4000 Jahre algebra

4000 Jahre Algebra
Geschichte – Kulturen – Menschen
Vom Zählstein zum Computer.

Heinz-Wilhelm Alten, A. Djafari Naini, Menso Folkerts, Hartmut Schlosser, Karl-Heinz Schlote, Hans Wußing
Springer; Auflage: 1., Aufl. 2003. 2., korr. Nachdruck 2008 (12. August 2008, )658 Seiten, 11,69 €

ISBN-10: 3540435549
ISBN-13: 978-3540435549

Das vorliegende Buch ist das umfassendste bisher erschienene Werk zur Geschichte der Algebra und liegt bereits in zweiter Auflage vor (Erstauflage 2003). Es ist einer der Bände der Buchreihe „Vom Zählstein zum Computer“, in der die Geschichte der Mathematik sehr ausführlich dargestellt wird. Unter der Herausgeberschaft einer Projektgruppe der Universität Hildesheim sind in dieser Reihe – neben dem vorliegenden Werk – bisher folgende Bücher erscheinen: 6000 Jahre Mathematik (2 Bände), 5000 Jahre Geometrie, 3000 Jahre Analysis.

Nun zum gegenständlichen Band, welcher die Geschichte der Algebra von den Anfängen (ca. 2000 v. Chr.) bis in die heutige Zeit behandelt und sich in 10 Kapitel gliedert, die großteils den zeitlichen Epochen entsprechen. Jedes Kapitel beginnt mit einer allgemeinen historischen Einleitung und endet mit einer Sammlung von Aufgaben.

Kapitel 1 „Anfänge von Arithmetik und Algebra“ (46 Seiten) deckt im Wesentlichen die Arithmetik und Algebra der alten Ägypter und Babylonier ab (Grundrechenarten, Sexagesimalsystem, lineare und quadratische Gleichungen, spezielle kubische Gleichungen).

Kapitel 2 „Die geometrische Algebra der Griechen“ (64 Seiten) reicht von Thales von Milet bis Diophant. Schwerpunkte sind algebraische Gleichungen bis zum 4. Grad und die 3 klassischen Probleme der Antike (Würfelverdopplung, Dreiteilung des Winkels und Quadratur des Kreises). Besonders eingegangen wird auf die „Elemente“ des Euklid, die zahlreichen Beiträge von Archimedes und die „Arithmetika“ von Diophant.

Kapitel 3 „Algebra im Orient“ (96 Seiten) behandelt die Algebra in China (6. Jh. v. Chr. bis 15. Jh. n. Chr.), in Indien (6. Jh. v. Chr. bis 12. Jh. n. Chr.) und in den Ländern des Islam (8.–15. Jh. n. Chr.). Von großer Bedeutung für die Entwicklung der Mathematik in Europa ist die Algebra in den Ländern des Islam, die einerseits von den Indern beeinflusst wird (Zahlzeichen und das dezimale Stellenwertsystem) und andererseits auf den Ergebnissen der Griechen aufbaut. Insbesondere erwähnt werden die zwei Bücher von al-Hwarizmi über das „Rechnen mit indischen Ziffern“ (Algoritmi de numero Indorum) und die „Rechenverfahren durch Ergänzen und Ausgleich“ (al-gabr wa-l-muqabala) sowie die nachfolgendenWerke von Abu Kamil, al-Karagi und Umar Hayyam.

Mit Kapitel 4 „Algebra im Europa des Mitttelalters und der Renaissance“ (58 Seiten) ist der Beginn der „europäischen Algebra“ erreicht. Wie in den Epochen zuvor stehen Grundrechenarten und algebraische Gleichungen im Mittelpunkt des Interesses. Erstere werden durch die deutschen Rechenmeister (u. a. Adam Ries, Christoph Rudolff und Michael Stifel) weiter entwickelt, letztere vor allem von italienischen Algebraikern wie Leonardo von Pisa (Fibonacci) und Luca Pacioli behandelt. Weitere Mathematiker, auf die in diesem Kapitel ausführlich eingegangen wird, sind Jordanus Nemorarius, Johannes de Muris, Nicolas Chuquet, Robert Recorde, Simon Stevin und Pedro Nunes.

Kapitel 5 „Algebra wird zur selbständigen Disziplin (16.–18. Jh.)“ (54 Seiten) beginnt mit der schrittweisen Entdeckung der Lösungsformeln für die Gleichungen 3. und 4. Grades durch die italienischen Renaissance-Algebraiker Scipione del Ferro, Niccolò Tartaglia, Girolamo Cardano, Ludovico Ferrari und Rafaelo Bombelli. Danach werden die algebraischen Schriften der französischen Mathematiker Francois Viète (Vieta) und René Descartes (Cartesius) gewürdigt. Den Abschluss bilden Isaac Newton und Leonhard Euler. Von letzterem werden seine Beiträge zum Fundamentalsatz der Algebra und sein Lehrbuch „Vollständige Anleitung zur Algebra“ ausführlich behandelt.

Kapitel 6 „Algebra in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts und am Beginn des 19. Jahrhunderts“ (54 Seiten) beginnt etwa mit dem Wirken von Carl Friedrich Gauß, der einerseits die komplexen Zahlen exakt einführte und den Fundamentalsatz der Algebra bewies, andererseits mit seinem zahlentheoretischen Werk „Disquisitiones arithmeticae“ die Entwicklung der Algebra sehr beeinflusste. Zugleich wurde auch die Auflösung algebraischer Gleichungen durch Radikale weiter untersucht. In diesem Zusammenhang sind die Namen Joseph Louis Lagrange, Alexandre Théophile Vandermonde und nochmals Gauß zu nennen, auf deren Beiträge näher eingegangen wird, und vor allem Niels Henrik Abel mit seinem Beweis für die Nichtauflösbarkeit der allgemeinen Gleichung 5. Grades. Auch die Anfänge der Determinantentheorie fallen in diese Epoche.

