glen van brummelen

The Mathematics of the Heavens and the Earth
The Early History of Trigonometry
Heavenly Mathematics
The Forgotten Art of Spherical Trigonometry

Glen Van Brummelen
Princeton University Press 2009, vvii+329 Seiten, 38,95 €
Princeton University Press 2013, vvi+192 Seiten, 27,70 €

ISBN 978-0-691-12973-0
ISBN 978-0-691-14892-2

 Glen Van Brummelen ist ein kanadischer Mathematikhistoriker an der Quest University Canada mit der Fähigkeit, spannende Bücher zu schreiben. Sein Spezialgebiet ist die antike griechische und islamische Trigonometrie und sein Wissen um die arabischen Zijs, die Sternentafeln der islamischen Kultur, ist enorm. Eigentlich wollte ich an dieser Stelle nur das neue Buch über die Geschichte der sphärischen Trigonometrie vorstellen, aber das Thema der Geschichte der Trigonometrie ist so faszinierend und Van Brummelen schreibt so gut, dass ich das ältere Buch den geneigten Lesern ebenfalls ans Herz legen möchte.

glen van brummelen2Anton von Braunmühls Vorlesungen über Geschichte der Trigonometrie, erschienen zweibändig bei Teubner, sind nun schon über 110 Jahre alt und seitdem kamen neuere Erkenntnisse, hauptsächlich über die Trigonometrie in Indien und im Islam, dazu. Van Brummelens erstes Buch (beide hier zu besprechende Bücher sind natürlich völlig unabhängig voneinander lesbar) spannt einen Bogen von der Antike zu den Tafelmachern des 16. Jahrhunderts und es tut dies in 5 Kapiteln. Vorgeschaltet ist eine Betrachtung des antiken Weltbildes und eine Erläuterung der sphärischen Koordinaten an der Himmelssphäre. Das erste Kapitel „Precursors“ informiert über die Zeit, in der die Winkelfunktionen noch nicht zur Verfügung standen. Die alten Ägypter kannten das seked (oder seqed) zur Messung von geneigten Flächen, das im Papyrus Rhind zur Neigungsmessung von Pyramiden verwendet wurde. Die Babylonische Astronomie mit ihrem Sexagesimalsystem und dem 360o-Kreis konnte Winkel in Längen umrechnen und die Griechen von Aristarchus bis Archimedes berechneten sogar schon Abstände im Kosmos. Die weiteren Kapitel heißen „Alexandrian Greece“, „India“, „Islam“ und „The West to 1550“, was den chronologischen Aufbau des Buches deutlich macht. In jedem Kapitel ist man gut beraten, Papier und Bleistift bereit zu halten, denn Van Brummelen erläutert in vorbildlicher Weise die tatsächliche Mathematik, die hinter den jeweiligen astronomischen Messungen steckt. Dabei kommt die historische Entwicklung keineswegs zu kurz; zahlreiche Zeichnungen und Schwarz-weiß-Photos erleichtern nicht nur das mathematische Verständnis, sondern tragen auch dazu bei, dass man gerne im Buch schmökert. Sehr empfehlenswert!

Ebenfalls sehr empfehlenswert ist das neue Buch zum Thema sphärische Trigonometrie. Sie taucht zwar schon im älteren Buch auf – ernsthafte Diskussionen über die astronomischen Berechnungen der Alten sind ohne sphärische Trigonometrie gar nicht denkbar – aber in Heavenly Mathematics steht sie ganz im Mittelpunkt. Im Untertitel nennt Van Brummelen die sphärische Trigonometrie die „forgotten art“ und außerhalb astronomischer und geodätischer Kreise ist sie das wohl auch. So lange ist es nicht her, da sphärische Trigonometrie zum Lehrstoff an unseren Gymnasien gehörte, dann wurde sie in freiwillige Kurse abgedrängt und heute ist sie an der Schule wohl tot. So schreibt denn Van Brummelen auch in seinem Vorwort, dass während des zweiten Weltkrieges der Bedarf und das Interesse an sphärischer Trigonometrie wegen der Ballistik und Navigation noch groß war, dass auch in den 1950er Jahren in den USA und anderswo noch neue Bücher zum Thema entstanden, dass dieses Gebiet dann aber aus der modernen Literatur verschwand. Van Brummelen findet es seltsam, dass in Zeiten von GPS – dem Anwendungsgebiet der sphärischen Trigonometrie – die Sphärik an Schulen und Universitäten verschwunden zu sein scheint und er kann sich darüber amüsieren, dass in Forschungsarbeiten zur Computergraphik oder Animation nur Arbeiten der jeweils letzten Wochen zitiert werden, aber auch immer mindestens ein sehr altes Buch zur sphärischen Trigonometrie.

