mathematik einfach genialHeinz Klaus Strick

Springer; 1. Aufl. 2020 Edition (29. April 2020), 399 Seiten, 24,99 €
Kindle-Version: 19,99 €
ISBN-10: 3662604485
ISBN-13: 978-3662604489

Da hat der Verfasser mit diesem Buch wieder einen „echten Strick“ herausgebracht. Wer auch nur eines seiner drei Bücher über „schöne Mathematik“ kennt, erwartet auch hier wieder ein detailreiches, überaus anschaulich und klar formuliertes Werk – und er wird nicht enttäuscht. Bereits das Layout regt zum ausführlichen und genauen Hinschauen an: farbige Grafiken und Zeichnungen, übersichtlich organisierte Tabellen, immer mit unterschiedlichen Farben gegliedert, sowie Textabschnitte, je nach Typ farblich unterlegt.

Die Faszination der Mathematik ist das Thema des Autors und er zeigt ihre Bedeutung auch in „Kleinigkeiten“, zum Beispiel in der erstaunlich großen Zahl der Abbildungen von Briefmarken, die im Text eingestreut sind und die zeigen, welche Bedeutung der Mathematik in vielen Ländern zukommt.

Jedes der 18 Kapitel ist einem Mathematiker gewidmet. Die Auswahl beginnt mit der griechischen Antike und zwei berühmten Namen (Pythagoras, Archimedes), die vielen von der Schule her bekannt sein dürften. Aus dem Mittelalter werden – mir bisher auch in der Mathematik eher als „finster“ bekannt – fünf herausragende Mathematiker vorgestellt: alle kommen aus dem arabisch-persischen Raum. Hier wird deutlich, dass die arabisch-islamische Forschung den Wissensschatz der Antike übernommen, weiter entwickelt und schließlich in das mittelalterliche christliche Europa transferiert hat. So konnten dann Italiener als erste die Mathematik auch hier voranbringen – sie folgen daher als nächste in diesem Buch, bevor sich zehn weitere große Namen (Engländer, Franzosen und Deutsche) anschließen.

Alle Kapitel können voneinander unabhängig gelesen werden und da sie konsequent in derselben Weise gegliedert sind, lassen sich sogar einzelne Abschnitte der Kapitel herausgreifen und miteinander in Beziehung setzen. So enthält stets der zweite Abschnitt eine kurzgefasste Lebensgeschichte. Dadurch kann man sich beispielsweise schnell über die biografischen Daten verschiedener Männer informieren, wie etwa Descartes, Fermat und Pascal, die in derselben Zeit gelebt und miteinander korrespondiert haben.

Die zum Verständnis der Mathematik notwendigen Vorkenntnisse gehen (laut Vorwort) nur selten über schulische Kenntnisse der Oberstufe hinaus, und wenn das doch der Fall ist, gibt der Autor – wie beispielsweise zum Thema „Kettenbrüche“ – etwas ausführlichere Beispiele. Wie denn überhaupt die Argumentation stets Beispiel gebunden erfolgt und nicht etwa abstrakte Beweise geführt werden.

Der erste Abschnitt eines jeden Kapitels präsentiert – dem Buchtitel folgend – unter dem Stichwort „einfach genial“ eine zentrale mathematische Idee, die eine völlig neue Lösung eines bekannten mathematischen Problems ermöglichte. So entwickeln Pythagoras und seine Schüler die überaus anschauliche Idee der figurierten Zahlen: Punktmuster stellen einfache zahlentheoretische Zusammenhänge überzeugend dar und reichten den „alten“ Griechen als Beweis völlig aus.

Genial ist tatsächlich auch die Methode mit der Khayyam mit Hilfe von Kegelschnitten Gleichungen dritten Grades löst – Jahrhunderte bevor Tartaglia seine Lösung auf andere Weise, aber ebenfalls mit Hilfe geometrischer Anschauung durch Verallgemeinerung der Methode von al-Khwarizmi für quadratische Gleichungen findet. Und um so größer muss die Bewunderung für diese kreativen Ansätze sein, wenn man sich klar macht – wie es der Autor auch mehrfach anmerkt – dass nicht die uns heute vertraute mathematische Formelsprache existierte.

Sehr interessant ist zu erfahren, welche Ideen es vor Leibniz und Newton für die Aufgaben der Differential- und Integralrechnung gab, und spannend, diese Ideen zu vergleichen. So werden in diesem Buch für das Problem der Berechnung von Flächeninhalten Methoden bei Archimedes (Exhaustionsprinzip), Fermat und Pascal, für das Tangentenproblem Lösungen von Descartes (mit Hilfe von Kreisen) und Fermat  vorgestellt.

Über die „genialen Ideen“ hinaus werden im dritten Abschnitt eines jeden Kapitel weitere Themen aufgeführt, mit denen sich die jeweiligen Mathematiker beschäftigt haben. Strick zieht bei diesen Problemen häufig Verbindungen zu den Vorarbeiten anderer Wissenschaftler und ordnet deren Bedeutung historisch ein. So findet man in diesen Teilen insgesamt eine großartige Zusammenstellung vieler höchst bedeutender mathematischer Entdeckungen.

Nicht verwunderlich ist es, dass Euler, „zweifelsohne der produktivste Mathematiker aller Zeiten“ mehr Seiten als alle anderen beansprucht. Allerdings überrascht mich, dass die Wahl für die geniale Lösung auf das sogenannte Basler Problem (Bestimmung des Grenzwerts der Reihe der reziproken Quadratzahlen) fiel, hat doch gerade Euler in besonderem Maße sehr viele Entdeckungen gemacht, die bekannter und für mich beeindruckender sind.

Nicht unerwähnt bleiben darf die Liste der Literaturhinweise, die jedem Kapitel angefügt sind. Meist noch mit einem kurzen Kommentar versehen werden Buch- und Internetquellen genannt, insbesondere auch die passenden Stichworte zu Wikipedia-Artikeln aufgezählt.

Die Auswahl gerade dieser 18 genialen Ideen für dieses Buch muss dem Verfasser sicher schwer gefallen sein, fallen mir doch spontan viele weitere große Namen ein wie Euklid, Leibniz, Newton, Gauß, Riemann, Hilbert. Da kann man sich hoffentlich bald auf einen Folgeband freuen.

Diese Rezension erschien zuerst bei spektrum.de.

Rezension: Hartmut Weber (Kassel)