Um Schüler*innen spielerisch an die Mathematik heranzuführen und für das Fach zu begeistern, hat sich Martin Schottenloher mit Kollegen im Jahr der Mathematik (2008) das Mobile Mathelabor ausgedacht, kurz MML. Seitdem bietet das MML sein begehrtes Programm an: unterschiedliche mathematische Themen, die ausführlich und sorgfältig als Unterrichtseinheiten aufbereitet sind. Mit diesen Anleitungen und zugehörigem Material können gemeinsam Experimente mit Versuchsanordnung und Geräten wie in einem Labor durchgeführt werden. Die Schüler*innen sollen in Gruppen- oder Einzelarbeit Aufgaben lösen, eigenständig Fragestellungen entwickeln, etwas basteln oder ausprobieren. Mathematik kann hier also als „Mathe zum Anfassen“ erlebt werden. Thomas Vogt sprach mit dem engagierten Mathematikprofessor über Vergangenheit und Zukunft des MML.


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(Foto: privat)

Was war Ihr erstes Matheerlebnis (als Kind oder Jugendlicher)?

An Mathematik war ich nicht sonderlich interessiert, sie ist mir allerdings zunächst sehr leicht gefallen. In den unteren Klassen habe ich eine ungute Erinnerung daran, dass Lehrerinnen und Lehrer mich getadelt haben, wenn ich zu schnell im Lösen der Aufgaben war. Aber vertrackte Mathematikaufgaben haben mir immer Spaß gemacht (als Rätsel, im Wettbewerb), auch manche besondere Erkenntnisse z.B. zum Goldenen Schnitt oder zur Nichtrationalität der Wurzel aus 2 habe ich in positiver Erinnerung. Allerdings haben mich Physik, Chemie oder Geschichte und vor allem Sport in der Schulzeit viel mehr interessiert.

Wie haben Sie den Weg in die Mathematik gefunden? (Über Lehrer*innen, Eltern, Mitschüler*innen)?

Mathematik wurde für mich erst richtig interessant, als ich zum Studienbeginn (ich hatte vor, Physikalische Chemie zu studieren) erleben musste, dass ich in den Mathematikvorlesungen nichts verstehe. Das hat mich herausgefordert. Und dann habe ich mich für die Mathematik begeistert. Manchmal habe ich allerdings auch den Eindruck, dass umgekehrt mich die Mathematik gekapert hat. Faszinierend sind für mich die Unabhängigkeit und die Freiheit beim Machen von Mathematik: Aus eigener Kraft und eigenem Denken kann man feststellen, ob man richtig gearbeitet hat, und die Wahl der mathematischen Gegenstände, die man betrachtet, ist völlig frei.
Den Weg in die Mathematik habe ich also durch meine Lehrer an der Universität gefunden. Dabei haben mich die verstorbenen Professoren Karl Stein, Kurt Schütte und Konrad Jörgens stark beeinflusst.

Seit wann (und warum) engagieren Sie sich speziell für die Förderung von Schüler*innen (und ich welcher Form)?

Die Förderung von Schülerinnen und Schüler sehe ich als einen Teil des Wissenstransfers, zu dem jeder Hochschullehrer verpflichtet sein sollte, und der mir ein besonders Anliegen ist. Das hat auch zu tun mit dem schlechten Image der Mathematik in der Gesellschaft, dem es entgegenzuwirken gilt. Mathematik birgt so viele Schätze, die schon allein deshalb verborgen bleiben, weil die Beschäftigung mit Mathematik als unangenehm gilt.
Den Wissenstransfer von der Universität in die Gesellschaft, in Wirtschaft und Politik halte ich insbesondere auch deshalb für wichtig, weil die Bedeutung der Mathematik vielfach unterschätzt wird, allerdings gelegentlich auch die Schwierigkeit der Mathematik heillos überschätzt wird, – mit ungünstigen Folgen für die Förderung von Mathematik und falschen Entscheidungen hinsichtlich des Einsatzes von Mathematik. Das geht schließlich so weit, dass die Innovationskraft der Mathematik nicht genug genutzt wird mit der Folge, dass u.a. der Wirtschaftsstandort Deutschland nicht ausreichend unterstützt werden kann. Ich bin deshalb auch Mitglied der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften (acatech), die erst seit einigen Jahren besteht und die sich dem Wissenstransfer verschrieben hat.
Um nun Wissenstransfer auch auf der Ebene der Schulen zu leisten, habe ich mir vorgenommen, auf ganz konkrete Art für die Mathematik zu werben. Es kann nicht akzeptiert werden, dass so viel Ablehnung der Mathematik schon in der Schule entsteht – eigene Erfahrungen als Vater und Großvater haben mich darin bestärkt.

