Meilensteine der Rechentechnik

Meilensteine der Rechentechnik
Zur Geschichte der Mathematik und der Informatik

Herbert Bruderer
De Gruyter Oldenbourg (29. Oktober 2015), 850 Seiten; $ 168.00

ISBN-10: 3110375478
ISBN-13: 978-3110375473

2 Rezensionen: Thomas Sonar und Steven Deckelmann (in Englisch)

Die Geschichte der Rechentechnik ist bereits in zahlreichen Veröffentlichungen über viele Jahrzehnte hinweg dokumentiert worden, so etwa im Sammelband 350 Jahre Rechenmaschinen, herausgegeben 1973 von Martin Graef, The Computer from Pascal to von Neumann von Herman H. Goldstine, Michael R. Williams’ A History of Computing Technology, und The Universal History of Computing von Georges Ifrah. Was soll also ein fast 1000-seitiges neues Buch zu diesem Thema? Dazu sind verschiedene Dinge zu sagen. Zum Einen ist mir kein Buch zu diesem Thema bekannt, das so vor Fakten strotzt wie dieses. Zum Anderen hat der Autor in den Archiven der ETH Zürich wirkliche Entdeckungen gemacht, die die Geschichte der Rechentechnik bereichern und umschreiben.

Im Vorwort weist der Autor darauf hin, dass er keine zusammenhängende Geschichte der Rechenmaschinen vorlegen will, sondern sich auf ausgewählte Meilensteine konzentrieren möchte. Diese sind (unter anderen) die größte und genaueste Rechenwalze der Welt, die älteste erhaltene Tastenaddiermaschine der Welt, der erste Prozessrechner der Welt, und die kleinste mechanische Rechenmaschine der Welt. Dabei kann der Autor einige Daten in der bisherigen Geschichte der Rechenmaschinen korrigieren. Das Buch liefert auch eine weltweite Übersicht über die ersten Relais- und Röhrenrechner und geht insbesondere auf die Entwicklungen des mechanischen Rechnens in der Schweiz ein. Der Autor, ein ehemaliger Dozent am Department für Informatik an der ETH und einschlägiger Technikhistoriker, ist auch auf bisher unbekannte Dokumente gestoßen, so dass tatsächlich einige Bereiche der Informatikgeschichte umgeschrieben werden müssen.

In der Einführung berichtet der Autor unter anderem von neu gefundenen Rechengeräten, so etwa die Zuse M9, die Cora, der erste schweizer Transistorrechner aus dem Jahr 1963, und viele andere mehr. Eine weitere Besonderheit des Buches besteht aus Schritt-für-Schritt-Anleitungen für verschiedenste Rechengeräte; das ist für Praktiker besonders hilfreich, da alte Gebrauchsanleitungen meist kaum noch vorhanden sind. Die Quellen (in der Regel Archive, Nachlässe und Museen, aber auch Personenbefragungen) sind detailliert offengelegt. Man wird aber von einem Schauer ergriffen, wenn der Autor von seinen Tiefschlägen berichtet, die die Aufdeckung eines Plagiats und die unverständliche Haltung eines Technikhistorikers umfassen.

Im zweiten Kapitel werden sehr ausführlich Begriffe und Grundlagen erklärt und alleine dieses Kapitel würde ausreichen, um dem Buch eine einzigartige Stellung zu garantieren. Im dritten Kapitel geht es um Hintergründe und Zusammenhänge. Hier lernen wir, welche Rechenhilfe für welchen Zweck erdacht wurde, was es mit dem Patentschutz auf sich hat, wie sich die Pflege und Wertschätzung des kulturellen Erbes der Rechengeräte darstellt, welche Lebensdauer Rechenhilfsmittel hatten, welche Bedeutung der Technik-, Wirtschafts-, Sozial- und Kulturgeschichte zukommt und vieles mehr. Wir lernen erste Rechenhilfsmittel wie das Kerbholz oder die Knotenschnüre der Inka kennen, den Abacus und einen Rechentisch. Dann werden Entwicklungslinien von den Anfängen bis zur Programmierung moderner Computer aufgezeigt; es wird auf Musikautomaten und Webstühle eingegangen. Rechenhilfsmittel werden eingeteilt in verschiedene Kategorien (mit Beispielen), technische Museen werden mit ihren Beständen genannt und Hilfestellung wird bei der Frage nach den Standorten spezieller Rechenmaschinen gegeben – weltweit!

Im vierten Kapitel geht es darum, wer den Computer und den Compiler erfunden hat. Auch dieses Kapitel ist bis ins Detail ausgeführt und liefert eine Unmenge an Informationen. Kapitel 5 beschreibt die neuen Funde des Autors und hier befindet man sich in wahren Detektivgeschichten! Dann folgt in Kapitel 6 eine weltweite Übersicht über die frühen Digitalrechner; Kapitel 7 beschreibt die weltweite Entwicklung der Rechentechnik.

