mit harmonischen verhaeltnissen zu kegelschnittenLorenz Halbeisen, Norbert Hungerbühler, Juan Läuchli

Springer Spektrum 2016, XI + 211 Seiten 24,29 €
ISBN 978-3-662-53033-7

Schön ist es, wenn Wünsche in Erfüllung gehen. Vor nicht allzu langer Zeit äußerte ich in einer Buchbesprechung für die „Semesterberichte“ die Hoffnung, demnächst weitere nützliche Bücher zur Geometrie referieren zu können. Und dies ist in der Tat der Fall, denn das Buch „Mit harmonischen Verhältnisse zu Kegelschnitten“ genügt diesem Anspruch voll und ganz.

Schon die Auswahl des Themas erfreut, denn von harmonischen Verhältnissen wissen heutige Absolventen der Mathematik, insbesondere zukünftige Lehrer, in der Regel gar nichts. Und doch ist dieser Begriff von tragender Wichtigkeit für die Euklidische Geometrie, weiterführend auch für die projektive Geometrie. Dies belegt das Buch der Schweizer Autoren, in dem die harmonische Teilung als roter Faden durch die ebene Geometrie dient. Dass der Weg, den das Buch einschlägt, schließlich zu den Kegelschnitten führt, kann man eigentlich nur begrüßen. Auch hier ist eine fast allgemeine Unkenntnis zu konstatieren, obwohl die Kegelschnitte eine Schlüsselrolle in der Geschichte der Geometrie gespielt haben – ganz zu schweigen von den vielen Anwendungen, die sie haben.

Das Buch von Halbeisen, Hungerbühler und Läuchli1 zeichnet sich auch dadurch aus, dass es konsequent die konstruierende Sicht einnimmt – und zwar nicht nur die klassische mit Zirkel und Lineal, sondern auch moderne Weiterentwicklungen wie etwa die Konstruktionen mit Lineal allein oder Zirkel allein. Auch dies macht es sehr wertvoll für angehende Lehrerinnen und Lehrer, spielt doch erfreulicherweise das Konstruieren (mit den klassischen Werkzeugen oder mit modernen) immer noch eine gewisse Rolle im Schulunterricht. Zudem sind die Autoren bezüglich der Bezeichnungen sehr sorgfältig, was wiederum einen einfachen Anschluss an den Schulunterricht ermöglicht, dessen Usancen beachtet und aufgegriffen werden. Viele oft bunte Abbildungen erlauben es, Sätze und Beweise anschaulich nachzuvollziehen; Bemerkungen historischer und anderer Art runden die gelungene Darstellung ab; sie machen deutlich: „Mathematik hat eine Geschichte“ (P. Mäder). Da die Autoren hierfür zuverlässige Quellen herangezogen haben (etwa Tropfkes „Geschichte der Elementarmathematik“), sind diese Bemerkungen auch zuverlässig und nicht nur zierendes Beiwerk; die Autoren haben auch einige interessante vergessene Quellen wieder ausgegraben wie die beiden Abhandlungen des Winterthurer Lehrers Carl Adam, in die hineinzuschauen sich lohnt.

