mathematische modellierung

Mathematische Modellierung

Christof Eck, Harald Garcke, Peter Knabner
Springer Verlag (2011), 2. überarbeitete Aufl., 528 Seiten, 32,99 €

ISBN: 3-642-18423-5

Mathematik ist bekanntlich abstrakt, trocken und unverständlich. Wohl aus diesem Grund hat das Schlagwort „Modellierung“ derzeit Hochkonjunktur, wobei dann auch die verschrobensten „praxisnahen Problemstellungen“ modelliert werden. Mein Lieblingsbeispiel ist der Bäcker, der Rosinen mittels eines Gewehrs in Brötchen schießt, um anschließend Statistik zu betreiben – so kann man Schülern den Spaß an Mathematik vollständig austreiben.

Glücklicherweise verfällt das vorliegende Buch nicht dieser galoppierenden Modellitis, sondern bietet, wie im Klappentext versprochen, „eine lebendige und anschauliche Einführung in die mathematische Modellierung von Phänomenen aus den Natur- und Ingenieurwissenschaften“. Das klingt recht bodenständig und ist es auch. Und das ist für ein solches Buch genau richtig!

Worum geht es? Nach einer kurzen Einführung in die Modellierung sowie Anwendungen der Linearen Algebra etwa bei elektrischen Netzwerken schwenkt das Buch auf seinen endgültigen Kurs: Klassische Anwendungen der Analysis zur Lösung physikalischer Probleme stehen auf dem Programm. Da ist zunächst die Thermodynamik, die den Mathematikstudenten mit einem anderen Nebenfach als Physik näher gebracht wird, wie überhaupt (neben den Anfängervorlesungen der Mathematik) eine gute physikalische Schulbildung als Voraussetzung ausreicht. Die Mechanik erläutert Herkunft und Nutzen gewöhnlicher Differentialgleichungen, wobei für Stabilitätsfragen dann doch das Räuber-Beute-Modell aus der Populationsdynamik herhalten muss. Kontinuumsmechanik und Elektrodynamik führen auf etliche der klassischen partiellen Differentialgleichungen, die im Anschluss eingehend diskutiert werden und im Rückschluss wieder Einblicke in die Physik geben. Nicht selbstverständlich auf diesem Level ist das sehr gut geschriebene abschließende Kapitel über Probleme mit freiem Rand.

Auf diese Weise wird klar, dass etliche Begriffe der Analysis aus der Welt der Physik stammen, und dass das Wechselspiel zwischen Mathematik und ihren Anwendungen zum Fortschreiten beider Bereiche notwendig war und ist. Fast schon nebenher lernt man noch viel über mathematische Modellierung und ihre Tücken. Und so kann sich der Mathematikstudent in rund 500 Seiten zweierlei erwerben: Zum einen das physikalische Wissen, das er auch dann haben sollte, wenn er ein Nebenfach wie Wirtschaftswissenschaften oder Informatik belegt hat. Zum anderen hoffentlich die Überzeugung, dass zur erfolgreichen Modellierung erst einmal das Wissen über die verwendete Mathematik und über das Anwendungsgebiet vorhanden sein muss.

Damit erhalten wir einen tiefen Einblick in eine faszinierende Welt, in der Analysis und Physik Hand in Hand gehen. Numerik oder Stochastik allerdings sind mit Hinweis auf die einschlägigen Lehrbücher ausgeklammert. Auch Anwendungsgebiete wie die Modellierung von Finanzmärkten sucht man hier vergeblich. „Weniger ist mehr“ scheint die Devise der Autoren gewesen zu sein – recht haben sie!

Das Fazit: Noch ein Buch, das ich in meinem Regal nicht missen möchte – so sieht ein Lehrbuch zur Modellierung aus!

Rezension: Harald Löwe, Braunschweig

Quelle: Springer Verlag, Mathematische Semesterberichte, September 2009, Band 56, Heft 1, S. 252
Mit freundlicher Genehmigung des Verlags