an introduction to benfords law

An Introduction to Benford's Law

Arno Berger, Theodore P. Hill

Verlag: Princeton University Press 2015. 256 Seiten 69,68 €
Sprache: Englisch

ISBN-10: 0691163065
ISBN-13: 978-0691163062

Es ist bemerkenswert, dass der von Timothy Gowers herausgegebene, über tausend Seiten dicke „Princeton Companion to Mathematics“ nicht das Benfordsche Gesetz zitiert: In dem aus rund 2500 Stichworten bestehenden Index kommt dieses höchst eigenartige, zuerst von Simon Newcomb entdeckte und mehr als 50 Jahre später im Jahre 1938 vom Physiker Francis Benford wieder aufgefundene Phänomen nicht vor. Es handelt sich bei ihm um eine Gesetzmäßigkeit in der Verteilung der Ziffernstrukturen von Zahlen und galt Gowers und seinen Mitautoren wohl eher als ein empirisches denn als ein mathematisches Gesetz: In vielen Datensätzen aus dem Bereich der Bevölkerungsstatistik, der Finanzbuchhaltung, der Messwerte quantitativ bestimmter Größen sowie aus anderen Bereichen zeigt sich nämlich, dass die Anfangsziffern der Daten nicht gleichverteilt sind, sondern dass die Ziffer 1 als Anfangsziffer signifikant öfter vorkommt als die anderen Ziffern, zum Beispiel mehr als dreimal so häufig wie die Anfangsziffer 4 und sogar mehr als sechsmal so häufig wie die Anfangsziffer 9. Genauer kann man Newcombs und Benfords Beobachtungen in ihrer einfachsten Version so formulieren: Eine Folge positiver Dezimalzahlen heißt Benfordfolge, wenn die Häufigkeit, mit der die Ziffer z als Anfangsziffer eines Folgenelements unter den ersten n Folgegliedern aufscheint, bei n → ∞ gegen lg(z + 1) − lg z konvergiert. Dabei bezeichnet lg in dieser Differenz den Briggschen Logarithmus zur Basis 10. Der empirische Befund von Newcomb und Benford besagt, dass bei Datensätzen, die sich über mehrere Zehnerpotenzen hinweg erstrecken, erstaunlich viele Benfordfolgen auftauchen.

Mit dem schönen Buch „An Introduction to Benford’s Law“ gelingt den Autoren Arno Berger und Theodore P. Hill, das Benfordsche Gesetz in das Gefüge der Mathematik so einzubinden, dass alle künftigen Ausgaben des „Princeton Companion to Mathematics“ an ihm nicht mehr vorübergehen werden können. Das Buch ist in konziser Sprache verfasst, alle Beweise werden klar und verständlich geführt, alle Definitionen werden mit guten Motivationen gerechtfertigt und punktgenau formuliert, die Bedeutung der hergeleiteten Sätze wird anhand zahlreicher und einleuchtender Beispiele und Gegenbeispiele hervorgehoben und die vielen farbig aufbereiteten Tabellen und Skizzen bereichern den Text außerordentlich. Teile des Buches sind interessierten Laien zugänglich, vieles in ihm wird mit Grundkenntnissen aus der Maßtheorie gut verstanden, nur an einigen Stellen wird tieferes Fachwissen vorausgesetzt, wobei sich die Autoren nicht scheuen, auf noch unbeantwortete Fragen und offene Probleme hinzuweisen.

Nach einer knappen historischen Einleitung bereiten die Autoren den maßtheoretischen Rahmen vor, innerhalb dessen sie nicht nur Benfordfolgen, sondern auch Funktionen und Zufallsvariablen beschreiben können, die dem Benfordschen Gesetz folgen. Sie untersuchen sodann die für das Benfordsche Gesetz eigentümliche Skaleninvarianz, sowie die Basis- und Summeninvarianz, und sie wenden sich danach eindimensionalen dynamischen Systemen, Differentialgleichungen, Produkten von Matrizen, Markoffketten, Differenzengleichungen und verwandten Themen zu, die mit dem Benfordschen Gesetz in Verbindung gebracht werden können. Im vorletzten Kapitel wird überdies ein sehr interessanter Zugang zum Benfordschen Gesetz aufgezeigt, der von den Spuren der formalen Maßtheorie mit ihren Sigmaalgebren abweicht und Mengenalgebren in den Blick nimmt, bei denen keine abzählbaren, sondern nur endlichen Vereinigungen und Durchschnitte zugelassen sind. Das letzte Kapitel ist den vielfältigen Anwendungen des Benfordschen Gesetzes gewidmet.

Der Haupsatz des Buches von Berger und Hill ist der Satz 4.2, in dem eine Folge positiver Dezimalzahlen genau dann als Benfordfolge erkannt wird, wenn die Folge der Briggschen Logarithmen dieser Dezimalzahlen modulo eins gleichverteilt ist. Dieser zentrale Satz schlägt die Brücke zwischen dem Benfordschen Gesetz und der von Hermann Weyl erfundenen Theorie der Gleichverteilung von Zahlen modulo eins. Dass die Potenzen von zwei, von drei und von vielen anderen Basen, so auch von π, hingegen natürlich nicht die Potenzen von zehn, Benfordfolgen sind, folgt hieraus unmittelbar. Ebenso schnell ergibt sich aus den Binetschen Formeln für die Fibonacci-Zahlen, dass die aus ihnen gebildete Folge dem Benfordschen Gesetz gehorcht.

Fast genau hundert Jahre, nachdem Weyl seine bahnbrechende Arbeit zur Gleichverteilung von Zahlen modulo eins verfasst hatte, zeigt nun das beeindruckende Buch von Berger und Hill, wie zukunftsweisend die damalige Arbeit Weyls war, die selbst bereits viele Aspekte der Theorie der Gleichverteilung vorwegnahm, welche später von Johannes van der Corput, Leopold Fejér, Edmund Hlawka und vielen anderen erarbeitet wurden. Berger und Hill bringen manche von ihnen wieder in einem neuen Kontext zur Sprache. Selbst die Tatsache, dass so erstaunlich viele empirische Datensätze dem Benfordschen Gesetz gehorchen, spiegelt sich in einem metrischen Satz in §7 der Arbeit von Weyl wider, wobei er – für einen konstruktiven Mathematiker typisch – anmerkt, dass er „freilich glaube, dass man den Wert solcher Sätze, in denen eine unbestimmte Ausnahmemenge vom Maße 0 auftritt, nicht eben hoch einschätzen darf“.

Quelle: Springer Verlag, Mathematische Semesterberichte, Oktober 2015, Band 62, Heft 2
Mit freundlicher Genehmigung des Verlags

Rezension: Rudolf Taschner (Wien)