mind in mathematicsMariana Bockarova, Marcel Danesi, Dragana Martinovic und Rafael Núñez (Hrsg.):

LINCOM München 2015, 216 Seiten, 124 €
ISBN: 978-3-862-88535-0

Die Motivation von Mariana Bockarova, Marcel Danesi, Dragana Martinovic und Rafael Núñez für diesen Band bestand darin, das Gebiet der mathematischen Kognition auf unterschiedliche Art und Weise zu beleuchten. Dementsprechend brachten sie Mathematiker, Kognitionswissenschaftler, Neurowissenschaftler, Semiotiker und Didaktiker zusammen.

In der Einleitung dieses Bandes untermauern die Herausgeber ihre Idee mit Literatur, beispielsweise von Lakoff und Núñez. In dieser wird argumentiert, dass Mathematik im Grunde nicht anders ist als Sprache, da beide eine grundlegende Modalität gemeinsam haben – sie kontaminieren Informationen von verschiedenen Bereichen des Gehirns, um neue Informationen zu produzieren. Eine simple Begründung dafür ist, dass wir Sprache verwenden, um Mathematik zu lernen und dass Mathematik viele strukturelle Eigenschaften besitzt, welche linguistischer Art sind. Somit profitiert die wissenschaftliche Untersuchung mathematischer Denkprozesse von der Zusammenarbeit von Humanwissenschaftlern, Mathematikern und empirischen Forschern.

Weiterhin zitieren sie den amerikanischen Philosophen Max Black, der argumentiert, dass die Genese theoretischer Begriffe und Konzepte in den Wissenschaften und in der Mathematik nicht einzig und allein Ergebnis dessen ist, dass Wissenschaftler sie von empirischen Beobachtungen oder experimentellen Ergebnissen ableiteten, sie folgt vielmehr daraus, dass Wissenschaftler Folgerungen und Zusammenhänge zwischen Fakten und anderen Theorien vornahmen oder sogar Ergebnis alltäglicher Erfahrung sind. Außerdem finden wir einen kurzen geschichtlichen Abriss zur Veränderung der Rolle der Mathematik in verschiedenen Epochen.

In den fünfzehn Kapiteln dieses Buches wollen die Autoren einen interdisziplinären sprich empirischen, pädagogischen und interpretierenden Rahmen betrachten, wo Aspekte mathematischer Methoden, wie Beweisen, untersucht und Erkenntnisse darüber gewonnen werden, was uns das über den Charakter von mathematischer Kognition sagt. Die Zielsetzung ist an dieser Stelle zweierlei: Einerseits soll gezeigt werden, inwiefern dieses Forschungsgebiet durch Erweiterung um Disziplinen gewinnbringend vergrößert werden kann, und andererseits geht es darum, die mathematische Kognition selbst in einem anderen Licht zu betrachten.

Nachfolgend ist ein kurzer Überblick zu den Kapiteln des Bandes aufgelistet.

