de modo mensurandi vasaPeter von Jülich
Herausgegeben, übersetzt und kommentiert von Menso Folkerts und Martin Hellmann

Verlag: Rauner, Erwin; Auflage: 1 (29. Juni 2018), XXXII + 91 Seiten, 29 €
Sprache: Deutsch, Latein
ISBN-10: 3936905681
ISBN-13: 978-3936905687

Aus Anlass seiner Hochzeit mit seiner zweiten Frau bestellte Johannes Kepler für die Feierlichkeiten Wein, der, wie damals üblich, in Fässern angeliefert wurde. Um die Menge und damit den Preis für das Fass zu ermitteln, kam ein Visierer mit einem Meßstab, der Visierrute, die durch das Spundloch bis zum Boden des Fasses gesteckt wurde. Wurde die Visierrute herausgezogen, konnte der Visierer den Stand der Flüssigkeit im Faß ablesen und der Maßstab auf der Rute zeigte ihm unter Umständen gleich das Volumen an. Unter der Annahme, dass sich die Volumina ähnlicher Körper so verhalten wie die dritten Potenzen gleicher Strecken, kann man mit Hilfe einer Kubikwurzeltafel (oder durch Experiment und Messung) die Skala einer kubischen Visierrute konstruieren. Wie bekannt traute Kepler der Methode nicht und veröffentlichte seine eigenen Ideen zur Volumenmessung im Jahr 1615 als Nova stereometria doliorum vinariorum (Neue Stereometrie von Weinfässern). Dieses Buch lieferte nicht nur Anstöße zur Entwicklung der Infinitesimalmathematik im 17. Jahrhundert, sondern enthält auch eine Reihe neuer Formeln für das Verhältnis verschiedener Körper zu einem Zylinder. Keplers Buch ist erst 2018 in einer wunderbar klaren Neuübersetzung ins Englische von Eberhard Knobloch herausgegeben und kennerhaft kommentiert worden.

Natürlich ist die Visierkunst weitaus älter als ihr prominentes Auftreten bei Kepler. Ihre Entstehung liegt wohl im 14. Jahrhundert, in dem der Weinhandel einen echten Aufschwung erlebte. Reine Praktiker und echte Theoretiker machten sich an die Arbeit und verfassten Traktate, um die Technik des Visierens zu lehren. Menso Folkerts und Martin Hellmann ist es nun gelungen, eine der frühesten Arbeiten aus diesem Umkreis zu übersetzen, zu edieren und zu kommentieren. Der Text stammt von Peter von Jülich, der im November 1446 im Alter von 55 Jahren in der Kölner Kartause, in die er 1434 eingetreten war, starb; d. h. sein Traktat stammt wohl aus den 1420er Jahren. Im Rahmen ihrer editorischen Arbeit haben Folkerts und Hellmann auch zahlreiche Details aus dem zuvor weitgehend unbekannten Leben des Peter von Jülich ermitteln können, die man in diesem Buch finden kann.

Erfreulicherweise handelt es sich bei Peters Traktat nicht (nur) um eine praktische Anleitung zum Visieren. Peter lehrte im ersten Viertel des 15. Jahrhunderts an der Kölner Universität; neben Theologie und Philosophie war ihm auch die damals gelehrte Mathematik geläufig. Nun war Köln auch ein Umschlagzentrum für den Weinhandel und Peter bemerkte, dass verschiedene Verfahren bei ein und demselben Fass zu unterschiedlichen Ergebnissen führte. Seine Schrift setzt sich daher kritisch mit den bisher bekannten Methoden des Visierens auseinander und in diesem Sinne (aber nur in diesem) ist Peter ein früher Vorläufer Keplers und seine Schrift zur Fassmessung von besonderer Bedeutung, zumal Peter vernünftige Vorschläge zur Vermeidung von Visierfehlern macht.

Das vorliegende Buch enthält nicht nur die lateinische Transkription des Traktats und seine deutsche Übersetzung, sondern auch eine kurze Biographie Peters, einen Abschnitt zu den verwendeten Maßen, Informationen über andere Verfasser von frühen Visiertraktaten (Bynczendorffer, Mast), Bemerkungen über Köln zur Zeit Peters und Nachforschungen zu Peter als Verfasser von astronomischen Texten. Es versteht sich von selbst, dass der Peter’sche Text fachkundig kommentiert ist.

Das vorliegende Buch ist eine echte Perle der Rezeption mittelalterlicher mathematischer Handschriften. Besonders hervorzuheben ist das beigelegte Faksimile der bei der Transkription verwendeten Handschrift auf Glanzpapier.

Rezension: Thomas Sonar (TU Braunschweig)

Quelle: Springer Verlag, Mathematische Semesterberichte, März 2020, Band 67, S. 117-118.
Mit freundlicher Genehmigung des Verlags