Dr. Carsten Müller ist seit 1990 Mathematiklehrer und Schulleiter des Carl-Zeiss-Gymnasiums Jena und hat seitdem zahlreiche fantastische Mathematikprojekte innerhalb der Schule und in der Stadt Jena initiiert. Bei Mathe-im-Advent wurde seine Schule dieses Jahr die beste Schule! Vor der Wende hieß die Schule, die von der Firma Carl Zeiss vor 50 Jahren gegründet wurde, „Spezialschule Carl-Zeiss". Der inhaltliche Schwerpunkt der Schule lag von Beginn an im mathematisch-naturwissenschaftlich-technischen Bereich und sollte den Nachwuchs der Firma sicherstellen. Herr Müller hat Mathematik und Physik in Jena studiert und nach einem einjährigen Auslandsaufenthalt in der ehemaligen Sowjetrepublik Moldawien und einem 3-jährigen Forschungsstudium zunächst in Jena als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Sektion Mathematik der Universität gearbeitet. Stephanie Schiemann vom Netzwerkbüro Schule-Hochschule sprach mit Herrn Müller.

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(Foto: Dr. Carsten Müller; v.l.n.r. Frau Jahn, Frau Dr. Fiedler, Frau Scharlock, Herr Müller/Frau Kühnappel)

Seit Jahren sogar seit Jahrzehnten ist Ihre Schule ein Gymnasium mit mathematisch-naturwissenschaftlich-technischen Spezialklassen. Wie ist dies entstanden? Erzählen Sie doch bitte etwas zu der Geschichte.
Die Schule wurde 1963 mit zwei siebten Klassen unter Leitung von Dr. Alfred Groß gegründet. Mit Unterstützung der Firma Carl Zeiss Jena war es ein Ziel, den wissenschaftlich technischen Nachwuchs für diesen bedeutenden Betrieb in Jena heranzubilden. Eigene Stundentafeln mit erhöhtem experimentellen Anspruch, Zeiten zur individuellen Förderung und spezielle Lehrpläne gaben der Schule den Rahmen. In den vielen Jahren seitdem ist ein großer Erfahrungsschatz hinzugekommen, der ergänzt wird durch eine hohe Wettbewerbsaktivität vieler Schülerinnen und Schüler.

Nun feiern Sie dieses Jahr Ihr 50-jähriges Schuljubiläum. Neben der Schwerpunktsetzung haben Sie sich auch die Begabtenförderung auf die Fahnen geschrieben. Nennen Sie doch bitte Ihre wichtigsten mathematischen Eckpfeiler, Projekte und Erfolge diesbezüglich.
Bereits in der Sekundarstufe I gibt es Förderinstrumente, die sich neben den naturwissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaften auch auf die Mathematik konzentrieren. In zusätzlichen Kursen sind ergänzende Angebote vorhanden, so wird seit Jahren traditionell in Klasse 6 „Logische Spiele" angeboten sowie für Interessierte eine Kopfrechen-AG. Letztere wird seit einigen Jahren von Andreas Berger, unserem mehrfachen Kopfrechenweltmeister der Schüler, maßgeblich geleitet. In der Oberstufe hält die Stundentafel jeweils eine Stunde Mathematik mehr vor, die für vertiefende Inhalte genutzt werden kann. So werden zum Beispiel die Kegelschnitte nach wie vor bei uns obligatorisch thematisiert. Neben dem Zentralabitur bewältigen alle Schülerinnen und Schüler zum Abschluss der Schulzeit eine spezielle Klausur in Mathematik, die auch die zusätzlichen Themen in den Blick nimmt.

