erste anfänge der naturwissenschaften

Erste Anfänge der Naturwissenschaften
Eine geschichtliche Betrachtung

Dieter Starke
Verlag Harri Deutsch (2006), 437 Seiten, 29,80 €

ISBN: 3-8171-1775-2

Der Verlag Harri Deutsch hat mein Leben von Studentenzeiten an positiv begleitet und inzwischen haben mir zahlreiche Kollegen berichtet, dass es ihnen ähnlich ergangen ist. Wo bekam man sonst hervorragende Fachbücher aus DDR-Pressen zu studentenfreundlichen Preisen wie etwa den vollständigen „Smirnow“ oder die drei Bände des „Fichtenholz“ oder den alten „Bronstein“? Inzwischen muss ich den Verlag uneingeschränkt dafür loben, dass er auch einige der „Ostwalds Klassiker der exakten Wissenschaften“ wieder aufgelegt hat und als Taschenbücher im Programm hält.

Was soll ich dagegen vom Buch des Physikers Dieter Starke halten? Ein Urteil fällt schwer, aber warum?

Starke, vor seiner Pensionierung Professor für Physik und Technische Optik an der FH Aachen, hat nach eigenen Aussagen eine „Ergänzung zur Vorlesung ,Geschichte der Naturwissenschaften – erste Anfänge“‘ schreiben wollen. Diese Vorlesung gehört nach Starkes Aussagen zu einem Wahlpflichtfach des Studium Generale in einem Ingenieurstudium und es ist unbestritten löblich, werdenden Ingenieuren einen Abriss der frühen Entwicklung ihrer Grundlagenwissenschaften geben zu wollen. Dann erklärt der Autor, er sei nach dem Motto: „Mut zur Lücke!“ vorgegangen, da man im Rahmen einer solchen Vorlesung das Thema nicht erschöpfend bearbeiten kann. Und in diesem Punkt hat Starke in gewisser Weise gelogen, denn das Buch explodiert schon fast vor Inhalten aus Naturwissenschaften, Philosophie und Theologie; Zitaten, Detailverliebtheit und einer Unmenge von Ideen über geistige Verbindungen zwischen der Antike und heute, und gerade hier habe ich ein Problem: Das Buch ist zu voll! Es strotzt vor Information und man spürt auf jeder Seite, dass der Autor, der offenbar im besten Sinne viel weiß, sein Wissen auch mitteilen möchte. Aber so entstehen in Teilen „Wuste“ von – durchaus hoch interessanten – Wissensbergen, die den Leser einfach überschwemmen. Ich werde auf diese Kritik in kürze zurückkommen.

Im Vorwort lernen wir weiter, dass auf Quellen- und Literaturangaben verzichtet wurde und dass das auch in Physikbüchern üblich sei. Dafür gibt es am Ende des Buches ein, wie der Autor schreibt, umfassendes Quellenverzeichnis. Ich habe lange überlegt, ob das Fehlen solcher Angaben im Text vielleicht ein Vorteil für die Ingenieurstudierenden darstellt, die beim Lesen unter Umständen verwirrt worden wären, und ich bin zu dem endgültigen Urteil gekommen, dass hier ein großer Fehler des Buches vorliegt. Mich stört das Fehlen eines brauchbaren Apparates jedenfalls ungemein, denn nun kommen zwei Dinge zusammen: Der schon berichtete Überfluss an Inhalten und die fehlende Überprüfbarkeit der Information. Als Beispiel möchte ich den Abschnitt „Die beiden Einzelgänger des 5. Jahrhunderts v. u. Ztr.: Xenophanes und Heraklit“ ab Seite 127 anführen. Woher stammen die Informationen zu Xenophanes und woher kommen die zahlreichen Zitate, die auf uns herunterprasseln? Über mehrere Seiten lesen wir „Epikur meint: Zitat“, „Albertus Magnus sagt: Zitat“, „Kepler sagt: Zitat“, „Der deutsche Philosoph Arthur Schopenhauer schreibt: Zitat“, und so weiter und so weiter: Keines dieser Zitate ist wirklich nachprüfbar, denn die Quellenverweise fehlen einfach! Die dafür mehr als reichlich am Ende der Abschnitte eingefügten Bemerkungen entschädigen dafür leider nicht, sondern liefern eher noch mehr Informationen zur Sache. Schade, denn das Buch hätte neben zahlosen Zitaten, die den Leser manchmal in einer Flut überschwemmen, doch mehr zu bieten.

Dann aber die Fehler: Nicht nur, dass Poseidonios in der Zeit wohl rückwärts lebte und Bertrand Russell nicht „Bertrand Russel“ hieß – solche Fehler mag man auch in einer zweiten Auflage verschmerzen – aber dass „der bekannte Theologe Dietrich Bonhoeffer“ im Jahr 1961 von der Religion in der mündigen Welt gesprochen haben soll, zeugt schon von eklatanter Ignoranz. Die Ausführungen zu den klassischen Philosophen leiden zudem unter dem doch sehr einseitigen Blickwinkel eines modernen Physikers, aber darauf will ich gar nicht mehr weiter eingehen.

Aus diesem Thema hätte man etwas Großartiges machen können; die Gelegenheit wurde verpasst und das Ziel verfehlt. Unsere technische Elite leidet schon seit geraumer Zeit an einer krassen Un- und Halbbildung bezüglich wichtiger philosophischer und historischer Themen. Mit dem vorliegenden Buch wird höchstens die Halbbildung weiter verstärkt. Zur Bildung von Ingenieuren kann man so nicht beitragen.

Rezension: Thomas Sonar, Braunschweig

Quelle: Springer Verlag, Mathematische Semesterberichte, Oktober 2007, Band 54, Heft 2, S. 246
Mit freundlicher Genehmigung des Verlags