Robert Wöstenfeld und seine Kolleg_innen begeistern mit dem Wettbewerb Mathe im Advent (MiA) jährlich viele tausend Schüler_innen für die Mathematik. Ihr Anliegen: Kinder den Nutzen der Mathematik fürs Leben spielerisch erfahren lassen. Dies gelingt unter anderem dank der Wichtel und ihrer Abenteuer im Mathe-Adventskalender. Im DMV-Netzwerkbüro entstanden, ist Mathe im Advent seit dieser Spielzeit Teil der Mathe im Leben gemeinnützigen GmbH. Deren Geschäftsführer Robert gibt im Gespräch mit DMV-Redakteur David Vogel Blicke hinter die Kulissen.

Robert Wöstenfeld

(Foto: Marie Günther)

Lieber Robert, euer Projekt Mathe im Advent funktioniert ja wie ein Adventskalender, nur eben mit Geschichten rund um Weihnachtswichtel hinter den Türchen. Die Wichtel sind immer irgendwie in der Klemme und die Teilnehmer_innen können ihnen helfen – mit Mathe. Aber auch euch raucht oft der Kopf bei der Projektarbeit, besonders jetzt während der Spielrunde im Dezember. Gibt es denn auch schöne Momente?

Ja, es gibt schon viele schöne Momente im Leben eines „Oberwichtels“. Zum Beispiel, wenn die Teilnehmerzahl die hunderttausend knackt. Die Zahl läuft allerdings in den vertieften Arbeitsstunden fast unbemerkt über den Schirm. Umso mehr liebe ich deshalb den Kontakt zur „Außenwelt“. Eine Schülerin schrieb mal: ‚Ich habe es ja nicht so mit Mathe, aber bei MiA hatte ich wirklich Spaß und ich habe bemerkt, dass ich doch gar nicht so dumm bin.’ So ähnlich kommt das häufig vor. Dann weiß ich, dass wir etwas richtiggemacht haben.

Vereinzelt lassen sich die Kinder sogar so vom Wichtelkult begeistern, dass sie die Geschichten weiterspinnen und eigene Mathe-Textaufgaben für den Adventskalender entwickeln. Uns erreichten welche mit Zeichnung und sogar mit der richtigen „Besetzung“, also den passenden Wichtelcharakteren für die jeweilige Szene. Das ist großartig und es berührt mich jedes Mal! Da bleibt wirklich etwas hängen.

Was lernt man bei Mathe im Advent?

Unsere Aufgaben sollen zuerst die vielen interessanten Facetten der Mathematik sichtbar machen, für die im Lehrplan oft kein Platz ist. Schüler_innen sollen möglichst eindringlich erfahren, dass die Mathematik eine lebendige, auch für das Leben nützliche Wissenschaft ist.

Mit den Wichtelaufgaben kann man dazu auch recht gut lernen, wie man Probleme löst. Grundlegend dafür ist sowohl strukturelles und analytisches Denken, als auch freies Denken. Zudem braucht man Übersetzungskompetenz – vom Problem zum mathematischen Modell, von konkret zu abstrakt. Mit den Werkzeugen, die die Mathematik bietet, lässt sich das Modell dann durchrechnen. Wir wollen aber auch zeigen, dass es nicht reicht, eine Zahl als Lösung zu präsentieren. Es braucht auch immer eine Rückübersetzung ins Konkrete.

Wir versuchen darüber hinaus bewusst das Selbstbewusstsein zu stärken. Damit Mathe nicht einschüchtert, gehen wir sogar so weit, sie etwas hinter den Geschichten zu verstecken. Bei uns helfen die Kinder ja vordergründig den Wichteln bei ihren Problemen im Wichteldorf. Danach erfahren sie auch schon mal, dass sie gerade algebraische Topologie gemacht haben und sind verdutzt und stolz, so etwas zu beherrschen. Solche Erlebnisse können aufbauen und prägen.

... die heutige Gesellschaft dringend eine Wissenschaft des Weiterdenkens braucht. Robert Wöstenfeld


Warum funktioniert Mathe im Advent? Gibt es ein Rezept?