Die Teilnahme an mathematischen Wettbewerben hat auch lange Tradition bei Ihnen. Der Name „Carl-Zeiss-Gymnasium Jena" fehlt auf fast keiner bundesweiten Siegerehrung eines Mathematik-Wettbewerbs. Bei Mathe-im-Advent war Ihre Schule dieses Jahr mit fünf sehr erfolgreichen Klassen am Start hat erstmalig den Titel „Beste Schule" errungen. Herzlichen Glückwunsch! Wie lief es in den Klassen ab? Können Sie etwas von Ihrem Erfolgsrezept verraten?
Teilnahme an Mathematikwettbewerben wie dem Bundeswettbewerb Mathematik und der Mathematikolympiade, an Schülerwettbewerben wie dem Adam-Ries-Wettbewerb und am Känguruwettbewerb oder bei Heureka sind ebenso selbstverständlich wie seit einigen Jahren die Teilnahme von Schülerinnen und Schülern am Mathekalender des Matheon oder bei Mathe-im-Advent. Die Hinweise auf die Adventskalender der Klassen 4 bis 9 wurden vor allem von den dort unterrichtenden Kolleginnen und Kollegen an die Schüler herangetragen. Frau Dr. Fiedler motivierte dabei in besonderer Weise die 5. und 6. Klassen gemeinsam mit Frau Jahr. Speziell in den achten Klassen waren Frau Krieger und Frau Scharlock aktiv. Gegenseitiger Ansporn, gesunder Ehrgeiz und hohe Motivation gaben vermutlich den Ausschlag für das gute Abschneiden unserer Schülerinnen und Schüler. Insgesamt ist das „Lernen unter Gleichgesinnten" an unserer Schule ein wichtiger Moment für die allgemeine Leistungsstärke des Gymnasiums. Mit der Verantwortlichen für den Mathematikbereich, Frau Schubert, hat eine Kollegin sehr engagiert die Fäden in der Hand, um kontinuierlich auch mit den individuellen Stärken der Schülerinnen und Schüler zu arbeiten.

Worin besteht die Kontinuität Ihrer Schulstruktur? Welche Spezialangebote machen Sie den Schülern und wie bekommen Sie die passenden Lehrerinnen und Lehrer an Ihre Schule?
Die zusätzlichen Angebote und Ergänzungen in den Stundentafeln sind ein wichtiger Eckpfeiler der kontinuierlichen Arbeit auch in Mathematik. Die Schülerinnen und Schüler können zudem Angebote durch das Regionalzentrum nutzen, die Korrespondenzen und Camps anbieten. Durch die Schülerzeitschrift „Die Wurzel" werden seit vielen Jahren mathematische Schülercamps durchgeführt, die von vielen Schülern unseres Hauses intensiv genutzt werden. Seit wenigen Jahren gibt es hier auch ein Juniorcamp. Die Universität Jena organisiert immer im Januar als Vorbereitung auf die Landesmathematikolympiade ein dreitägiges Seminar für die Schüler der Klassen 8 bis 12.
Zur Personalpolitik und Einstellungspraxis kann wenig Substantielles gesagt werden, da in den letzten 20 Jahren fast keine Neueinstellungen erfolgten. Diese fehlende Lehrergeneration wird in vielen Schulen ein ernsthaftes Problem in naher Zukunft bereithalten. Wir haben durch Engagement für Versetzungswünsche an unsere Schule einige Mathematiklehrerinnen und -lehrer, die sich für die Begabtenförderung einsetzen, an die Schule bekommen können. Dennoch bleibt trotz einiger weniger Neueinstellungen in anderen Fächern auch für uns ein Durchschnittsalter von deutlich über fünfzig Jahren. Ergänzend kann bemerkt werden, dass zwei ehemalige Kollegen sich im Korrespondenzzirkelbereich seit vielen Jahren engagieren und der Schule weit nach ihrem persönlichen Berufsende die Treue halten.

... strenge Logik und phantsievolle Kreativität das Leben im weitetsten Sinne ungemein bereichern können. Dr. Carsten Müller


Schülerinnen und Schüler, die in eine Spezialklasse aufgenommen werden möchten, müssen entweder in der 5. oder in der 9. Klasse eine Aufnahmeprüfung bestehen. Worin besteht sie? Spielen die Vornoten eine entscheidende Rolle oder nach welchen Kriterien wählen Sie Ihre Schüler aus?

