so einfach ist mathematik

So einfach ist Mathematik
Basiswissen für Studienanfänger aller Disziplinen

Dirk Langemann, Vanessa Sommer

Springer Spektrum; Auflage: 1. Aufl. 2016. (14. September 2015)
Taschenbuch, 240 Seiten, 19,99 €

ISBN-10: 3662471035
ISBN-13: 978-3662471036

Die Anfängerzahlen in den ingenieurwissenschaftlichen Fächern sind in den letzten Jahren an den Technischen Universitäten stark angestiegen. Mit diesem prinzipiell begrüßenswertem Anstieg ist allerdings auch die immer größere Zahl derjenigen Studentinnen und Studenten gestiegen, die mit nicht mehr ausreichenden Mathematikkenntnissen ein solches Studium in Angriff nehmen. Eklatante Mängel zeigen sich dabei nicht etwa nur bei der sogenannten „höheren“ Mathematik, sondern bereits bei elementaren Techniken der Bruch- oder Potenzrechnung. Es ist ein offenes Geheimnis, dass der Mathematikunterricht an den Gymnasien heute in der Regel für ein MINT-Studium kaum noch ausreicht; der politische Wunsch nach einer immer weiter wachsenden Zahl von Abiturientinnen und Abiturienten und zahllose sogenannte Unterrichtsreformen bis hin zur völlig inhaltslosen Kompetenzorientierung des Mathematikunterrichts haben tiefe Spuren der Verwüstung hinterlassen. Die Leidtragenden dieser Entwicklung sind die jungen Leute, die sich nach der Schule in den Hörsälen wiederfinden und mit Ingenieurmathematik (bzw. Mathematik, Physik, Informatik) in Berührung kommen.

Mein Kollege Dirk Langemann liest seit vielen Jahren die Ingenieurmathematik für Maschinenbau- und Bauingenieurstudierende und hat daher sehr reichhaltige Erfahrungen sammeln können. Viele Studentinnen und Studenten haben regelrecht Angst vor der Mathematik entwickelt, einige haben sich selbst schon beinahe aufgegeben und vertrauen fragwürdigen Ratschlägen älterer Semester zum „Überleben“ der Mathematikvorlesungen. Da diese Studentinnen und Studenten aber keineswegs dümmer sind als ihre Vorgänger vor zwei Jahrzehnten, muss man ihnen mit konkreten Hinweisen helfen. Genau das will das vorliegende Buch, das Langemann mit seiner Mitarbeiterin Vanessa Sommer, einer studierten Mathematiklehrerin, erreichen.

Das Einstiegskapitel „Bevor’s richtig losgeht“ heißt Leserinnen und Leser erst einmal willkommen und steckt den Claim ab. Schon hier werden die Adressaten sehr liebevoll empfangen, aber sie erfahren auch schon wichtige Hilfestellungen. Jeder Dozent kennt vermutlich die bohrende Frage von Erstsemestern: „Wozu brauche ich das?“. Dahinter steckt wohl der Wunsch, nur genau das lernen zu müssen (wollen?), was man später in der Anwendung auch wirklich benötigt, und die Mathematikausbildung der Anfänger scheint vielen sehr fern davon zu sein. Langemann/Sommer bringen als schlagendes Beispiel einen ersten Tag in einer Fahradwerkstatt, in der der Novize eine Schraube mit Querbohrung findet und laut ausruft, dass niemand eine solche Schraube braucht. Es handelt sich aber um die wichtige Schraube für die Bowdenzüge der Bremsen! Mit feinem mecklenburgischen Humor (Langemann stammt aus Rostock), der das gesamte Buch durchzieht, berichten die Autoren von einer Prüfung, die irgendwo in der Mitte Deutschlands stattgefunden haben soll. Ein Lehramtskandidat wurde gefragt, wie viele Kubikzentimeter einen Kubikmeter bilden, und er wusste es nicht, auch nicht nach massiver Hilfe und Veranschaulichung. Das ist natürlich ein trauriger Einzelfall, aber inzwischen haben die Autoren ebenfalls solche Erlebnisse gehabt und dabei mit Taschentuchpackungen und aus einem Apfel geschnitzten Würfeln versucht, Hilfestellungen zu geben. In einem dieser Fälle kam nach nicht bestandener Prüfung sogar der Brief eines Anwalts, der auf die attestierte Hochbegabung des Prüflings hinwies! Immer wieder berichten die Autoren von solchen und ähnlichen Fällen („e weiß ich jetzt nicht“) – immer aber mit der Intention und der Erläuterung, dass sie ihre Leserinnen und Leser davon abhalten wollen, solche Offenbarungseide abzulegen. „Sie werden es schaffen“, schreiben die Autoren, und nach der Lektüre dieses Buches kann man es auch schaffen!

