von Günter M. Ziegler

Im Jahr 2000 hat die Clay-Stiftung sieben große mathematische Probleme vorgestellt und für deren Lösung jeweils eine Million US-Dollar zur Verfügung gestellt. Bisher ist nur eines davon gelöst, nämlich die Poincaré-Vermutung (siehe unten). Alle diese sogenannten Millenniumsprobleme sind extrem schwierig - herausragende Mathematiker haben sich an ihnen ohne durchschlagendem Erfolg versucht. Für die meisten von ihnen ist es ohne Mathematikstudium schon schwierig, die Problemstellung in Umrissen zu verstehen: Daher bieten wir hier nur kurze informelle Skizzen an und verweisen für Details auf die englischsprachigen Seiten des Clay-Instituts.
Drei der „Jahrtausendprobleme“ sind besonders berühmt: die Riemann-Hypothese, das "P ungleich NP"-Problem, und die Navier-Stokes-Gleichungen. Mit diesen wollen wir beginnen. Worum geht's?

P ungleich NP ?

Das "P ungleich NP"-Problem fragt, ob es wirklich Berechnungsprobleme gibt, für die man Lösungen zwar sehr schnell überprüfen kann, aber die Lösungen selbst nicht schnell finden kann. Wenn die Antwort ja ist, dann ist das „Problem des Handlungsreisenden“ ("finde die kürzeste Rundreise durch eine Liste von Städten, die jede Stadt nur einmal besucht") so ein Problem; oder das Rucksackproblem: Kann man aus einer vorgegebenen Menge von Zahlen eine Auswahl treffen, die eine vorgegebene Summe ergibt?
Auch den merkwürdigen Namen des Problems können wir verstehen: "P" bezeichnet die Klasse der Problemtypen, die man schnell ("in polynomialer Zeit", daher das "P") lösen kann; "NP" sind die Probleme, die man schnell überprüfen kann ("nichtdeterministisch-polynomial" - also erst raten, dann schnell überprüfen, daher "NP").

Die Navier-Stokes-Gleichungen

Die Navier-Stokes-Gleichungen beschreiben Strömungen mit Wirbeln und Turbulenzen (etwa im Windkanal, oder in einem Fluss). Immer wenn's turbulent wird, versagen die üblichen Hilfsmittel der Differenzialrechnung, die man etwa auf dem Gymnasium lernt. Das Millenniumsproblem fragt nach einer Lösungstheorie zu genau diesen Gleichungen. Die ist wichtig, weil Navier-Stokes-Gleichungen zwar täglich gelöst werden (das ergibt zum Beispiel den Wetterbericht, oder Rechnungen für den virtuellen Windkanal, um Autos windschnittig und Flugzeuge flugstabil zu kriegen), aber ohne gute Theorie darf man den Großcomputern nicht trauen. In dem Bereich setzen wir Großcomputer, aber die verlässliche Theorie dazu fehlt. Noch.

Die Riemann-Hypothese

Die Riemann-Hypothese hat der Göttinger Mathematiker Bernhard Riemann im Jahr 1859 aufgestellt. Es geht dabei um eine sehr genaue Abschätzung für die Verteilung der Primzahlen - also der Zahlen wie 2, 3, 5, 7, 11, ... die sich nicht in kleinere Faktoren zerlegen lassen. Genaue Abschätzung heißt zum Beispiel: Wie viele Primzahlen gibt es, die genau 100 Stellen haben?
Ganz genau werden wir das wohl nie wissen. Aber wenn sich die Riemann-Hypothese bewahrheitet, dann liefert sie dafür eine sehr genaue Antwort. Sie macht das (unerwarteter Weise) mit Hilfsmitteln der Differenzialrechnung, nämlich durch Abschätzungen über die sogenannte Zeta-Funktion, die Riemann eingeführt hat.

Die Vermutung von Birch und Swinnerton-Dyer

Bryan Birch und Peter Swinnerton-Dyer, zwei inzwischen pensionierte Professoren der Universität Cambridge (England) haben in den Sechzigerjahren diese Vermutung aufgestellt - ein weiteres großes Mysterium der Zahlentheorie. Dabei geht es um ebene Kurven, die man "elliptische Kurven" nennt, um "rationale Punkte" auf diesen Kurven, die Bruchzahlen als Koordinaten haben, und um die Beziehung zwischen den Teilbarkeitseigenschaften von ganzzahligen Lösungen und der Vielfalt der rationalen Punkte. Die sollen eine enge Beziehung haben. Das ist experimentell bestätigt, aber bisher überhaupt nicht bewiesen.
Die Mathematik der elliptischen Kurven ist theoretisch wichtig (sie spielt zum Beispiel für den Beweis der Fermat-Vermutung durch Wiles eine große Rolle), aber Sie ist auch sehr praktisch: zum Beispiel werden die rationalen Punkte für komplizierte Verschlüsselungsverfahren eingesetzt.

Die Masselücke der Yang-Mills-Theorie

Die Yang-Mills-Gleichungen können Elementarteilchen beschreiben: komplizierte Differenzialgleichungen, die viele Eigenschaften von realen Teilchen beschreiben und vorhersagen können. Aber stimmt es wirklich, dass die Lösungen der Quanten-Version der Yang-Mills-Gleichungen keine beliebig kleine Masse haben können?
Gibt es also eine Masselücke für diese Gleichungen? Es sieht experimentell und in Computersimulationen stark danach aus - aber der Beweis fehlt und würde mit einer Million Dollar vergoldet.

Die Hodge-Vermutung

W. V. D. Hodge (1903-1975) war ein britischer Mathematiker, der fundamentale Beiträge zur Algebraischen Geometrie geleistet hat: also zum Verständnis der Lösungsmengen von Polynomgleichungen. Solche Gleichungen können viele Grundformen der Natur beschreiben, etwa Kreise, Ellipsen oder Geraden in der Ebene, Sphären, Eier und viele noch viel kompliziertere und spanndendere Figuren im Raum -- die IMAGINARY-Ausstellung aus dem Mathematikjahr 2008 zeigt das eindrucksvoll. Die Theorie solcher Figuren ist hochentwickelt, insbesondere wenn man dabei mit komplexen Zahlen rechnet, was die Theorie einfacher, aber die Vorstellung davon viel komplizierter macht. Die Hodge-Vermutung ist dabei eine technisch-schwierige, aber wichtige Frage: kann man die Unterstrukturen solcher Figuren wieder durch Polynomgleichungen beschreiben? Für niedrig-dimensionale Figuren (die wir uns vorstellen können) ist das richtig, aber die allgemeine Form der Hodge-Vermutung ist offen. Und es kann gut sein, dass Professor Hodge da nicht Recht behält.

Die Poincaré-Vermutung

1904 hat der französische Mathematiker Henri Poincaré gefragt, ob die 3-dimensionale Sphäre die einzige 3-dimensionale Raumform ist, die einfach-zusammenhängend ist, in der sich also jede geschlossene Kurve auf einen Punkt zusammenziehen lässt. Die 3-dimensionale Sphäre ist die Raumform, die man erhält, wenn man den 3-dimensionalen Raum durch einen einzigen Punkt „im Unendlichen“ abschließt. Die Poincaré-Vermutung ist ein Spezialfall einer sehr allgemeinen „Geometrisierungsvermutung“, die der Amerikaner William Thurston (1946-2012) in den 1970er Jahren aufgestellt hat — und die von 2002/2003 von dem Russen Grigori Perelman, basierend auf einem Ansatz von Richard Hamilton vollständig bewiesen wurde.