  • Brent Davis beschreibt in seinem Beitrag, wie mathematische Curricula entstehen und beleuchtet in drei historischen Abrissen Einflussfaktoren aus Politik, Sozialwissenschaften und Gesellschaft. Des Weiteren widmet er sich der Frage, von Argumenten welcher Art die aktuellen Lehrpläne gestützt werden.
  • Louis H. Kauffman beschreibt in seinem Artikel, wie unter Verwendung von Topologie beziehungsweise Geometrie Verständnis von mathematischen Problemen hervorgerufen werden kann. An Beispielen aus der höheren Mathematik illustriert er anschaulich, wie das menschliche Gehirn logisch denkt und schließt. Außerdem schlägt er Brücken sowohl zwischen Biologie und Mathematik als auch zwischen Physik und Mathematik.
  • Donna Kotsopoulos, Joanna Zambrzycka und Samantha Makosz geben uns einen Überblick über relevante Literatur aus dem Gebiet der Entwicklungspsychologie. Dabei diskutieren sie die Rolle der Mutter beim Entstehen mathematischer Kognition in der frühen Kindheit.
  • Luis Radford charakterisiert in seinem Beitrag Bewegung als auffälliges Merkmal mathematischen Denkens. Er beleuchtet die Beziehung zwischen Gedanken und Denken und argumentiert, dass Denken die Aktualisierung oder Materialisierung von Gedanken ist. Bewegung wohnt Rhythmus inne. Der Autor erläutert, inwiefern Rhythmus ein Faktor mathematischen Denkens ist.
  • Marcel Danesi liefert einen literarischen Überblick zum Begriff „Mathematische Kognition“. Dabei liegt sein Schwerpunkt auf dem Gebiet der Neurowissenschaften.
  • Yair Neumann betrachtet, wie Konzepte in Mathematik abstrahiert werden. Ausgehend von dem Unvermögen zweier Katzen zu abstrahieren, erläutert der Autor den Prozess des Abstrahierens. Nicht zuletzt ist dieser davon geprägt, Informationen wegzulassen, um zu neuen Erkenntnissen zu erlangen.
  • John Mighton beginnt seinen Aufsatz mit den Worten „Wide differences in mathematical achievement among students appear to be natural. In every school in every country, only a minority of students are ever expected to excel at or love learning mathematics.“ Entdeckendes Lernen soll diese Situation verbessern. Diesen Ansatz beleuchtet der Autor kritisch. Er präsentiert einen Verbesserungsvorschlag – angeleitetes entdeckendes Lernen – und erläutert diesen anhand eines Beispiels näher.
  • Dragana Martinovic gibt uns einen literarischen Überblick zum Einsatz digitaler Medien. Sie informiert darüber, inwiefern Technologie verwendet wird, und wie man mit Fehlvorstellungen von Lernenden umgehen kann. Außerdem widmet sie sich der Frage, wie digitale Medien das Denken erweitern können.
  • Robert K. Logan betrachtet in seinem Artikel verschiedene Konzepte des Begriffs „Information“. Dabei diskutiert er Shannon’s mathematische Informationstheorie, kritische Reaktionen darauf und ihre Grenzen. Er stellt Mathematik und Naturwissenschaften gegenüber und zeigt Stärken und Schwächen beider in Hinblick auf die komplette Beschreibung und Verifizierung natürlicher Phänomene auf.
  • In einem Seminar für Studierende im ersten Studienjahr veranlasste Gizem Karaali ihre Teilnehmer, über die wahre Natur von Mathematik zu reflektieren. Dabei schwangen Fragen, was es bedeutet, menschlich zu sein oder wie menschlich Mathematik sei, mit. Das Seminar mündete in der im Titel aufgeworfenen Frage „Können Zombies Mathematik betreiben?“.
  • Die Methode des abduktiven Schließens wird in verschiedenen Wissenschaften, beispielsweise in Semiotik oder Kulturwissenschaften, diskutiert. Inna Semetsky widmet sich zunächst dem von Peirce in der Erkenntnistheorie geprägten Begriff der „Abduktion“. Sie fokussiert diesen dann durch eine mathematische Brille unter Verwendung der Darstellung einer Zahl in der komplexen Ebene.
  • Stéphanie Walsh Matthews und Jamin Pelkey stellen eine Exkursion in die Semiose des Sehens und seiner Beziehung zur Mathematik vor. Sie argumentieren, dass wir Mathematik eher fühlen und sehen als dass wir sie in entkörperlichten Formen denkend betreiben.
  • Mariana Bockarova widmet sich in ihrem Beitrag dem Thema „Angst vor Mathematik“. In einer Fallstudie berichtet sie von einer Lehrerin, die selbst mit dieser Angst konfrontiert ist, und beschreibt, wie sich diese Angst auf den Unterricht der Lehrerin auswirkt. Weiter legt sie dar wie der gemeinsam entwickelte Ansatz zum Unterrichten von Mathematik den Unterricht verbesserte.
  • Der Beitrag von Stacy Costa beinhaltet die Anwendung der Methode „math talk“. Die Autorin erläutert, wie Lernende durch Gespräche über Mathematik bessere mathematische Fertigkeiten, mehr Verständnis und mehr Selbstvertrauen entwickeln können.
  • Mariana Bockarova, Stacy Costa und Marcel Danesi beschäftigen sich in ihrem Artikel mit dem Thema „Mathematische Beweise“. Ausgehend von der Frage „Was ist ein Beweis?“ führen sie solche exemplarisch vor, widmen sich dem Vier- Farben-Problem und benennen unterschiedliche Arten von Beweisen. Abschließend diskutieren sie die Frage, was ein Beweis beweist.

Meines Erachtens ist die Idee, den oben benannten Personenkreis zu diesem Thema zusammenzubringen, sehr interessant. Dabei hätte ich mir eine kleine Übersicht über die einzelnen Autoren und ihre Forschungsgebiete gewünscht.

Meiner Meinung nach ist dies ein interessanter Band mit spannenden Ansätzen zur Beforschung mathematischer Denkprozesse. Ich erhielt viele anregende Denkanstöße und neue Impulse für meine Lehre.

Rezension: Anja Panse (Uni Paderborn)

Quelle: Springer Verlag, Mathematische Semesterberichte, Oktober 2019, Band 66, S. 243-245
Mit freundlicher Genehmigung des Verlags