Für die fünften Klassen gibt es keine Aufnahmeprüfung. Aus Kapazitätsgründen sind wir jedoch gezwungen eine Auswahl aus den Anmeldungen zu treffen. Dabei legen wir ein ausführliches Elterngespräch ebenso zu Grunde wie die bisherigen Aktivitäten der Schülerin/des Schülers auf mathematischen und naturwissenschaftlichen Gebieten.
Zu den neunten Klassen gibt es in der Thüringer Schulordnung klare Regelungen für das Aufnahmeverfahren. Neben den Vorfeldleistungen, Teilnahmen an Wettbewerben und sonstigen Aktivitäten müssen die Bewerber schriftliche Nachweise bei speziell zusammengestellten Testaufgaben erbringen. Die Testergebnisse vor allem in Mathematik und Physik sind die Hauptkriterien zur Aufnahme. Die Vornoten werden zu Rate gezogen, sind jedoch im Verhältnis zu den Prüfungsteilen, die sich auch noch um ein mündliches Gespräch ergänzen lassen, nicht von entscheidender Bedeutung. Die nach den Ergebnissen erstellte Rangliste bildet die Grundlage für die Entscheidung der Aufnahmekommission.

450 Schüler sind für ein Gymnasium nicht viel. Ist Ihre Devise „klein aber fein"? Arbeiten Sie verstärkt mit kleinen Lerngruppen? Gibt es spezielle Lernmethoden oder Organisationsformen an Ihrer Schule? Worin zeichnet sich Ihr Schulprofil aus?
Das Schulprofil ist von der Schwerpunktsetzung für Mathematik, Naturwissenschaft und Technik geprägt. Zusätzliche Möglichkeiten in schulorganisatorischer und materieller Hinsicht werden vor allem in diesen Bereichen investiert. Dazu zählt auch obligatorischer Informatikunterricht in den Jahrgangsstufen 7 bis 10. Ein erhöhter experimenteller Anteil lässt sich in den durch die Stundentafel ermöglichten Klassenteilungen bei einer Wochenstunde in den Naturwissenschaften umsetzen. Die individuelle Einwahl in den wahlobligatorischen Unterricht von zwei Wochenstunden in den Klassen 9 und 10 gibt Raum für Auslotung naturwissenschaftlicher Interessen.
Eine ganz wichtige Rolle spielen die herausragenden Möglichkeiten der Stadt Jena mit Fachhochschule, Universität und weiteren wissenschaftlichen Einrichtungen zur Kooperation mit der Schule. Dies gipfelt in oft sehr guten Seminarfacharbeiten, die die Schülerinnen und Schüler grundsätzlich unter externer Betreuung in Klasse 11 und 12 verfassen.
Gewisse räumliche Bedingungen durch kleine Räume erlauben in den unteren Klassen eine maximale Klassenstärke von 22. Dies setzt sich etwa so auch bis zum Kurssystem fort, wobei manche Lerngruppe (Sprachen, Sport, Ethik) auch deutlich mehr Schüler aufnimmt. In den letzten beiden Jahren der Oberstufe belegen alle Schülerinnen und Schüler zwei Kurse in den Naturwissenschaften mit vier bzw. sechs Wochenstunden und dazu die dritte Naturwissenschaft auch noch mit drei Stunden.