Wer hatte die Idee für "MML - Das mobile Mathelabor" und wie wurde die Idee realisiert?

In Gesprächen mit Lehrern und Kollegen über geeignete Programme und Angebote für Schülerinnen und Schüler, insbesondere mit den Lehrern Dr. Klaus Linde und Konrad Ossiander, hat sich die Idee des MML herausgeschält: Es sollten lebendige Veranstaltungen sein, in denen exemplarisch an einzelne interessante Themen der Mathematik herangeführt wird – und das unter tatkräftiger Mitarbeit der Schülerinnen und Schüler. Gedacht war an kleine Gruppen, in denen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer Gelegenheit haben, spielerisch und eigenständig zur Mathematik zu kommen, und in der sie ‚Hand an die Mathematik‘ anlegen können. Eine solche Veranstaltung – meist Workshop genannt – sollte sich vom klassischen Unterricht an der Tafel auch dadurch unterscheiden, dass problemorientiert gearbeitet wird, ohne die Notwendigkeit, ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Wichtig sollte vor allem der Spaß der Kinder am Workshop sein, im Idealfall gelingt es dem Leiter des Workshops, dass die Kinder eigenständig Probleme erkennen und formulieren und dass sie auch in der Lage sind, diese – zumindest im Ansatz – zu lösen.

... Mathematik uns hilft, die Natur zu verstehen und uns in die Lage versetzt, wichtige Prozesse zu steuern. Mathematik schärft unser Denken und erweitert den Horizont. Martin Schottenloher


Haben Sie da ein Beispiel für uns?

Beispielsweise eignen sich die Themen Knotentheorie oder Spieltheorie gut für diese Arbeitsweise aber auch viele Themen aus Geometrie und Stochastik. Lässt man die Kinder selber Knoten knüpfen und regt sie an, ihre Ergebnisse zu vergleichen, so kommt sehr bald wie von selbst die Frage, wie man zwei vorliegende Knoten unterscheiden kann, und es schließt sich nach einigen Debatten die „Erfindung“ von Invarianten an. Nebenbei ist die Gruppe bei dem schwierigen Begriff einer Invarianten angelangt. Und viele neugierige Fragen werden gestellt, wie etwa von einer 12-jährigen Schülerin einer Realschule, die Frage nach dem bisher bekannten kompliziertesten Knoten. Nach dieser Idee brauchten wir für ein gutes Produkt noch einen schlagkräftigen Namen: „Das Mobile Mathelabor“. Das klingt gut, alles im Labor ist aufregend und Laborarbeit unterstreicht den Charakter des gemeinsamen Erarbeitens der Mathematik. Und mobil ist so ein Labor der Mathematik von Haus aus, weil man kaum Geräte benötigt, also zum Beispiel mit einer Handvoll Würfel bzw. mit einigen Seilen bereits in jedem Raum ein Labor für Statistik bzw. Knotentheorie errichten kann. Mobil auch, weil wir bereit sind, in die Schulen zu gehen.

Wie hat sich das Projekt seitdem entwickelt?