Ein Element ist das Storytelling. In der Wichtelwelt – unserem Vehikel – passieren skurrile und witzige Dinge. Gleichzeitig geht es dort menschlich genug zu, so dass Schüler_innen eine Essenz daraus in ihre Lebenswelt übertragen können. Wie in einer guten Seifenoper entwickeln sich zudem die Charaktere. Man fiebert mit den Wichteln mit und möchte dem ein oder anderen aus der Patsche helfen. Wie im richtigen Leben, und anders als im Unterricht, weiß man nicht, in welches Problem die Wichtel als nächstes geraten. Das macht auch die Mathematik darin spannend.

Damit den Schüler_innen diese Übertragung in die Lebenswelt gelingen kann, müssen wir schon in der Aufgabenstellung eine glaubwürdige Verbindung zu unserer Realität anlegen – und zwar eine möglichst aktuelle und alltagsnahe. Solche Verbindungen finden wir zum einen durch intensive Recherche: Klimadaten der NASA bei einer Aufgabe zum Meeresspiegel, um nur ein Beispiel zu nennen. Zudem achten wir stark darauf, dass Handlungen und Motive der Wichtel den Lebenserfahrungen der Schüler_innen entsprechen. Was nicht nachvollziehbar ist, fällt bei ihnen durch und fliegt deshalb bei uns raus. Auch für künftige Schulbücher wünsche ich mir da mehr Common Sense.

Aber wir dürfen uns auch nichts vormachen. Viele Schüler_innen sind auf die schönen Preise aus, darunter Tablets, Spielekonsolen und dieses Jahr sogar eine Klassenfahrt zur Preisverleihung. Den Spaß am „Mathemachen“ jubeln wir ihnen dann unter.

Du bist seit 2010 beim Projekt. Wie hat es sich seitdem entwickelt?

Mathe im Advent wurde im Wissenschaftsjahr 2008 eingeführt. Als Stephanie Schiemann und ich 2010 zum Projekt kamen, hatten wir im DMV-Netzwerkbüro Schule-Hochschule durch die Förderung der Telekom-Stiftung und die Zusammenarbeit mit dem DMV-Medienbüro quasi paradiesische Zustände. Wir konnten viele Ideen umsetzen, um zum Beispiel den Wettbewerb auf zwei Niveaustufen auszuweiten und das didaktische Konzept weiterzuentwickeln. In den ersten Jahren konnten wir die Teilnahmezahlen jährlich fast verdoppeln. Einige andere Wissenschaften haben dann das Potenzial wahrgenommen und selbst Adventskalender nach unserem Vorbild herausgebracht. Es gibt zum Beispiel Physik im Advent oder Krypto im Advent.

Das klingt alles sehr erfolgreich. Gab es auch Durststrecken?

Bei etwa 150.000 Teilnehmer_innen in den Jahren 2012 bis 2014 haben wir die Grenze dessen erreicht, was unsere Infrastruktur stemmen konnte. Glücklicherweise hat uns nach dem Auslaufen der DTS-Förderung das BMBF Mittel zur Verfügung gestellt, mit denen wir die gesamte Infrastruktur an die großen Teilnahmezahlen anpassen konnten. Da diese wiederum bald ausläuft, mussten wir uns etwas neues überlegen. Es hat sich also notwendigerweise vieles verändert, aber ich denke, mit der Gründung der Mathe im Leben gemeinnützigen GmbH, die MiA jetzt in Kooperation mit der DMV ausrichtet, haben wir in diesem Jahr eine solide Basis geschaffen, auf der wir Mathe im Advent erfolgreich und möglichst langfristig weiterführen können.

Auf einer Skala von Insolvenz bis Weltherrschaft: Wo steht Mathe im Leben samt (Ober-) Wichtel in einem oder fünf Jahren?

Nun ja, wenn es uns gelingt, in allen Ländern den mathematischen Advent einzuführen, ist einiges möglich... Aber Spaß beiseite. Zuerst müssen wir „Mathe im Advent“ in Deutschland finanziell etablieren. Das wird schwer genug und einige Jahre brauchen. Dann freue ich mich auf eine Weihnachtszeit in der es neben „Mathe im Advent“ auch mal wieder Zeit gibt, um mit der Familie Plätzchen backen, Musik hören und Geschenke vorbereiten zu können.