Das zweite Kapitel ist häufigen Fragen gewidmet und hier geben Langemann/Sommer unentbehrliche Hinweise. Sie wissen wie sich Studentinnen und Studenten fühlen, die mit Mathematik nicht zurechtkommen, und sie wissen auch um die vielen Fallen, in die man in solcher Situation und Gemütslage tappen kann. Wie lernt man Mathematik? Warum ist es wichtig, die Bedeutung der Mathematik erst einmal zu akzeptieren, bevor man die Anwendungen in der Praxis kennt? Wie argumentiert man in der Mathematik? Wann hat man einen mathematischen Sachverhalt verstanden? Wie schreibt man Mathematik auf und warum? Wie kann ich selbst einfache Rechenregeln prüfen, wenn ich sie doch einmal vergessen habe? Brauche ich Mathematik? Was sollen Beweise? Das sind einige der Fragen, die das Autorenduo klug und mit Blick auf die Studierenden diskutiert. Und das wichtigste: man darf nicht nur selbst ausprobieren, man muss es sogar, denn ohne aktiven Einsatz ist Mathematik nicht zu lernen.

Im dritten Kapitel geht es dann zur Sache, und zwar zuerst mit den natürlichen Zahlen, dem Kopfrechnen, der überschlägigen Rechnung und der Klammersetzung. Schriftliches Rechnen, Zahlbereichserweiterungen, Division mit Rest, Bruchrechnen, das Rechnen mit Beträgen, die Primzahlen, Potenz-, Wurzel- und Logarithmengesetze werden nicht dogmatisch wie in einem Lehrbuch behandelt, sondern es wird mit zahlreichen Beispielen und Gegenbeispielen motiviert und über die jeweilige Mathematik gesprochen; ja, manchmal sogar philosophiert. Den Abschluss des dritten Kapitels bildet ein Ausflug in die schlimmsten Fehler, die man in der Elementarmathematik machen kann und die beide Autoren auch bei ihren Studentinnen und Studenten des öfteren gesehen haben. Auch hier wird aber niemand vorgeführt, sondern streng (aber immer liebevoll) an die Hand genommen.

Im vierten Kapitel wird „ein bisschen Geometrie“ betrieben. Die klassische Geometrie hat noch vor der Analysis in der Schulmathematik schwere Einbußen hinnehmen müssen und ist bei vielen Studienanfängern kaum noch vorhanden. Im fünften Kapitel stehen Funktionen im Zentrum der Diskussion. Die Bedeutung des Graphen wird beschrieben, ein Klausurbeispiel einer gebrochen rationalen Funktion durchgesprochen, und auch eine durch geschachtelte Beträge definierte Funktion wird mit einer Anweisung zum Zeichnen des Graphen vorgestellt. Das Verschieben von Funktionen auf Ordinate und Abszisse wird behandelt, Potenzfunktionen, Exponentialfunktionen, trigonometrische Funktionen werden diskutiert, auch die Verkettung von Funktionen wird angesprochen. Dann geht es um Flächen und Änderungen; hier werden Integral und Ableitung eingeführt und die zugehörigen Rechenregeln hergeleitet. Hier, wie überall im Buch, steht dezidiert kein Lehrbuchcharakter hinter den Ausführungen. Man lernt wichtige Zusammenhänge sozusagen beim Lesen, das man allerdings (auch darauf weisen die Autoren mehrmals hin) mit Bleistift und Papier ergänzen sollte.

In den folgenden Kapiteln geht die Reise weiter vom Umgang mit mathematischen Symbolen (Binomische Formeln, Termumformungen, Polynomdivision, Partialbruchzerlegung) bis hin zu Gleichungen (lineare, quadratische, Systeme) und einfachen Beweisen von Ungleichungen, wobei auch Beweistechniken erläutert werden.

Im neunten Kapitel geben die Autoren Hinweise, wie man ein mathematisches Fachbuch lesen sollte. Dann kommen zwei abschließende Kapitel, die man nur als „survival guide“ bezeichnen kann. Hier wird sachlich beschrieben, dass der Glaube an Rechenrezepte und an Taschenrechner in die Irre führt. Gefährlich ist auch Halbwissen, auf das man sich nie verlassen sollte. Dann geht es um beliebte Ausreden und immer wieder vorgebrachte Entschuldigungen für das Versagen in Klausuren oder mündlichen Prüfungen. Auch hier finden die Leserinnen und Leser an keiner Stelle Vorwürfe, aber „Zahlenblindheit“, „Dyskalkulie“ und echte „Prüfungsangst“ treten nun einmal wirklich sehr selten auf – viel seltener als die meisten Studierenden das vermuten.

Das Buch von Langemann und Sommer kann nicht genug gepriesen werden. An keiner Stelle werden Vorwürfe erhoben, sondern die Studentinnen und Studenten werden ernst genommen und dort abgeholt, wo sie stehen: am Anfang ihrer ernsthaften Beschäftigung mit dem Fach Mathematik. Ich habe die Vokabel schon zwei Mal verwendet, aber mir fällt keine bessere ein: das Buch ist äußerst liebevoll geschrieben! Ich kann es allen Studienanfängern nur wärmstens empfehlen, die sich in ihrem Studium mit Mathematik beschäftigen müssen, und nach Lektüre dieses wundervollen Buches auch hoffentlich wollen. Auch Schülerinnen und Schüler, die sich mit der Mathematik schwertun, werden sicher von diesem Buch profitieren. Wenn man nach der Lektüre immer noch Mathematik für ein A...loch hält, dann hat man sicher ein falsches Studienfach gewählt! Ein grandioses Buch.

Rezension: Thomas Sonar (Braunschweig)

Quelle: Springer Verlag, Mathematische Semesterberichte, März 2017, Band 64,
Mit freundlicher Genehmigung des Verlags