Im achten Kapitel beschreibt der Autor Dokumente die er gefunden hat, und die neues Licht in die Geschichte der Zuse Z4 und der Ermeth, einer programmgesteuerten Maschinen der ETH, bringen. Es folgt eine Bibliographie zur Geschichte der Rechentechnik und Informatik, die mit mehr als 200 Seiten wohl kaum noch Wünsche offen läßt. Ein Namen- und Sachverzeichnis schließt das Buch ab.

Der Autor Herbert Bruderer hat mit diesem Buch tatsächlich einen Meilenstein der Technikgeschichte geschrieben, der in keiner Bibliothek fehlen sollte. Der Verlag hat das Buch sehr gut ausgestattet und reich bebildert, wobei der Autor zu Recht beklagt, dass heute Bildrechte oft zu horrenden Preisen gekauft werden müssen. Herbert Bruderer hat ein Werk vorgelegt, das sich sicher schnell als Standardwerk und Klassiker etablieren wird.

Rezension: Thomas Sonar (Braunschweig)

Quelle: Springer Verlag, Mathematische Semesterberichte, März 2017, Band 64,
Mit freundlicher Genehmigung des Verlags



This impressive new book by Herbert Bruderer is an extensive in-depth scholarly history of mathematics and computer science with a focus on computing technology in German lands. Computing technology is defined in the most general sense. Under this definition can be included any tool that facilitates computation. This runs the gamut from tallying sticks and bones to fingers, pebble stones, pencil and paper, slide rules and to machines, including both mechanical, electronic and even quantum devices. Also, ideas (algorithms) relating to computation and the books that preserved and transmitted them are included among these tools. For example, the Liber Abaci of Leonardo of Pisa as well as John Napier’s logarithms would be included.

As a work by a professional historian, the book poses questions, presents evidence (in the form of historical machines, documents, drawings and pictures) and proposes interpretations as well as raises further research questions. Some of the historical questions include

  1. What kind of device is it?
  2. What was the origin of the device?
  3. How old is the device?
  4. How did the device work?
  5. What technology was the device based on?
  6. For whom and for what purpose was the device used?
  7. How was the device discovered?

among others.

The book consists of 818 pages with 8 chapters along with an extensive 225 page multi-lingual biography exceeding 3000 entries, mostly from the German, French and English literature. It is very rich in detailed historical references. There are many pictures, tables and timelines. The book also includes new primary source material on recently discovered computing devices since 2009 and of new documents on the relationship between German computing pioneer Konrad Zuse and the ETH Zurich concerning Z4 and Ermeth (Elektronische Rechenmaschine der ETH).

This book will be of particular interest to historians of mathematics and computer science. Those who teach undergraduate history of mathematics and possibly ethnomathematics courses and who would like to supplement their course with some episodes from the history of computer science will also find a wealth of material for student projects. For example, students may find it interesting to learn about the Curta, a high quality mechanical calculator invented by Buchenwald concentration camp inmate Curt Herzstark as a possible gift for the Führer, or about the many forms of the slide rule, or abacus, and how they were used. This book contains detailed instructions about how the Curta actually worked.

As a non-expert reviewing this book, I found it both surprising and fascinating how many open questions there are even about relatively recent (twentieth century) history. For example John Von Neumann’s 1945 paper introducing Von Neumann architecture contains no reference to Alan Turing’s 1936 paper on the universal Turing machine. Was Von Neumann influenced by Turing or were these discoveries independent? Von Neumann was at the Institute for Advanced Study during the time Turing was at Princeton. With whom do the distinctions between control unit, ALU, memory, as well as input and output devices, originate? Prior to Von Neumann this had already been anticipated by Charles Babbage and Konrad Zuse. Who wrote the first computer program? Ada Lovelace was certainly the first woman programmer but whether she was the first programmer is in dispute among historians, some of whom argue it was Charles Babbage. In chapter 4, at least a dozen such open historical questions are mentioned.

One topic that I would have liked to have seen but which was omitted was a detailed description of Chebyshev’s calculating machine. But given the 818 pages as well as its stated focus on German lands, perhaps that was a reasonable omission. Chebyshev’s machine is mentioned and references are given.

This book is a must-have for anyone interested in the history of mathematics and computer science as well engineering (especially mechanical and electrical), technology and the history of science.

Steven Deckelman (Wisconsin)

Mit freundlicher Genehmigung des Autors Steven Deckelman und der Mathematical Association of America