüler müssen abschätzen, welches Modell nach 15 Tagen den größten Erfolg liefert. Das spannende an dieser Aufgabe ist, dass sie so vielfältige Lösungswege ermöglicht. Insbesondere für die Adventskalenderaufgaben finde ich dies wichtig, da Schülerinnen und Schüler aus verschiedensten Schulen und Schulformen teilnehmen.

Auf dem MaLeNe-Netzwerk von CASIO haben Sie eine Unterrichtseinheit mit ihrem Kollegen Holger Reeker veröffentlicht. Was ist das für ein Netzwerk und worum geht es in der Unterrichtseinheit?

2021 BeckerMinionDas Mathematik-Lehr-Netzwerk ist ein Projekt der Universität Würzburg zusammen mit CASIO. Ma-Le-Ne hat das Ziel die Qualität des Unterrichts mit digitalen Technologien zu steigern und setzt dabei auf Forschung, Praxisbezug und Lehrerbildung zugleich. 
Holger Reeker und ich haben für MaLeNe eine Unterrichtseinheit zum 3d-Hologramm-Projektor entwickelt: Minions tanzen über dem Smartphone und Schmetterlinge fliegen aus dem Bildschirm. Jeder Schüler kann mit seinem Handy und einem selbstgebastelten Hologramm-Projektor diese beeindruckenden Effekte im Klassenraum erzeugen. Aus einer Kopierfolie wird ein Pyramidenstumpf gebastelt, der als Projektor dient. Die zugrunde liegende Mathematik – Punkte und Geraden müssen an den Trapezflächen des Projektors gespiegelt werden – löst das optische Rätsel. 

2009 haben Sie einen Förderpreis an der Uni Bochum für ihre Masterarbeit "Knotenvarianten-Impulse für den Mathematikunterricht“ erhalten. Ihre Vorschläge zum Unterricht berücksichtigen insbesondere handlungsorientierte Ansätze, die eine schülergerechte Herangehensweise ermöglichen. Wichtig scheint mir in Ihren Aufgaben zudem Anknüpfungspunkte für verschiedene Jahrgangsstufen zu bieten. Können Sie ein Beispiel nennen, wie Sie einen handlungsorientierten Ansatz für verschiedene Jahrgangsstufen konzipieren?

Die Ideen für meine Aufgaben finde ich meistens im Alltag. Häufig sind ganz banale Situationen aus unserer Lebenswelt der beste Ausgangspunkt für eine tolle Mathematikstunde. Als konkretes Beispiel erzähle ich Ihnen von meiner ersten Unterrichtsstunde nach dem Lockdown im Frühjahr. Meine fünfte Klasse hatte sich im Distanzunterricht zu Hause Längen- und Flächenberechnungen erarbeiten müssen. Hinzu kam die Vorgabe an uns Lehrer, dass wir mit den Schülern über die persönlichen Erfahrungen in der Corona-Zeit sprechen sollten. Da kam mir die Idee, eine Rolle Toilettenpapier mitzunehmen. Es wurde eine wunderbare Unterrichtsstunde: Wir sprachen über Hamsterkäufe von Klopapier und leere Supermarktregale, konnten Toilettenpapierblätter vermessen und überlegen, wie viele Rollen wir bräuchten, um den Klassenraum damit auszulegen. 

Wie erfahren Sie diese Zeit des zweiten Lockdowns in dieser Pandemie als Lehrerin und Mutter? 

Viele Aspekte des Lernens auf Distanz sind für mich und die Schülerinnen und Schüler routinierter geworden als im Frühjahr 2020. Unsere Schule ist inzwischen auch technisch gut aufgestellt. Dank der neuen Gigabit-Leitung hielt sogar der Moodle-Server am ersten Tag nach den Weihnachtsferien dem Zugriff von über 1000 Schülern stand. Außerdem sehe ich meine Klassen auch regelmäßig in Videokonferenzen. Trotzdem ist das für mich und die Schülerinnen und Schüler kein Ersatz für den Präsenzunterricht. Wir wünschen uns alle wieder „normalen“ Unterricht in der Schule. 
Als Mutter erlebe ich, wie eintönig der Alltag für die Familien zu Hause geworden ist: Alle Begegnungen in Kindergarten, Schule, Sportverein und Kirchengemeinde fallen weg. Diese persönlichen Kontakte sind für Kinder durch nichts zu ersetzen! 

Arbeiten Ihre Klassen auch im Home-Schooling mit Lern-Apps? Ersetzt die App hier die Lehrkräfte oder die Eltern? 

Ich halte eine große Vielfalt bei den Übungsformaten im Unterricht für sehr wichtig. So setzen meine Kollegen und ich auch web-basierte Übungen wie learningApps.Org  oder die Anton-App in den Fächern Deutsch und Mathematik gelegentlich ein. Den Schülerinnen und Schülern machen diese Übungen meistens viel Spaß. Trotzdem dürfen dabei meiner Meinung nach konventionelle Übungen nicht auf der Strecke bleiben. Insbesondere die offenen Aufgaben, die ja eigentlich am spannendsten sind, können durch Online-Formate nur wenig abgebildet werden.

In der internationalen TIMSS-Studie, in der der Mathematikunterricht an Deutschen Grundschulen im Ranking im Mittelfeld platziert ist, wird festgestellt, dass Lehrkräfte unterdurchschnittlich viele Fortbildungen und Weiterbildungen besuchen. Was meinen Sie: gibt es nicht genug Angebote oder eher kein Interesse? 

Ich glaube, dass es zahlreiche Fortbildungsangebote gibt, aber dass es nicht immer leicht ist, diese auch zu finden. Eine Vielzahl an Akteuren wie Universitäten, Schulbuchverlage, der MNU oder Landesinstitute selbst bieten gute Veranstaltungen für Lehrerinnen und Lehrer an. Gäbe es hier eine gemeinsame Übersicht, würden meiner Meinung nach deutlich mehr Kolleginnen und Kollegen einzelne Angebote wahrnehmen.

Wo können Mathematiklehrkräfte neue mediale pädagogische Konzepte finden und sich mit medialen didaktischen Unterrichtseinheiten auseinandersetzen? Haben Sie einen Tipp?

Auch hier fällt mir kein universelles Wundermittel ein. Ich persönlich nutze learningApps.org  gern, insbesondere jetzt für das Distanzlernen. Die kleinen interaktiven Bausteine lassen sich an vielen Stellen im Unterricht einsetzen und sorgen für Abwechslung und Motivation bei den Schülern. Neben den zahlreich vorhandenen Angeboten, die man direkt nutzen kann, können Schülerinnen und Schüler auch selbst Übungen entwerfen.

2021 Mathemacherin BeckerWinter

 

 

 

 

 

 

 

 

Fotos: G. Becker, privat
B. Klompmaker