Das umfangreiche Kapitel 7 „Die Herausbildung der Strukturbegriffe“ (90 Seiten) stellt an den Beginn weitere Beiträge von Abel sowie die geniale Theorie von Évariste Galois, der das Auflösungsproblem zu einem ersten Abschluss bringt und die Rolle der Permutationsgruppen stärker als zuvor ins Blickfeld rückt. Danach folgen die Beiträge der englischen algebraischen Schule mit George Peacock, Augustus de Morgan, George Boole, William Rowan Hamilton und Arthur Cayley, durch die bereits der Weg zu abstrakten algebraischen Systemen eingeschlagen wird. Es schließt sich ein Abschnitt über die zahlentheoretischen Einflüsse auf die Entwicklung der Algebra an, beginnend mit den Gaußschen ganzen Zahlen und Reziprozitätsgesetzen, woran die Arbeiten von Dirichlet, Jacobi, Eisenstein und Kummer anknüpfen. Schließlich werden die Fortschritte der linearen Algebra beleuchtet, wobei u. a. auf Beiträge von Cauchy, Weierstraß, Hermite, Cayley, Frobenius, Möbius und Graßmann eingegangen wird.

Kapitel 8 „Die Entwicklung der Algebra von 1850 bis 1880“ (50 Seiten) ist geprägt von weiteren Fortschritten im Verständnis der Galois-Theorie (mit Beiträgen von Kronecker, Serret und Jordan), der großen Zeit der Invariantentheorie und der Betrachtung endlicher und kontinuierlicher Transformationsgruppen (verbunden mit Felix Kleins Erlanger Programm und den Arbeiten von Sophus Lie).

Kapitel 9 „Algebra an der Wende zum 20. Jahrhundert“ (86 Seiten) und insbesondere das folgende Kapitel 10 haben – auf Grund der raschen Zunahme der mathematisch-naturwissenschaftlichen Forschung – noch mehr Überblickscharakter als die voran gegangenen. In Kapitel 9 wird zunächst Mengenlehre und Logik behandelt, verbunden mit den Namen Cantor, Schröder, Frege, Peano und Hilbert. Es folgt ein Abschnitt über den abstrakten Gruppenbegriff, wobei u. a. Arbeiten von Frobenius, Sylow, Hölder und Dickson gewürdigt werden. Die beiden Abschnitte über Körpertheorie sind geprägt von Namen wie Kronecker, Dedekind, Hilbert und Steinitz (auf dessen Arbeit „Algebraische Theorie der Körper“ besonders eingegangen wird). Den Abschluss bilden weitere Teilgebiete der Algebra (hyperkomplexe Systeme, Darstellungstheorie, algebraische Geometrie).

Kapitel 10 „Die Algebra im 20. Jahrhundert“ (80 Seiten) kann – was die Auswahl der angeführten Ergebnisse betrifft – sicher da und dort hinterfragt werden. Um den Umfang nicht zu sprengen, wurde eben eine Gewichtung getroffen. Es beginnt mit der Ring- und Idealtheorie von Emil Artin und Emmy Noether, die in dem berühmten Buch „Moderne Algebra“ von B.L. van der Waerden umfassend behandelt wird. In diese Zeit fällt auch die Entstehung der Verbandstheorie, welche in Anfängen bereits Ende des 19. Jahrhunderts bei Schröder und Dedekind zu finden ist und im 20. Jahrhundert durch Garrett Birkhoff und Karl Menger weiter ausgebaut wird. Es folgt ein Abschnitt über die „Wechselwirkung der Algebra mit anderen Teilgebieten“,wobei algebraische Geometrie, Physik, Topologie und einige weitere Bereiche genannt werden. Den Abschluss bildet die Computeralgebra, welche in der Zweitauflage ausführlicher behandelt wird (siehe nachstehend). Ein Literaturverzeichnis, Abbildungsverzeichnis, Personenregeister und Index (insgesamt 68 Seiten) runden das Werk ab.

Was sind nun wesentliche Unterschiede zur Erstauflage? Es gibt zwei neue Mitautoren, B. Eick und H. Wesemüller-Kock, und fast hundert Seiten mehr Text (die Erstauflage hatte xiv + 653 Seiten). Nach dem bisherigen letzten Abschnitt 10.4. „Computeralgebra“ (mit den Schwerpunkten Faktorisierung von Polynomen, Gröbner- Basen und Buchberger-Algorithmus, Integration) wurde noch ein weiterer Abschnitt 10.5. „Computeralgebra im Jahre 2013“ hinzugefügt mit den Schwerpunkten Algorithmische Gruppentheorie, Software-Systeme und einigen Anwendungen (z. B. Zauberwürfel, kristallographische Gruppen, Kryptographie).

Das Buch ist anregend geschrieben und bis zum Kapitel 5 auch für Leser, die nur Kenntnisse aus der Schulmathematik haben, weitgehend verständlich. Ab dem Kapitel 6 steigen naturgemäß die Anforderungen an die Vorkenntnisse rasch an, und in den letzten beiden Kapiteln werden bei gewissen Teilen nur mehr Experten volles Verständnis aufbringen. Bemerkenswert sind auch die hervorragende Ausstattung mit einer Fülle von Abbildungen und der günstige Preis. Alles in allem kann das Buch jedem, der an der Geschichte der Mathematik interessiert ist, sehr empfohlen werden.

Rezension: Günther Eigenthaler, Wien

Quelle: Springer Verlag, Mathematische Semesterberichte, Oktober 2016, Band 62, Heft 2, S. 309
Mit freundlicher Genehmigung des Verlags