Florenz und bagdad

Florenz und Bagdad
Eine westöstliche Geschichte des Blicks

Hans Belting
C.H. Beck, 2008, 318 Seiten, 29,90 €

ISBN: 3-406-57092-5

Der perspektivische Blick und seine Bedeutung für die Kunst, in welcher die perspektivische Malerei zur absolut vorherrschenden Variante dieser Kunstform wurde, entstand im Italien der Renaisance. Gleichzeitig herrscht in der islamischen Welt das allbekannte Bilderverbot vor. Dies sind die geläufigen Eckdaten einer Epoche, die zwar nicht grundlegend falsch sind, in ihrer Absolutheit die Realität der damaligen Zeit jedoch nicht wirklich widerspiegeln. Den gegenseitigen Einfluss und Kontakt der beiden, nie so deutlich getrennten Welten, zeigt der Kunsthistoriker Hans Belting in seinem Buch Florenz und Bagdad - Eine westöstliche Geschichte des Blicks auf.
Entscheidende Bedeutung für die Entwicklung des perspektivischen Blicks und unverzichtbare Voraussetzung dafür waren die Arbeiten des arabischen Mathematikers Abu Ali al-Hasan Ibn al-Haitham (965 - 1040), im Westen bekannt unter dem Namen Alhazen, der inzwischen gar als der arabische Archimedes bezeichnet wurde. Von seinen 92 Büchern sind heutzutage noch 55 Werke erhalten, in denen er unter anderem eine Zusammenfassung der euklidischen Geometrie dar- oder die Planetentheorie des Ptolemäus widerlegte. In seiner Darstellung Alhazens zeigt Hans Belting auch sehr gut, dass das teilweise verbreitete Bild der arabischen Wissenschaftler des Mittelalters als reine Überlieferer der antiken Wissenschaften nicht haltbar ist.
Bereits 1028 versuchte Alhazen in seinem Buch Kitab al-Manazir (Buch der Sehtheorie) "Mathematik und Physik in eine Synthese zu bringen, denn es ging ihm darum, die Kluft zwischen Mathematik und empirischer Beobachtung zu schließen." Übersetzungen und Kommentare zu diesem Buch schrieben unter anderem Roger Bacon und Witelo und es wurde zu einer wichtigen Quelle für Johannes Kepler.
Nicht nur Alhazens Einfluss auf die Entstehung der Perspektive in der europäischen Malerei der Renaissance erläutert Hans Belting. Er zeigt in seinem ständigen Blickwechsel zwischen eben dieser europäischen Renaissance und der islamischen Welt auch die Geometrisierung der Kunst letzterer, welche nicht nur durch ein religiöses Bilderverbot, "sondern auch durch die ästhetischen, gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Kontexte dieser Kultur" entstand. So gibt es ein wunderbares Kapitel über die Geometrie der sogenannten Muqarnas, deren genaue Definition schwer fällt und die Belting mit einem Wabendekor oder den Hängeformen von Stalaktiten vergleicht. Er beschreibt sie als "geniale und nahezu einzigartige Erfindung, um die Geometrie aus ihren Flächengrenzen zu erlösen und über diese hinaus dorthin zu führen, wo wir unwillkürlich von Raum sprechen wollen." Die Ausführungen sind an dieser Stelle, sowie im gesamten Buch, mit vielen hilfreichen Illustrationen versehen, welche es ermöglichen, die im Text erläuterten Verfahren und konkret beschriebenen Dinge auch bildlich nachzuvollziehen.
Neben den Muqarnas wird auch die Form der Maschrabiyyas, eine Art Fenstergitter aus Holz und deren geometrische Inszenierung des Lichts analysiert. Das Fenstergitter hat in der arabischen Kultur zum Einen die Funktion eine Trennung von Innen und Außen herbeizuführen, so kann man zwar vom Inneren des Raumes nach Außen sehen, nicht jedoch umgekehrt. Durch das einfallende Licht bilden sich aber außerdem geometrische Muster aus Licht und Schatten am Fußboden und den Wänden, die im Laufe des Tages durch das Zimmer wandern. Belting beschreibt dies mit den Worten: "Wollte man von Perspektive sprechen, so wäre sie im Sinne arabischer Optik eine Perspektive des Lichts, das über die Schranke des Fensters nach innen tritt und dort von der Geometrie des Fensterdekors reguliert wird, ohne dass dabei Bilder in unserem Sinne entstehen."
Damit ist man abschließend auch wieder bei den Studien Alhazens angelangt, welcher sich ausführlich mit Lichtreflexionen auseinandersetzte und auch als Erfinder der camera obscura gilt, welche er selbst bereits al-bait al-muzlim (Dunkle Kammer) nannte.
Auch wenn Hans Belting natürlich seine Darstellung eindeutig auf kunsthistorische Aspekte ausrichtet, lässt sich in diesem Buch, wie in den oben beschriebenen Beispielen gezeigt, auch vieles über Wissenschaftsgeschichte und das Zusammenspiel verschiedener Kulturen in dieser erfahren.

(Rezension: Joerg Beyer)