Im Einzelnen werden folgende Themen behandelt: Als Einstieg dient der Satz des Thales und aufbauend darauf der Peripheriewinkelsatz, der wohl wichtigste Satz der Kreisgeometrie, und der Satz von Pascal für Kreise. Die Vorgehensweise ist nicht axiomatisch sondern synthetisch; die Schulgeometrie wird vorausgesetzt. Das ist eine glückliche Entscheidung, denn nur so wird es möglich, auf dem verfügbaren Raum so viele interessante Ergebnisse (die Autoren sprechen im Buchtitel zurecht von „Perlen“) überhaupt zu erreichen.2 Es folgen weitere Ausführungen zur Kreisgeometrie zentriert um die Begriffe Sehne, Tangente und Chordale. Im dritten Kapitel tritt dann die harmonische Teilung auf – einleuchtend geordnet nach Teilung einer Strecke, harmonische Punkte auf Geraden, bei Dreiecken und bei (vollständigen) Vierecken. Den Abschluss dieses Kapitels bilden die Sätze von Menelaos und Ceva; mit letzterem gewinnt man den Anschluss an das Thema „merkwürdige Punkte“ (z.B. Fermat-Torricelli-Punkt, Nagel-Punkt), einem klassischen Thema der „Mathematik der Lehrer“,3 das viel Raum für eigene Untersuchungen bietet. Kapitel vier widmet sich den harmonischen Punkten an Kreisen; insbesondere kommt hier die Pol-Polaren-Theorie (für Kreise) zur Sprache. So werden nach und nach die wichtigsten Elemente der projektiven Geometrie eingeführt; sie ergeben sich gewissermaßen „natürlich“ (ein Prädikat, das Jakob Steiner sehr schätzte). Einen Höhepunkt, das Apollinische Berührproblem, eines der wichtigsten und meistbehandelten Resultate der klassischen Geometrie, wird ausführlich in fünften Kapitel behandelt. Auch hier steht der konstruktive Zugang im Vordergrund:4 die Problemorientierung des Buches wird deutlich. Der geometrische Werkzeugkasten wird nicht nur aufgefüllt, er wird auch eingesetzt.

Schließlich kommt die Inversion am Kreis zur Sprache, eine ebenso interessante und nützliche wie wenig beachtete Abbildung der Elementargeometrie, zu deren Entdeckern man wohl auch A. F. Möbius rechnen muss (neben Magnus und Plücker, die auf S. 115 genannt werden). Diese wiederum wird auf Steinersche und Pappossche Kreisketten angewandt. Sie unterstreichen einprägsam einen anderen wichtigen Aspekt der Geometrie: ihre Ästhetik. Die schönen Abbildungen des Buches, für die man den Autoren und dem Verlag nur dankbar sein kann, machen es möglich.

Schließlich kommen die Kegelschnitte zur Sprache und mit ihnen – eine glückliche und historisch sicher gut begründete Idee – die Zentralprojektion. Damit wird dann der Anschluss an die projektive Geometrie5 gewonnen; die harmonische Teilung erweist sich als ein Spezialfall des Doppelverhältnisses (S. 165–167), wobei die projektive Geometrie verstanden werden kann als die Untersuchung von Abbildungen, welche das Doppelverhältnis erhalten. Auch die Dualität (oder Polarität) tritt auf – später sogar die trilineare, bei der der Kegelschnitt durch ein Dreieck ersetzt wird (S. 176 ff). Die paradigmatischen Sätze der klassischen projektiven Geometrie, die Sätze von Pascal und Brianchon für Kegelschnitte allgemein, kommen hier zur Sprache. Ausführlich werden die nicht-entarteten Kegelschnitte6 besprochen, ein wichtiges Desiderat in einer Zeit, in der angehende Lehrerinnen und Lehrer Parabel und Hyperbel oft nur als Funktionsgraphen kennen. Auch der Raum kommt in Gestalt der Dandelinschen Kugeln in den Blick.

