roads to infinity

Roads to infinity
The Mathamatics of the truth and proof

John Stillwell
A.K. Peters, (2010), xi + 203 Seiten, 31,99 €

ISBN: 978-1-56881-466-7

Für Stillwells Buch über das Unendliche in der Mathematik spreche ich gerne eine uneingeschränkte Empfehlung aus (und werde diese zur Sicherheit am Schluss dieser Rezension nochmals wiederholen): Schöner kann man die Welt der Unendlichkeit nicht darstellen! Außer dem Willen zum intensiven Nachdenken, bei der häufig die Gefahr eines Knotens im Hirns besteht, muss der Leser eigentlich nicht viel wissen, so dass zumindest Teile des Buchs auch einem interessierten Abiturienten zugänglich sind. Die Belohnung besteht in einem sehr umfangreichen Einblick in die Unendlichkeit, ihrer unendlichen Tücken und ihrer Verflechtung mit der Mathematik. Stillwell versteht es, verwickelte Angelegenheiten klar und vor allem spannend zu schildern sowie durch viele interessante historische Anmerkungen den Leser zu fesseln, so dass ich das Buch nicht mehr aus der Hand legen wollte. Mehr kann man nicht verlangen!

Am Beginn steht bekannte Kost: Abzählbar unendliche Mengen werden eingeführt, Cantors Diagonalargument beleuchtet und die Überabzählbarkeit der reellen Zahlen nachgewiesen. Ein kurzer Exkurs zu den transzendenten Zahlen zeigt, dass der Autor nicht nur in Mengenlehre und Logik verweilen will, sondern vielmehr die Relevanz dieser Gebiete für die Mathematik erhellen möchte. Besonders gut gefallen haben mir die Erläuterungen zu den abzählbaren Ordinalzahlen, die in engen Zusammenhang mit immer schneller wachsenden Folgen natürlicher Zahlen gebracht werden und so eine eindrucksvolle Idee der Größe der Ordinalzahl

0=

vermitteln. Die weitere Betrachtung von Wachstumsraten von Folgen natürlicher Zahlen macht wenig später die Notwendigkeit des Wohlordnungssatzes deutlich, und auch die überabzählbare Ordinalzahl 1 ist jetzt mit im Spiel. Der Goodstein-Prozess macht nochmals klar, wie eng natürliche Zahlen und Ordinalzahlen miteinander verwoben sind: Man nehme eine natürliche Zahl n1 und stelle sie (inklusive aller Exponenten) im Zweiersystem dar. Anschließend schreibe man für jede 2 eine 3 und ziehe von der so entstandenen Zahl 1 ab. Das Ergebnis n2 stelle man im Dreiersystem dar, ersetze dann jede 3 durch eine 4, ziehe 1 ab und nenne die jetzt gewonnene Zahl n3 – usw. Während die so entstehende Folge n1, n2, . . . für n1 = 3 recht schnell bei 0 landet, scheinen die Folgenglieder bereits für n1=4 förmlich nach oben zu schnellen. Das überraschende Ergebnis von Goodstein besagt aber, dass ungeachtet der Wahl von n1 die Folge stets bei 0 endet! Bewiesen wird dies durch geschicktes Umschreiben der Folgenglieder in eine fallende Folge von Ordinalzahlen. Durchaus nicht zufällig ist dabei die Arithmetik der Ordinalzahlen unterhalb von 0 entscheidend. Für den genauen Zusammenhang ist aber etliches an Logik erforderlich, die in den nächsten beiden Kapiteln behandelt wird. Gödels erster und zweiter Unvollständigkeitssatz, das Halteproblem und das Entscheidungsproblem stehen auf dem Programm und werden dem Leser gut verständlich näher gebracht. Damit ist die Grundlage für die Erläuterung des Theorems von Gentzen gelegt: 0 ist die kleinste Ordinalzahl α, für die α-Induktion mit Mitteln der Peano–Arithmetik nicht beweisbar ist. Damit erweist sich die doch recht unhandliche Zahl ε0 als ein Maß für die Komplexität des Rechnens mit natürlichen Zahlen – eine echte Überraschung. Dieser Zusammenhang zwischen der „endlichen Welt“ und der Theorie der Ordinalzahlen wird im Anschluss noch weiter ausgebaut. Wir erfahren etwas über schwere Theoreme der Graphentheorie, unerreichbare Kardinalzahlen sowie über Zöpfe. Weiterhin wird uns die Idee nahegebracht, die Theorie der Unendlichkeiten zu einer befriedigenden Lösung des Problems mit der Kontinuumshypothese heranzuziehen. Und so endet das überaus lesenswerte Buch, das ich nochmals jedem mathematisch Interessierten ans Herz legen möchte, mit Hilberts Hoffnung: „Wir müssen wissen, und wir werden wissen“.

Rezension: Harald Löwe, Braunschweig

Quelle: Springer Verlag, Mathematische Semesterberichte, Oktober 2011, Band 58, Heft 2, S. 250
Mit freundlicher Genehmigung des Verlags