Hier liegt nun jedenfalls ein Werk zur Geschichte der sphärischen Trigonometrie und zu ihren Anwendungen vor und der Autor hat mir glaubhaft versichert, dass seine Studierenden mit Feuereifer bei der Sache sind, weil sie die Sphärik aufregend finden. Wie auch sein Vorgänger ist dieses Buch nicht ernsthaft im Liegestuhl zu lesen. Van Brummelen schreibt „this is not a coffee table book“ und da hat er recht, aber dennoch ist das Buch sehr lesbar. Das liegt zum einen am gelungenen Schreibstil des Autors, zum anderen aber auch an einer Fülle von Photographien und Zeichnungen und einer Hochglanzeinlage für Farbphotos in der Mitte des Buches. Außerdem wird auf Seite 9 der Pfeil „→“ für eilige Leser eingeführt, die die nach dem Pfeil folgenden mathematischen Ausführungen überspringen möchten. Im ersten Kapitel beginnt die Reise durch die Geschichte mit der Frage nach der Form und Größe der Erde und nach dem Abstand Erde–Mond. Basis der sphärischen Trigonometrie ist naturgemäß die Sphäre, und so heißt das zweite Kapitel „Exploring the Sphere“. Koordinatensysteme auf der Himmelssphäre werden erläutert und sphärische Dreiecke eingeführt, an denen mit Fragen nach Winkeln und Längen die zugehörige Mathematik entwickelt wird. Das dritte Kapitel zeigt „The Ancient Approach“ und startet mit Menelaos im ersten Jahrhundert. Der Satz von Menelaos blieb 900 Jahre lang das Rückgrat der sphärischen Astronomie – im Almagest des Ptolemaios wird alle sphärische Geometrie darauf zurückgeführt, dann nahmen sich die Araber der Sache an. Im Kapitel 4 geht es um „The Medieval Approach“ und beginnt (natürlich) mit den Arabern, aber sucht die Spuren arabischer Astronomie (natürlich) auch in Indien. Jeder Moslem muß die Richtung kennen, in der Mekka liegt. Allein deshalb ist das Interesse der arabisch-islamischen Kultur an sphärischer Geometrie zu erklären. Die zwei folgenden Kapitel sind der modernen Sicht gewidmet, und zwar werden einmal die rechtwinkligen sphärischen Dreiecke untersucht und desweiteren die schiefwinkligen. Natürlich werden die Napier’schen Logarithmen diskutiert, deren Entwicklung durch Fragen der sphärischen Trigonometrie befeuert wurde, wie auch der Kosinussatz. Im siebten Kapitel dreht sich alles um „Areas, Angles, and Polyhedra“. Die Formel für die Fläche eines sphärischen Dreiecks stammt von Albert Girard aus dem frühen 17. Jahrhundert und damit lassen sich auch Flächen von sphärischen Polygonen berechnen. Der Beweis der Euler’schen Polyederformel durch Legendres Projektion auf die Kugel wird gegeben und Berechnungen mit regulären Polygonen gezeigt. In Kapitel 8 geht es um die stereographische Projektion und die Möglichkeiten, damit trigonometrische Berechnungen an sphärischen Dreiecken auszuführen. Das neunte und letzte Kapitel gilt einer der wichtigsten Anwendungen der sphärischen Trigonometrie, der Astronavigation.

Auch am Schluß des Buches läßt der Autor die Leser nicht einfach zurück. Man findet in Anhängen nicht nur eine Liste von klassischen Lehrbüchern zur sphärischen Trigonometrie, sondern auch auf die Buchkapitel bezogene Literatur, mit der man sich intensiver befassen kann, wenn man Van Brummelens Buch gelesen hat.

Ich kann auch dieses Buch nur von ganzem Herzen empfehlen. Man lernt sphärische Trigonometrie quasi nebenbei (wenn man die Absätze mit dem Pfeil nicht wegläßt!) und erhält durch den historischen Ansatz tiefe Einblicke in unterschiedliche Wissenschaftskulturen.

Quelle: Springer Verlag, Mathematische Semesterberichte, Oktober 2013, Band 60, Heft 2
Mit freundlicher Genehmigung des Verlags

Rezension: Thomas Sonar (Braunschweig)