Das Projekt funktioniert durch aktive und engagierte Lehrer, die einen Workshop ihrer Wahl für ihre Klasse oder für zusammengestellte Gruppen von Schülern beim Mathematischen Institut der LMU anfordern. An Schulen im Großraum München haben seit 2008 ca. 75 solche MML-Workshops stattgefunden, am Institut selber noch einmal ca. 10 (sogar für Schülergruppen aus Düsseldorf!). Zusätzlich veranstaltet das Institut einmal im Jahr an einem Samstag im Mai oder Juni einen MML-Tag, an denen bis heute weitere ca. 60 Workshops stattgefunden haben (jeweils mit 80 bis 160 Teilnehmern und mit 6 bis 10 Workshops).

Was ist in diesem Juni geplant?

Die Organisation des MML-Tages am 13. Juni liegt dieses Mal zu einem großen Teil bei Schülern, die diese Organisation als Teil eines Seminars durchführen. Das ist eine neue Erfahrung und per se schon spannend: Für Schüler von Schülern. Das Programm umfasst bisher die Workshops

  • Folgen, Reihen, Unendlichkeit
  • Primzahlen und Kryptographie heute und morgen
  • Knotentheorie – kann das denn Mathematik sein?
  • Finanzmathematik - ganz einfach
  • Fußbälle aus geometrischer Sicht
  • Kryptographie - oder wie Diebstahl heute funktioniert
  • Graphen auf Schritt und Tritt - vom Beziehungsreichtum der Beziehungsabbilder


Verantwortlich für diesen MML-Tag zeichnen mein Kollege Peter Pickl, Petra Leeb und ich.

Wie geht es nach Ihrer Emeritierung mit dem MML weiter - und was planen Sie für sich persönlich?

Das ganze MML-Programm und die Durchführung des MML-Tages übernimmt zu meiner Freude Peter Pickl. Und was ich plane? Seit meiner Emeritierung vor 6 Jahren habe ich im Wesentlichen drei Tätigkeitsfelder, von denen das dritte mich am meisten beansprucht:
Zum einen betreue ich weiterhin Abschlussarbeiten (in Konformer Feldtheorie, Algebraischer Geometrie, Spieltheorie, Kombinatorischer Optimierung) und verstärke die Betreuung durch Seminare.
Dann nehme ich mir nun die Zeit, mich mit dem großartigen Langlandsprogramm auseinanderzusetzen, insbesondere mit dem geometrischen Langlandsprogramm und seine Beziehung zur Physik (siehe z.B. das Interview mit E. Witten in der Mai-Ausgabe der Notices der AMS).
Und schließlich bin ich Geschäftsführer einer zusammen mit Studenten gegründeten Softwarefirma (PerfectPattern GmbH), die mathematische Algorithmen zur dynamischen Optimierung von Produktionsabläufen entwickelt und daraus einsatzfähige Softwaresysteme erstellt. Dabei gehen unser Ansatz und auch unser Ergebnis über bestehende Systeme hinaus, weil wir ernsthaft mathematisch optimieren und die Software sehr schnell zu guten Ergebnissen kommt. Mit Fördergeldern, Glück und Fleiß sind wir jetzt soweit, ein fertiges Produkt für die Druckbranche zur kostenminimierten Sammelformenerstellung zu vermarkten, das in erheblichem Maße Papierkosten und Rüstkosten einspart. Nach dem Motto: Durch reines Nachdenken spart man Geld und Ressourcen. Zum Beispiel eine halbe Million Euro pro Jahr bei einem typischen Druckbetrieb mit 10 Millionen Euro Umsatz im Akzidenzdruck.
Mit den Tätigkeiten in der Firma bin ich wieder beim Wissenstransfer und komme mit dem Thema „Industrie 4.0“ in Berührung, das ich auch im Rahmen von acatech mitgestalte.    

Vielen Dank für das Gespräch und alles Gute für Ihre Vorhaben!