galoes theory of linear differential equations

Galois Theory of Linear Differential Equations

M. van der Put, M. Singer
Springer Verlag, New York, Berlin, Heidelberg, 2003, 456 Seiten, 89,95 €

ISBN 3-540-44228-6

 

Die Galoistheorie linearer Differentialgleichungen, die die gewöhnliche (endliche) Galoistheorie verallgemeinert, hat sich in den letzten Jahren zunehmenden Interesses erfreut. Da viele verschiedene mathematische Disziplinen in diese sogenannte Differential-Galoistheorie einfließen und Anwendung finden (darunter fallen z. B. algebraische Gruppen, Darstellungstheorie, Riemannsche Flächen), ist sie ein dankbares Thema für Lehrveranstaltungen oder auch zum Selbststudium für Studierende. Anders als in der gewöhnlichen Galoistheorie gibt es bis dato kaum Literatur in Lehrbuchform. Die vorliegende Monographie ist die erste umfassende Behandlung des Gebietes in dieser Form.

Wie in der Einleitung zu lesen ist, soll das Buch eine Einführung in die algebraischen, algorithmischen und analytischen Aspekte der Theorie geben und für Studierende höherer Semester mit einem Hintergrund in Algebra und Analysis zugänglich sein.

Die Autoren behandeln zunächst die algebraische Theorie (Picard-Vessiot-Theorie für Gleichungen und D-Moduln, formale lokale Theorie). Insbesondere das erste Kapitel liefert eine sehr gute Zusammenstellung der wichtigsten Sätze der Theorie (wie auch die Arbeit [vdP96] des ersten Autors, die hier wohl als Vorlage gedient hat) und ist für jeden zu empfehlen, der einen raschen Überblick über die Grundlagen sucht.

Ein Kapitel über algorithmische Fragen schließt den ersten Teil Algebraic Theory des Buches ab. Hier werden die Berechnung rationaler und Liouvillescher Lösungen (Lösungen, die aus Integralen von Exponentialfunktionen, Logarithmen und algebraischen Elementen komponiert sind), die Faktorisierung von Operatoren sowie die effiziente Berechnung von Operatoren mit vorgegebener endlicher Galoisgruppe besprochen. Letztere setzt allerdings im Prinzip bereits eine Kenntnis der beiden folgenden Kapitel über Monodromie und Riemann-Hilbert-Problem voraus (worauf auch hingewiesen wird) und wird am Spezialfall von Operatoren kleinen Grades exemplarisch erklärt. Leider fehlt in diesem Teil eine Behandlung des direkten Problems (Berechnung von Differentialgaloisgruppen) im reduktiven Fall (der allgemeine Fall wurde erst sehr kurz vor der Fertigstellung des Buches gelöst).

In den weiteren Kapiteln zur analytischen Theorie werden exakte Asymptotik (u. A. Gevrey-Klassen, Borel-Laplace-Transformation und Multisummation), Stokes-Phänomen und meromorphe Klassifikation, sowie universelle Picard-Vessiot-Erweiterungen diskutiert. Nach zwei Kapiteln über inverse Probleme sowie Moduli schließt ein Abschnitt über Differentialgleichungen in positiver Charakteristik (inklusive eines Hinweises auf die kürzlich entwickelte Theorie der sogenannten iterativen Differentialmoduln und deren Zusammenhang mit p-adischen Differentialgleichungen) das eigentliche Buch ab.

Die ersten drei Teile des Anhangs (algebraische Geometrie, Tannaka-Kategorien und Garbenkohomologie) ersparen dem Leser den Griff zu anderer Literatur, was Begriffe und wichtige Aussagen aus den genannten Gebieten betrifft. Sehr nützlich erscheint mir darunter der Abschnitt über Tannaka-Kategorien. Außerdem enthält der Anhang ein kurzes Kapitel über partielle Differentialgleichungen.

Nicht gänzlich gelungen ist die – zugegebenermaßen nicht leichte – Zusammenstellung der einzelnen Kapitel, die wahrscheinlich über einen längeren Zeitraum hinweg von zwei Personen und auch nicht in der endgültigen Reihenfolge verfasst wurden. Einerseits variieren die Dichte der Darstellung und die vom Leser geforderten Vorkenntnisse deutlich, andererseits ist der Leser nach den beiden einleitenden Kapiteln weitestgehend auf sich selbst gestellt, was die Navigation durch das Werk betrifft. Jemand, der sich hauptsächlich für die algebraische Theorie interessiert, möchte vielleicht trotzdem die Lösung des Umkehrproblems im zusammenhängenden Fall – die rein algebraisch ist – kennen lernen (Kapitel 11) oder wissen, was sich hinter dem oft verwendeten Begriff eines Zusammenhangs verbirgt (Kapitel 6). In der Einleitung werden zwar die in den einzelnen Abschnitten behandelten Themen skizziert, die Abhängigkeiten der Kapitel untereinander bleiben aber für den Nichtexperten schwer oder gar nicht erkennbar. Hier könnte ein Leitfaden bereits weiterhelfen.

Trotzdem kann man sagen, dass mit dem vorliegenden Buchprojekt eine schwierige Aufgabe – nämlich die Behandlung der beiden grundsätzlich verschiedenen Aspekte (algebraische und analytische Theorie) in einem Band – recht gut gemeistert wurde. Der Text geht in vielen Bereichen deutlich über den Rahmen einer reinen Einführung hinaus und wird sicher in diesem Forschungsbereich ein Referenzwerk werden. Die zahlreichen Beispiele und vor allem Übungsaufgaben erhöhen die Attraktivität für Lehrende und Lernende gleichermaßen. Die eingangs gemachte Aussage über den Schwierigkeitsgrad trifft zumindest für große Teile des Buches zu, und nach der Lektüre dieses Werkes ist man sicher für den Griff zur Originalliteratur gut vorbereitet.

Es bleibt anzumerken, dass während der letzten Phase der Entstehung des Buches einige der offenen Probleme der Differential-Galoistheorie wie z. B. das oben erwähnte direkte Problem gelöst wurden. Leider konnten diese Resultate von den Autoren nicht mehr (oder nur in Form eines kurzen Verweises) aufgenommen werden, da sonst eine erhebliche Überarbeitung des Gesamtwerkes erforderlich gewesen wäre. Aber dies zeigt nur einmal mehr, wie lebendig und spannend dieses Arbeitsgebiet momentan ist.

Rezension: Julia Hartmann (Heidelberg) aus Computeralgebra-Rundbrief, Nr. 33 - Oktober 2003