mathematisches problemloesen und beweisen

Mathematisches Problemlösen und Beweisen
Eine Entdeckungsreise in die Mathematik

Daniel Grieser
Springer Spektrum (2013), 305 Seiten, 22,95 €

ISBN-10: 3834824593
ISBN-13: 978-3834824592

In der Mathematik bereitet der Übergang von der Schule zur Universität den Studierenden offensichtlich besondere Schwierigkeiten. Wohl jeder Dozent von mathematischen Erstsemestervorlesungen hat dies schon beobachtet. Ein wesentlicher Grund scheint darin zu liegen, daß allen Anstrengungen der Fachdidaktiker zum Trotz im Schulunterricht der Schwerpunkt vielerorts nach wie vor auf dem Rechnen konkreter Aufgaben liegt, die einem vorher vielfach eingeübten Schema folgen. Abstraktere Konzepte und allgemeine Prinzipien, wie sie in der Hochschulmathematik von zentraler Bedeutung sind, spielen dagegen nur eine untergeordnete Rolle. Erst recht stellt das eigenständige Beweisen mathematischer Aussagen sowie das Bearbeiten offener Probleme, bei denen der Lösungsweg zunächst völlig unklar ist, für viele Erstsemester völliges Neuland dar und wird von vielen auch als ein ziemlicher Schock erfahren. Hinzu kommen häufig noch Schwierigkeiten mit dem deutlich massiveren Einsatz der mathematischen Formelsprache und dem präzisen Formulieren mathematischer Zusammenhänge.

Klassisch wird von Dozentenseite erwartet, daß die Studierenden diese Defizite in den ersten beiden Semestern von alleine aufholten, wenn sie nur regelmäßig ihre Übungsblätter bearbeiteten. „Ganz nebenbei“ gewännen sie dabei schon die nötige Erfahrung. Angesichts der schon immer sehr hohen Abbrecherquote in mathematischen Studiengängen kann man bezweifeln, ob dies schon jemals sonderlich gut geklappt hat. Heute gilt dies sicherlich für viele Studierende nicht mehr. Sie sind einfach überfordert mit der Vielzahl der für sie neuen Aspekte, die sie neben dem eigentlichen Vorlesungsstoff aufnehmen sollen.

Wie der Titel schon nahelegt, steht dagegen für Daniel Grieser in seinem Buch das Problemlösen und das Beweisen im Mittelpunkt. Das Erlernen entsprechender Techniken und Strategien stellt hier das zentrale Ziel und Thema dar und nicht die Vermittlung mathematischen Fachwissens. Dazu wird eine Vielzahl mathematischer Probleme detailliert studiert und der Lösungsprozeß anschließend noch einmal ausführlich analysiert. Vor allem dieser letzte Schritt macht einen großen Unterschied, da er in einer „normalen“ Vorlesung in aller Regel fehlt. Daniel Grieser orientiert sich hierbei an der Vorgehensweise in dem klassischen Buch von George Pólya Vom Lösen mathematischer Aufgaben. Die Bearbeitung eines Problems erfolgt in vier Stufen: Verstehen, Untersuchen, geordnetes Aufschreiben der Lösung und Rückschau. Das eigentliche Lösen findet hierbei überwiegend im zweiten Schritt statt; für das Erlernen des Problemlösens sind die anderen drei Schritte aber mindestens genauso wichtig.

Die betrachteten Probleme entstammen vorwiegend der Elementargeometrie, der Kombinatorik und der elementaren Zahlentheorie. Fast alle können mit Schulwissen (vorwiegend aus der Mittelstufe) behandelt werden. An zusätzlichem Stoff führt Daniel Grieser nur etwas Graphen- und Zahlentheorie ein. Dadurch ist das Buch nicht nur für Studierende, sondern auch schon für Oberstufenschüler gut lesbar. Insbesondere ist es auch hervorragend für das Selbststudium geeignet.

Bei den vorgestellten Lösungsmethoden kann man zwischen allgemeinen Strategien, die auch außerhalb der Mathematik nützlich sind, und spezifisch mathematischen Strategien unterscheiden. Zu der ersten Gruppe gehört das Betrachten von Spezialfällen und Beispielen, um ein Gefühl für das Problem zu bekommen, die Betrachtung ähnlicher oder einfacherer Probleme, das Formulieren von Vermutungen und die Einführung von Zwischenzielen. Man kann auch rückwärts statt vorwärts arbeiten. An speziellen mathematischen Lösungstechniken werden behandelt Rekursion und Induktion, diverse Abzählprinzipien, das Schubfachprinzip, das Extremalprinzip und das Invarianzprinzip.

Das Buch gliedert sich in elf Kapitel und zwei Anhänge. Ein Symbolverzeichnis, ein Glossar und Listen der Probleme, Sätze und Verfahren helfen beim intensiven Arbeiten mit dem Buch. Da man das Problemlösen und Beweisen nur dadurch erlernt, daß man selbst an Problemen und Beweisen arbeitet, endet jedes Kapitel mit einer größeren Anzahl von Übungsaufgaben unterschiedlichen Schwierigkeitsgrades. Zu einigen findet man am Ende des Buchs Hinweise.

Das Buch ist in einem sehr angenehmen, gut lesbaren Stil geschrieben und lädt ein zum aktiven Lesen. Die Behandlung der Probleme wird immer wieder unterbrochen durch ein Symbol „Denkpause“, das den Leser (oder die Leserin) auffordert, an dieser Stelle inne zu halten und sich selbst Gedanken zu machen, wie es weiter gehen könnte. Wer dies ernst nimmt und das Buch entsprechend intensiv durcharbeitet, wird sehr von der Lektüre profitieren. Gerade im Übergang von der Schule zur Universität sind die hier vermittelten Fähigkeiten sehr nützlich und können helfen, den Schock des ersten Semesters besser zu verdauen oder erst gar nicht entstehen zu lassen.

Werner M. Seiler (Kassel)