Die Leipziger Wirtschaftsmathematikerin Kerstin Vogt beschäftigt sich seit drei Jahren intensiv mit dem Thema der Vorschulförderung, vor allem in den Bereichen Zahlverständnis, Abstraktionsvermögen und räumliches Denken. Die Motivation für diese Thematik bekam die 35-Jährige von ihren eigenen Kinder (Sohn 7 J. und Tochter 4 J.). Ihr bisher größtes Projekt - der "Kita-Mathe-Tag" - findet im diesjährigen MatheMonatMai der DMV statt. Stephanie Schiemann vom Netzwerkbüro Schule-Hochschule sprach mit Kerstin Vogt.

Foto Kerstin Vogt 250

(Foto: privat)

Wie ist die Idee, mathematische Grundlagen in den Kindergarten zu integrieren, entstanden und gewachsen?
Vor ein paar Jahren wollte ich in der Kita meines Sohnes zeigen, was ich beruflich mache. Daraus ergab sich ein 3-maliger Besuch mit kleinen mathematischen Basteleien. Es hat den beteiligten Kindern sehr viel Spaß gemacht und ich war voller Ideen. Die Vorschulkinder der Kitagruppe meiner Tochter besuchte ich schon 7-mal. Insofern auch ein Dankeschön an die Kita, dass die Möglichkeit bestand diese "Mathe-Spiele-Stunden" durchzuführen. Vor allem meine eigenen Kinder haben mich inspiriert. Sie sind meine besten Kritiker.

Was bieten Sie an? Wer unterstützt Sie?
Es ergab sich daraufhin ein wöchentliches Angebot für Kitakinder, welches durch die Eltern bezahlt wurde. Von Anfang an schätzten sie die Arbeit mit den Kindern sehr, da sie es als gute Vorbereitung für die Schule sahen. Im laufenden Kitajahr wurde nach einigen Anläufen das Projekt "Spielerische Mathematik"  2011/2012 genehmigt. Ich durfte es durchführen. Es wurde vom Quartiersmanagement Brunnenviertel-Brunnenstraße der Stadt Berlin befürwortet und finanziert. Aktuell habe ich zusammen mit den evangelischen Kindertagesstätten in Berlin-Mitte einen "Kita-Mathe-Tag" entwickelt. Sie haben große Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt. Für den Tag sind 17 Kitas eingeladen worden. 15 Erzieherinnen haben sich für die "Erzieherrunde" angekündigt. Die Veranstaltung findet im Rahmen des MatheMonatMai der DMV am 4. Mai 2012 mit 120 Kindern und 6 Erzieherinnen statt.

Welche Rückmeldungen gibt es von den Kindern, den Eltern, Grundschullehrern oder den beteiligten Kitas?

Ich habe von vielen Seiten sehr positive Rückmeldungen erhalten. Gerade die Kinder lieben das Angebot sehr. Ich bin deshalb zu der tiefen Überzeugung gelangt, dass die Kinder einen Bedarf haben an anspruchsvollen Experimenten, die auch räumliches Vorstellungsvermögen oder abstraktes Denken fordern. Viele Kinder können im Alter von 3 Jahren bereits sicher und weit zählen, sie wollen dann mehr wissen, doch das "Futter" fehlt und es entsteht irgendwie eine Lücke bis zur Schule. Hier wünschen sich vor allem die Eltern mehr Input seitens der Kitas. Sie unterstützen und bestärken mich, mein Kursangebot beizubehalten und auszubauen. Die Eltern sehen dieses Bildungsangebot als herausragendes Merkmal ihrer Kita. Die Erzieherinnen und Erzieher sowie die Kitaleitungen wiederum reagierten sehr unterschiedlich. Man kann die Reaktionen in drei Antwortgruppen einteilen:

1. Die Kitas waren komplett ablehnend nach dem Motto "Mathe vor der Schule niemals".

2. Die Kitas fühlten sich kontrolliert und meinten, sie machen das doch schon, sie brauchen diesbezüglich keine Unterstützung (meist ohne Zustimmung der Eltern).

3. Die Kitas waren sehr begeistert und neugierig auf Ideen zur mathematischen Frühförderung.

Im letzten Fall entwickelte sich meistens eine super Zusammenarbeit.

... sie viel zu schön und bedeutend ist, um ein Tabuthema zu sein. Kerstin Vogt


Gibt es Unterschiede bei Mädchen und Jungen?

Jungen und Mädchen kommen gleichermaßen gerne zu den Mathe-Spiele-Stunden. Ich habe die Vermutung, dass Jungen oft (nicht immer!) ein besseres räumliches Vorstellungsvermögen besitzen und Mädchen oft ein "schönes" Ergebnis anstreben. Ansonsten sehe ich keine signifikanten Unterschiede in der Begabung von mathematischen Fähigkeiten, wie z. B. beim Zahlverständnis.

Was treibt Sie an?
Ich möchte gerne den jungen Kindern schon früh die Chance geben, positive mathematische Erfahrungen zu sammeln. Gerade bei einigen Erzieherinnen und Erziehern sehe ich Ängste, die neugierige Kinder irritieren und in ihrer Vorliebe nicht unterstützen. Ich möchte die mathematischen Fragen der Kinder sinnvoll beantworten und ihren Wissensdurst befriedigen. Die mathematischen Themen kindgerecht aufzubereiten bereitet mir viel Spaß.

Was sind Ihre Pläne für die Zukunft?
Ich wünsche mir die Angebote auszuweiten: Erste Konzepte zur Erzieherschulung gibt es schon. Doch es geht noch nicht weit genug. Es sollte mehr Projekte geben, um mehr Kita-Kinder, aber auch Grundschulkinder für die Mathematik zu begeistern. Dazu wünsche ich mir auch eine stärkere Vernetzung.

Wie sind Sie selbst zur Mathematik gekommen? Wer hat Sie gefördert / unterstützt?
Mein Großvater war Mathe- und Physiklehrer. Er ist nur leider früh gestorben, so dass ich ihn kaum kennengelernt habe und von einem Einfluss wohl kaum die Rede sein kann. Ich bin aber oft mit ihm verglichen worden. Möglicherweise habe ich meine Anlagen von ihm geerbt. Meine Leidenschaft für die Mathematik besteht schon ewig - Mathematik war schon immer mein Lieblingsfach. Unterstützt haben mich verschiedene Lehrer im Laufe meiner Schulzeit. Ich kann mich da z. B. an meine Grundschullehrerin Frau Lux in der 4. Klasse erinnern: Wir haben dort ganz viel konstruiert und Parallelverschiebungen von allen möglichen Gebilden, wie z. B. einem Hund geübt. Das hat mich begeistert. Außerdem war mein Lehrer in der Oberstufe, Herr Speich, super. Er hat schon einmal echte Ziegenknochen mit in den Unterricht gebracht, um zu zeigen, wie ein erster Würfel aussah. Für die Aufgaben der Wahrscheinlichkeitsrechnung hatte er oft eine Urne mit Kugeln dabei. Nach der Schule habe ich dann an der Universität Leipzig Wirtschaftsmathematik studiert. Dieses Fach hat mich meine Stärken und meine Schwächen gelehrt. Meine größte Stärke ist wohl die Begeisterung für ein Fach weiterzugeben, welches in so viele Bereiche hineinreicht und Lösungen anbietet