einsteins uhren pioncares karten

Einsteins Uhren, Poincarés Karten
Die Arbeit an der Ordnung der Zeit

Peter Galison
S. Fischer, 2003, 288 Seiten, 24,90 €
Taschenbuch: Fischer TB, 2006, 382 Seiten, 12,95 €

ISBN: 3-100-24430-3
ISBN: 3-596-17237-3

Der Untertitel "Die Arbeit an der Ordnung der Zeit" beschreibt den Inhalt dieses Buches sehr gut. Peter Galison gibt einen umfassenden Über- und Einblick in die Anstrengungen und Arbeiten zur Synchronisation der Zeit und den sich daraus ergebenden Konsequenzen und Zusammenhängen.
Noch Mitte und Ende des 19. Jahrhunderts war es so, dass es selbst in einzelnen Ländern in verschiedenen Städten verschiedene Zeiten gab. Beispielsweise gingen die Uhren in Brest im Vergleich zu denen in Paris siebenundzwanzig Minuten nach, die in Nizza gegenüber denen in Paris zwanzig Minuten vor. Auch wenn das für die normale Bevölkerung nicht so dramatisch war, zeigt sich schon am Beispiel des Eisenbahnverkehrs das ganze Dilemma, da die Passagiere ständig auf mehrere Uhren schauen mussten. Es ist daher auch nicht verwunderlich, dass gerade die Eisenbahngesellschaften einen großen Antrieb zur Vereinheitlichung der Zeit darstellten.
Ein weiterer wichtiger Grund für eben diese Vereinheitlichung ist die Kartographie. In eben diese Zeit fallen nämlich auch die großen Expedition zur kartographischen Erfassung und Erstellung von Atlanten des gesamten Planeten, ausgehend u.a. in den französischen Kolonien. Galison erzählt spannend und mit Rückgriff auf viele Originalzitate und -dokumente von den abenteurlichen Missionen, beispielsweise in Südamerika, welchen die nicht weniger komplizierten Arbeiten und Versuche der Verlegung von Telegraphenkabeln über unwegsames Gelände und Ozeane vorausgingen.
Doch auch die intellektuellen Debatten sind äußerst interessant dargestellt. So muss man feststellen, dass der "Kampf um den Nullmeridian" zwischen Frankreich (Die Franzosen wollten diesen natürlich durch Paris verlaufend haben.) und England (Greenwich) aus patriotischen Gründen doch das eine oder andere Mal die angeblich rein der Wissenschaft verpflichtete Argumentation in den Hintergrund rücken lässt.
Ein weiteres durch Frankreich forciertes Projekt, welches jedoch letztendlich scheiterte, ist die Dezimalisierung der Zeit. Auch diese Debatte, ob es nicht sinnvoll und praktikabler wäre, die Stunde in hundert Minuten, den Tag in zehn Stunden und den Globus in 100 oder 400 Längengrade zu unterteilen, wird von Galison mit vielen Originalzitaten der Beteiligten sehr kurzweilig und spannend aufbereitet.
Der rote Faden, welcher sich durch das ganze Buch zieht, sind natürlich die beiden titelgebenden Hauptakteure. Zum einen der wohlbekannte Physiker und Begründer der Relativitätstheorie Albert Einstein, zum anderen der Mathematiker, Physiker, Ingenieur und Philosoph Henri Poincaré. Gerade dessen wissenschaftlicher Einfluss auf den als Persönlichkeit doch so gegensätzlichen Einstein wird hier gut aufgezeigt. Auch wenn Einstein unser Wissen und Denken über Raum und Zeit radikal veränderte, sieht man hier, dass er zum großen Teil auch die Arbeiten, insbesondere die Poincarés, in einen gewissen Sinne fortsetzt, oder wie man auch sagen könnte, zu Ende denkt.
Zwar haben sich die beiden nur selten getroffen und auch nicht direkt miteinander gearbeitet, auch vertraten sie, wie beispielsweise bezüglich der Konstruktion des den gesamten Raum durchdringenden Äthers, in manchen Fragen verschiedene Ansichten, doch kann es keinen Zweifel darüber geben, dass sie mit ihren mathematischen, physikalischen und auch philosophischen Ergebnissen (gerade die Frage nach der Universalität der Zeit ist ein solcher Punkt) unser heutiges Weltbild bedeutend mitgestalteten und prägten.
All diese Themen, die nebenbei auch viel Biographisches über Einstein und Poincaré erzählen, sind von Peter Galison in einem sehr lesenswerten Buch zusammengefasst und aufgearbeitet, in dem sicherlich die meisten Leser immer wieder auf überraschende neue Erkenntnisse stoßen werden und dessen Lektüre daher neben einem großen Genuss auch einen enormen Wissenszuwachs bereithält.

(Rezension: Jörg Beyer)