Am 15. Februar jährt sich der Geburtstag des großen italienische Mathematikers, Physikers und Astronomen Galileo Galilei zum 450. Mal. Dieses Jubiläum nahm die DMV zum Anlass, sich auf die Suche nach dem Urgestein der Mathematik zu machen. Zwei DMV-Gesannte wurden fündig – in der Nähe von Florenz. Sie trafen den alten Meister in einer Trattoria vor den Toren der Stadt – körperlich zwar von seinen 450 Jahren gezeichnet, geistig aber topfit, scharfzüngig, klug und modern wie eh und je. Die Fragen stellten Thomas Vogt und Andreas Loos.

galileo galilei FOTO esteri.it

Verehrter Meister, erinnern Sie sich an Ihre erste Begegnung mit Mathematik?

Schon als Kind habe ich gesehen, wie ein einziger Mann durch rechtzeitige Anstöße eine immense Kirchenglocke zum Läuten brachte, und um sie anzuhalten, hingen sich 4 oder 6 andre Männer an, wurden aber sämmtlich mehrere Mal in die Höhe gehoben, und konnten die Glocke, die ein Einziger in regelmäßigen Intervallen bewegt hatte, nicht sogleich zur Ruhe bringen.

Sie haben als junger Mann Ihr Studium der Medizin in Pisa abgebrochen, um in Florenz Mathematik zu studieren. Warum gerade Mathematik?

Ist nicht die Geometrie das mächtigste Werkzeug zur Schärfung des Verstandes, das uns zu jeglicher Untersuchung befähigt? Wie hatte doch Plato Recht, wenn er allem zuvor seine Schüler gründlich in der Mathematik unterrichtete!
Wie man mit Glück und Geschick aus einem einzigen, einfachen Princip eine Fülle von Theoremen gewinnt, das macht mich staunen!
Bemerket übrigens, wie nützlich die Definitionen der Mathematiker sind, die terminologischen Charakter haben und abgekürzte Redeweisen sind, zur Vermeidung der Mühsal.

Welche Bedeutung hat die Mathematik für Sie?

(wirkt abwesend)

Herr Galilei?

Ich dachte darüber nach, ob, wenn eine Million Goldes jährlich, die aus Spanien kommt, um das Militär zu besolden, nicht genügt, - ob es dann nötig sei, einen anderen Gehalt festzusetzen, um die Soldaten zu bezahlen.

Sie schweifen ab...

Wenn unser Abschweifen uns zur Erkenntnis neuer Wahrheiten führt, was sollte uns hindern abzuschweifen?
Aber fahren Sie fort!

Wir wollten wissen, worin Sie die besonderen Stärken der Mathematik sehen?

Ich behaupte, daß der menschliche Intellekt einige Wahrheiten so vollkommen begreift und ihrer so unbedingt gewiß ist, wie es nur die Natur selbst sein kann. Dahin gehören die rein mathematischen Erkenntnisse, nämlich die Geometrie und die Arithmetik. Freilich erkennt der göttliche Geist unendlich viel mehr mathematische Wahrheiten, denn er erkennt sie alle. Die Erkenntnis der wenigen aber, welche der menschliche Geist begriffen, kommt meiner Meinung an objektiver Gewißheit der göttlichen Erkenntnis gleich; denn sie gelangt bis zur Einsicht ihrer Notwendigkeit, und eine höhere Stufe der Gewißheit kann es wohl nicht geben.

... erstaunlich und entzückend ist die Macht zwingender Beweise, und so sind die mathematischen allein geartet. Galileo Galilei


Beruhen die Gesetze der Natur also allein auf Logik?

Die Philosophie ist in einem großen Buch geschrieben, das ständig offen daliegt, um von uns betrachtet zu werden (ich nenne es das Universum). Aber das Buch kann nicht verstanden werden, es sei denn, man lernt zunächst seine Sprache zu verstehen und die Buchstaben zu erkennen, in denen es geschrieben ist. Es ist in der Sprache der Mathematik geschrieben, und seine Buchstaben sind Dreiecke, Kreise und andere geometrische Figuren ohne die man nicht einen Satz versteht; ohne diese wandert man verloren in einem dunklen Labyrinth.

In den Naturwissenschaften, deren Schlüsse wahr und notwendig sind, und wo menschliche Willkür keine Stätte hat, muß man sich hüten, sich auf seiten des Irrtums zu schlagen; denn tausend Männer wie Demosthenes und Aristoteles würden von jedem mittelmäßigen Geiste aus dem Sattel gehoben, wenn dieser das Glück gehabt, die Wahrheit aufzufinden.

(denkt nach)

Mir scheint aber, die Logik lehrt uns zu erkennen, ob bereits angestellte Untersuchungen urtheilskräftig seien, aber dass sie den Gang derselben bestimme und die Beweise finden lehre, das glaube ich nicht.

Dennoch: Mathematik und Logik haben Ihnen bei Ihren (physikalischen) Experimenten und praktischen Arbeiten doch sehr weiter geholfen...

Ich leugne nicht, dass ich in den vergangenen Jahren manche Gedanken mir gemacht habe über die neuen Beziehungen, die aufgedeckt wurden in der Lehre von der Bewegung, aufgebaut auf Grundsätze der Geometrie.*

So haben Sie die Physik durch eine Unmenge von Beobachtungen und Messungen bereichert.

Uns muss es genügen, dass wir jene weniger erhabenen Werkleute sind, die aus dem Schachte den Marmor hervorsuchen und herbeischaffen, aus welchem später die genialen Bildhauer Wunderwerke erzeugen, die unter rauher ungeformter Hülle verborgen lagen.

Erlauben Sie zum Schluss eine etwas heikle Frage. Sie hatten gehörige Probleme mit der Inquisition. Wie ist ihre Position im Rückblick?

Ich habe stets gesagt:* Eure Sätze sind so fern von den gangbaren Lehren, dass Ihr bei einer Veröffentlichung viel Widersacher finden werdet, denn der natürliche Mensch trotz guter Augen sieht nicht das, was Andere mit ihrer Erfahrung an Wahrem und Irrigem aufgedeckt haben, und was ihnen verschlossen bleibt; mit sehr unliebsamen Titeln benennen sie die Reformatoren der Wissenschaft und suchen die Knoten zu zerhauen, die sie selbst nicht zu lösen verstehen, sie unterminieren jenes Gebäude, das von duldsamen Künstlern errichtet ist.

Für heute mag es genug sein, denn es ist spät geworden, und eine Stunde würde nicht lange genug sein, den genannten Stoff zu erschöpfen.

Nur an den Stellen mit * haben wir kleine Änderungen vorgenommen. Alle Zitate entstammen den folgenden Werken Galileos:

  • Unterredungen und mathematische Demonstrationen: Über zwei neue Wissenszweige, die Mechanik und die Fallgesetze betreffend 1-3 (Übersetzung: Arthur von Oettingen, Leipzig 1891)
  • Dialog über die beiden hauptsächlichsten Weltsysteme, das Ptolemäische und das Kopernikanische. Aus dem Italienischen (Übersetzung: Emil Strauss, Leipzig 1891)
  • Galileo Galilei, Il saggiatore, (Übersetzung AL., Rom 1623), Titelbild siehe unten.

Eine Biographie Galileis finden Sie hier.

Lesetipp: Die Geschichte um die Fälschung von Galileis Sidereus Nuncius in Spektrum der Wissenschaft, Februar 2014.

Galilei Il Saggiatore Villamoena fecit