Und nun möchte ich noch auf Sie persönlich zu sprechen kommen: Wie sind Sie selbst zur Mathematik gekommen? Gab es aus Ihrem Elternhaus bereits eine solche Prägung oder ein Ereignis im Kindergarten oder in der Schule, welches Sie für die Mathematik begeistert hat? Erzählen Sie doch bitte.
Ich bin als Einzelkind bei meiner Mutter aufgewachsen und kann mich nur an eine kleine Begebenheit mit dem Klassen- und Mathelehrer der vierten Klasse erinnern. Dies animierte mich zu einem spielerischen Umgang mit der Addition zweistelliger Zahlen (an Autonummern), was auch ein ständiges Zählen aller möglichen Dinge mit sich brachte. In der weiteren Schullaufbahn nahm ich mehr oder weniger erfolgreich an den Mathematikolympiaden von der dritten bis zur zwölften Klasse teil. Mit dem Mathelehrer der letzten beiden Jahre hatte ich offenbar einen ziemlich beeindruckenden Vermittler in der Schule, der, gepaart mit einem gewissen Ehrgeiz meinerseits, die weiterführende Beschäftigung mit der Mathematik für mich beflügelt hat. Durch meinen Vater, der selbst Mathematiklehrer war, motiviert, hatte ich ziemlich zeitig den Berufswunsch Lehrer. Bereits während der Armeezeit hatte ich Kontakt an die Uni Jena über die beeindruckende Schülerzeitschrift „Die Wurzel".
Das Studium selbst fand in einer sehr angenehmen Atmosphäre in einem bemerkenswerten Studienjahr mit einem wunderbaren Hochschullehrer, der gleichzeitig die Grundvorlesungen in Mathematik gehalten hat, statt. Prof. Dr. Eike Hertel sollte dann auch nach dem Studium für mich als Betreuer des Forschungsstudiums prägend bleiben. Auf seine Anregung hin wurde ein zehnmonatiger Aufenthalt im Interesse meiner Promotion auf geometrischem Gebiet in Moldawiens Hauptstadt Kischiniow zu einem bleibenden Erlebnis. Noch heute verbindet uns weit nach seiner Emeritierung ein enges Verhältnis.
Mit der politischen Wende wurde meine Bewerbung auf die Schulleiterstelle an der damaligen Spezialschule Carl Zeiss Jena positiv beschieden, nachdem ich davor fünf Jahre als Assistent an der Uni in Jena gearbeitet hatte. Neben den Anforderungen an die Leitung einer Schule dieser Qualität, nahm ich mir die Zeit, auch weiterhin Akzente auf mathematischem Gebiet zu setzen. So existieren in der Schule derzeit fünf Großobjekte, die sich mit klassischen und modernen Fragen der Mathematik beschäftigen. Hinzugekommen sind über die Jahre Fußbodenmuster mit mathematischen Inhalten und Hofgestaltungen, die sich den Kegelschnitten widmen, die Zirkel- und Lineal-Konstruktionen der regulären n-Ecke bzw. ein riesiges Ikosaeder als Klettergerüst zeigen. Im Jahr der Mathematik 2008 gestaltete ich mit einem Hochschullehrer aus Jena, Dr. Hartmut Menzer, verschiedene Stationen der IMAGINATA in Jena. Dieser Sinnespark wird jährlich von etwa 20000 Besuchern, darunter vielen Schulklassen, aufgesucht, um sich mit diversen Phänomenen der Naturwissenschaften und seit 2008 mit der Mathematik auseinandersetzen. Die Mathestationen sind unter www.mathimagie.de zu sehen.
Derzeit ist ein Buch zum Schuljubiläum geplant, dass die Summe dieser Aktivitäten, Gegenstände und Geschichten rund um die Mathematik in einem sicher außergewöhnlich dadurch geprägten Schulhaus zum Inhalt hat. Erwähnt werden darin natürlich auch die Preisträger verschiedener Wettbewerbe zu denen 4 Teilnahmen an der IMO ebenso zählen wie acht Bundessieger im BW Mathematik sowie 111 Teilnehmer an der Bundesrunde der Mathematikolympiade seit 1991 mit 68 Preisträgern und 25 Anerkennungen. Vor der Wende gab es bereits mit Jörg Jahnel einen dreifachen Teilnehmer an der IMO von 1985 bis 1987.

Herzlichen Dank für das Interview und alles Gute für Ihr Jubiläumsjahr und Ihr weiteres (Schul-)Leben.