in hoeheren rauemenKlaus Volkert: In höheren Räumen – Der Weg der Geometrie in die vierte Dimension

Springer Spektrum 2018, XI + 273 Seiten, 29,99 €
ISBN 978-3-662-54794-6, C39,99
eBook ISBN 978-3-662-54795-3

Kennen Sie eigentlich die Geschichte des Astrophysikers Friedrich Zöllner (1834–1882), der mit Unterstützung von Henry Slade (1836–1905) (seines Zeichens ein Trickbetrüger, der aber vermutlich die wohlklingendere Bezeichnung Medium bevorzugen würde) eine wissenschaftliche Abhandlung über die Existenz der vierten Dimension verfasste? So viel sei verraten: Er produzierte einen Skandal in der mathematischen Welt und darüber hinaus, von dem noch Einstein im Jahre 1921 sprach. Falls Sie diesbezüglich Ihr Wissen ergänzen oder auffrischen möchten, so sind Sie in Kapitel 4 von Klaus Volkerts Buch „In höheren Räumen. Der Weg der Geometrie in die vierte Dimension“ genau an der richtigen Stelle.

Diese und weitere Stationen der Begriffsgeschichte der Vierdimensionalität beschreibt der Autor in seinem 250 Textseiten umfassenden Buch. In Kapitel 1 führt Klaus Volkert seine Leser zunächst in einschlägige Phänomene ein, die zur Idee einer weiteren Dimension führen. Ein wesentliches Beispiel bilden hier die bereits von Kant beschriebenen „inkogruenten Gegenstücke“: gespiegelte, dreidimensionale Objekte, die nahezu identisch, aber doch nicht in der Realität ineinander überführbar sind (man denke an zum Beispiel an ein Paar Handschuhe). Dieser Ansatz und die Übertragung der Situation in die zweidimensionale Welt der Flächenwesen (wer hier an den bekannten Roman von Edwin Abbott Abbott denkt, ist auf der richtigen Spur) werden auch im weiteren Verlauf der Reise, zu der dieses Buche einlädt, immer wieder aufgegriffen. Dieses erste Kapitel bildet eine Einführung der Reiseleitung in verschiedene Sichtweisen auf die Überwindung der Dreidimensionalität.

Im vergleichsweise kurzen Kapitel 2 beschreibt Volkert den für das Kapitel namensgebenden Aufbruch der mathematischen Gemeinschaft „in höhere Dimensionen“ und leitet fließend in das umfangreichste Kapitel (Kapitel 3) des Buches über, das vermutlich nicht ohne Grund den an die bekannte Geschichte von Kolumbus erinnernden Titel „In der neuen Welt“ trägt. In diesem Kapitel wird ein – sich mitunter fast im Detail verlierender – Überblick über relevante Beiträge zur historischen Entwicklung der Sichtweisen auf die vierte Dimension gegeben. Besonders beim Lesen des Abschnitts über reguläre Polytope bedarf es großer Sorgfalt und Aufmerksamkeit um den Faden nicht zu verlieren. Man merkt, dass es viel Interessantes zu berichten gibt und es schwer ist, eine Balance zwischen überblickshafter Einordnung und der Behandlung der Aspekte in der Tiefe, in der sie es verdienen, zu finden. Nach den Polytopen folgt die Beschreibung einer gruppentheoretischen Sichtweise und später eine höchst interessante und umfangreiche Zusammenstellung von Versuchen der Visualisierung und Modellkonstruktion zur vierten Dimension. Das Kapitel schließt nach einer (für das Verständnis des Zöllner-Skandals sehr relevanten) Übersicht über Anwendungen in der Knotentheorie mit der Vorstellung erster Lehrwerke zur vierten Dimension. Insgesamt ist Kapitel 3 weniger zum Schmökern vor dem Kamin, als zur detaillierten Recherche dieses mathematikhistorischen Inhaltsbereiches geeignet, wobei diese Einschätzung natürtlich stark vom fachlichen Hintergrund der Leserin bzw. des Lesers abhängt.

Die Beschreibung des bereits erwähnten Zöllner-Skandals, der Volkert das gesamte Kapitel 4 widmet, rückt dann wieder etwas mehr von der inhaltlich mathematischen Ebene hin zu einer Art Fallstudie der damaligen mathematischen Community. Der Autor macht die vorherrschenden Sichtweisen auf Mathematik und die Frage nach Evidenz an einer Vielzahl von (teils fast schmunzelnd zu lesenden) Reaktionen und Diskussionen auf die Veröffentlichung Zöllners deutlich.

In Kapitel 5 werden die Ausführungen über die Vierdimensionalität durch die Beschreibung des Einflusses dieser auf Kunst, Literatur und Philosophie an verschiedenen prominenten Beispiel abgerundet, bevor der Autor dann in Kapitel 6 die Leserin und den Leser von der teils turbulenten und intensiven Reise durch die Geschichte der Vierdimensionalität entlässt, und beschreibt, wie sich die Diskussion um die Thematik zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts beruhigt.

Nach der Lektüre des Buches habe ich über dessen Zielgruppe nachdenken müssen – im Einband wird diese als „Studierende und Mathematiker sowie an Mathematik Interessierte“ definiert und auch wenn dies implizit Lehrerinnen, Lehrer und Lehramststudierende mit einschließt, denke ich, dass gerade dieser Personenkreis durch dieses Buch viel Prototypisches über die Entwicklung der Wissenschaft Mathematik lernen kann und ich wünsche mir sehr, dass auch einige (angehende) Lehrkräfte tatsächlich die Zeit finden um Klaus Volkert auf seiner Reise zu begleiten. Wie bei einer guten Bergwanderung wird es zwischendurch auch anstrengend werden, wenn man alle der lohnenden Zwischenziele mitnehmen möchte, aber ich finde, das ist es wert.

Rezension: Max Hoffmann (Paderborn)

Quelle: Springer Verlag, Mathematische Semesterberichte, März 2019, Band 66, Seiten 117-118.
Mit freundlicher Genehmigung des Verlags.