Das letzte Kapitel widmet sich einigen Perlen der Geometrie, am bekanntesten hierunter ist vielleicht der Satz von Morley. Es sei aber ausdrücklich hervorgehoben, dass es in diesem Buch an Schätzen gewiss nicht mangelt. Schon auf S. 17 taucht der Satz von Miquel nebst Miquel-Punkt auf, ein Kleinod, das wohl nur noch wenigen Liebhabern bekannt sind. Der Anhang stellt einige einfache Tatsachen zusammen über Flächenverwandlungen, zentrische Streckungen und Strahlensätze, von denen man eigentlich erwarten sollte, dass sie aus der Schule bekannt sind. Aber die Erfahrung zeigt, wie oft das nicht der Fall ist, und deshalb sind heute wohl solche Anhänge notwendig. Fazit: Dieses wirklich gelungene Buch überzeugt in jeglicher Hinsicht. In einer Lehrerbildung, die als Leitschnur die tatsächlichen Anforderungen an zukünftige Lehrerinnen und Lehrer in den Mittelpunkt stellt, wird es eine wichtige Funktion haben. Dieudonné diskreditierte einst Sätze wie den vom Feuerbachschen Kreis als „Spielzeuge“ („babioles“);7 das Buch von Halbeisen, Hungerbühler und Läuchli zeigt, wie falsch diese Einschätzung ist. Auf den Punkt gebracht: Ist nicht der Feuerbachsche Kreis für eine zukünftige Lehrerin oder einen zukünftigen Lehrer wichtiger als die Jordansche Normalform8 – zumal, wenn sie oder er noch nicht einmal um deren geometrische Bedeutung für orthogonale 33-Matrizen weiß? Damit wird nicht die zentrale Wichtigkeit der letzteren vom Standpunkt der Mathematik als abstrakte Wissenschaft bestritten, wohl aber hinterfragt, wo die Präferenzen im Lehramtsstudium liegen sollten in Zeiten knapper Ressourcen (heißt, im Streben nach ECTS-Punkte, von denen immer mehr anderweitig vergeben werden). Zudem eröffnet der Feuerbachsche Kreis (wie auch sehr viele der im hier betrachteten Buch angesprochenen Themen) die Möglichkeit, forschend tätig zu sein – wie das im 19. Jh. noch für viele Gymnasiallehrer (es gab fast nur männliche zu jener Zeit) selbstverständlich und damit prägend für ihr Selbstbild war. Somit könnte ein authentischeres Bild von Mathematik auch in den Vorstellungen von Schülerinnen und Schülern entstehen.

1 Die beiden erstgenannten Autoren sind an der ETH Zürich im Bereich der Lehrerbildung tätig, der letztgenannte Autor an der Kantonsschule in Frauenfeld.
2 Vgl. die kritische Diskussion bei Kühnel [1].
3 Vgl. Baptist [2].
4 Eine sehr hübsche Lösung liefert auch die Zyklographie von Wilhelm Fiedler, Professor der darstellenden Geometrie und der Geometrie der Lage am Zürcher Polytechnikum von 1867 bis 1907 – gewissermaßen einer der Stammväter (neben Carl Friedrich Geiser) der Geometrie an der ETH. Natürlich gibt es noch sehr viele andere Lösungen, ein Faktum, auf das die Autoren selbst hinweisen.
5 Diese wird also nicht abstrakt als metrikfreie Geometrie verstanden sondern als natürliche Erweiterung der Euklidischen – ganz so, wie in der Geschichte geschehen.
6 Eine weitere sehr beachtliche Neuerscheinung, Glaeser/Stachel/Odehnal (2016) [3], ist ganz diesem Thema gewidmet.
7 Vgl. Dieudonné [4], Préface.
8 Hier als Beispiel für das, was nach Dieudonné wichtig ist, nämlich das „Allgemeine“ – man könnte auch sagen die Struktur.

Literatur
1. Kühnel, W.: Zur Begründung der euklidischen Geometrie im akademischen Unterricht – Bekenntnisse eines mathematischen Banausen. Math. Semesterber. 60, 105–121 (2013)
2. Baptist, P.: Die Entwicklung der neueren Dreiecksgeometrie. BI-Wissenschaftsverlag, Mannheim (1992)
3. Glaeser, G., Stachel, H., Odehnal, B.: The universe of conics. Springer, Berlin, Heidelberg (2016)
4. Dieudonné, J.: Algébre linéaire et géométrie élémentaire. Hermann, Paris (1964)

Quelle: Springer Verlag, Mathematische Semesterberichte, Oktober 2018, Band 65, Heft 2, S. 303-306
Mit freundlicher Genehmigung des Verlags

Rezension: Klaus Volkert (Bergische Universität Wuppertal)