naturwissenschaften Kulturvergleich

Naturwissenschaften im Kulturvergleich
Europa – Islam – China

Karl Wulff
Verlag Harri Deutsch (2006), 408 Seiten, 36,00 €

ISBN: 3-8171-1782-5

Der Verlag Harri Deutsch hat mein Leben von Studentenzeiten an positiv begleitet und inzwischen haben mir zahlreiche Kollegen berichtet, dass es ihnen ähnlich ergangen ist. Wo bekam man sonst hervorragende Fachbücher aus DDR-Pressen zu studentenfreundlichen Preisen wie etwa den vollständigen „Smirnow“ oder die drei Bände des „Fichtenholz“ oder den alten „Bronstein“? Inzwischen muss ich den Verlag uneingeschränkt dafür loben, dass er auch einige der „Ostwalds Klassiker der exakten Wissenschaften“ wieder aufgelegt hat und als Taschenbücher im Programm hält.

Wulffs Buch ist dem Kulturvergleich der Naturwissenschaften in Europa, China und den Ländern des Islam gewidmet und kümmert sich damit von naturwissenschaftlicher Seite um ein hochaktuelles Thema. Der Autor beginnt mit der klassischen griechischen Antike und gibt auf etwa 60 Seiten eine schöne Einführung in die Genese von Philosophie, Mathematik und Naturwissenschaften. Im zweiten Kapitel ist Wulff dann auf seiner Spezialstrecke, der chinesischen Kultur. Immer in den jeweiligen geschichtlichen Rahmen eingebettet steht auch hier die Entwicklung der Naturwissenschaften mit der Ausprägung der Philosophie im Mittelpunkt und berührt im letzten Abschnitt mit der Euklid-Rezeption in China das Aufeinandertreffen zweier grundsätzlich verschiedener Kulturkreise im Mathematikverständnis der chinesischen Hofbeamten, Mathematiker und Astronomen. Diese Euklid-Rezeption in China ist der Ausgangspunkt einer detailierten Untersuchung über die Unterschiede eines Verständnisses von Naturwissenschaften in China und im klassischen Griechenland. Die Rolle der komplexen chinesischen Schrift und Sprache wird dabei ebenso beleuchtet wie fundamentale Unterschiede im philosophischen Denken, z.B. bei den Vorstellungen von Raum und Zeit.

Wer nun ein eigenes Kapitel zum islamischen Kulturraum erwartet hätte wird leider enttäuscht und hier liegt die Schwäche des Buches. Wulff stellt die Entwicklung der Naturwissenschaften im Islam lediglich in Relation zu zeitgleichen Entwicklungen im christlichen Abendland dar. So lernen wir zwar Details über geschichtliche Entwicklungen, die Kalifen-Dynastien, politische und rechtliche Besonderheiten im Islam, Glaubensrichtungen im Islam usw., aber über die eigentlichen Leistungen der islamischen Naturforscher erfahren wir leider sehr wenig und nur fragmentarisch. Schnell ist Wulff wieder zurück bei den Naturwissenschaften im europäischen Mittelalter.

Das Buch wird abgeschlossen durch einen Ausblick, verbunden mit einer Bilanz, wobei auf die wissenschaftliche Revolution des 17. Jahrhunderts gezielt wird. Auf nur wenigen Seiten versucht der Autor dann, den Vergleich zwischen den drei Kulturäumen wertfrei zusammenzufassen. Ob ihm das als westlich sozialisiertem Sinologen und Naturwissenschaftler insbesondere bei der Beurteilung der islamischen Wissenschaft tatsächlich gelungen ist darf man wohl bezweifeln. Zumindest bleibt der Autor sachlich und versucht nicht a priori, den Leser für einen Standpunkt einzunehmen.

Trotz der vorgebrachten (minimalen) Kritik möchte ich das Buch mit einer warmen Empfehlung versehen! Der Autor hat seine Quellen sauber offengelegt, ein Fußnotenapparat begleitet die Leser zuverlässig und ein Anhang mit einem nützlichen Glossar und einer umfangreichen Literaturliste machen das Arbeiten mit dem Buch zur Freude auch für Lehrer und Schüler, die dieses Buch begleitend zu Fächern wie Mathematik, den Naturwissenschaften und Philosophie unbedingt zur Hand nehmen sollten.

Rezension: Thomas Sonar, Braunschweig

Quelle: Springer Verlag, Mathematische Semesterberichte, Oktober 2007, Band 54, Heft 2, S. 248
Mit freundlicher Genehmigung des Verlags