Differenzierbarkeit auf Sphären.
Am Mittwoch wurde bekanntgegeben, daß der Abelpreis dieses Jahr an John Milnor verliehen wird, unter anderem für die Klassifikation der
exotischen Sphären, d.h. der verschiedenen Differentialstrukturen auf Sphären.
Worum geht es dabei?
Wir hatten
letzte Woche (und auch schon in
TvF 10) gesagt, daß man Flächen durch ebene Landkarten überdecken kann. (Das ist die mathematische Definiton des Begriffs "Fläche" bzw. "2-dimensionale Mannigfaltigkeit".)

Das Bild zeigt eine Karte für die Einheits-Sphäre (mit Ausnahme des Nordpols).
Die Abbildung (die sogenannte
stereographische Projektion) ist gegeben durch
φ1(x,y,z) = (x/(1-z),y/(1-z)).
Eine zweite Landkarte bekommt man für die Einheits-Sphäre (mit Ausnahme des Südpols) durch die Formel
φ2(x,y,z) = (x/(1+z),y/(1+z)), d.h. man projiziert vom Südpol aus auf eine am Nordpol angebrachte Ebene.
(Diese beiden Landkarten überdecken die gesamte Sphäre.)
Wenn man jetzt auf der Sphäre Differentialrechnung betreiben (d.h. Funktionen
f ableiten) will, wird man dies natürlich in den durch die Karten gegebenen Koordinaten tun (d.h. man leitet
fφ1-1 bzw.
fφ2-1 ab). Das ganze soll natürlich koordinaten-unabhängig sein: in denjenigen Punkten, die zu beiden Landkarten gehören, soll die Differenzierbarkeit einer Funktion nicht davon abhängen, welche der beiden Landkarten man als Koordinatensystem verwendet. Mathematisch formuliert: die Differenzierbarkeit von
fφ1-1 soll äquivalent zur Differenzierbarkeit von
fφ2-1 sein.
Diese Bedingung ist aber genau dann erfüllt,
wenn alle Koordinatenwechsel (hier: φ
2φ
1-1 und φ
1φ
2-1)
differenzierbar sind, denn es ist ja
fφ1-1=(fφ2-1)(φ2φ1-1), also wenn φ
2φ
1-1 differenzierbar ist, dann folgt Differenzierbarkeit von fφ
1-1 aus Differenzierbarkeit von fφ
2-1.
Langer Rede kurzer Sinn: damit man auf der Sphäre sinvoll Differentialrechnung betreiben kann, müssen die Koordinatenwechsel differenzierbar sein.
Für die beiden Karten oben ist das der Fall: sowohl φ
2φ
1-1 als φ
1φ
2-1 sind die
Inversion am Einheitskreis und diese ist differenzierbar.
Eine
Differentialstruktur auf der Sphäre ist, per Definition: eine Menge von Karten (die die gesamte Sphäre überdecken), so dass die Koordinatenwechsel differenzierbar sind.
Die beiden Karten oben definieren eine Differentialstruktur auf der 2-dimensionalen Sphäre. Jede andere Menge von Karten, die mit diesen beiden Karten kompatibel ist (d.h. die jeweiligen Koordinatenwechsel seien wieder differenzierbar) definiert
dieselbe Differentialstruktur.
Man kann sich nun fragen, ob diese Differentialstruktur auf der Sphäre die einzig mögliche ist. Also, ob es eine andere Überdeckung mit Karten gibt, die nicht durch einen Homöomorphismus auf diese abgebildet wird, so daß die Koordinatenwechsel (zwischen Karten der einen Differentialstruktur und Karten der anderen Differentialstruktur) nicht differenzierbar sind. (Damit würde dann die Differenzierbarkeit einer Funktion davon abhängen, welche Koordinaten man verwendet.)
Eine solche andere Differentialstruktur gibt es auf der 2-dimensionalen Sphäre nicht. (Auch auf allen anderen Flächen sind die Differentialstrukturen jeweils eindeutig.) Das zu beweisen ist aber nicht trivial. Und tatsächlich stimmt diese Eindeutigkeit nur in niedrigen Dimensionen:
John Milnor hatte 1956 gezeigt, daß es auf der 7-dimensionalen Sphäre 28 verschiedene Differentialstrukturen gibt, mit einer relativ einfachen Konstruktion. (Es handelt sich um verschiedene S
3-Bündel über S
4, die homöomorph zur S
7 sind, und die durch Elemente aus π
3SO(4)=Z
2 klassifiziert werden.) Später haben Kervaire und Milnor eine "Formel" für die Anzahl der Differentialstrukturen auf der n-dimensionalen Sphäre angegeben, aus der sich die folgende Tabelle (vgl.
Wikipedia) ergibt:
-
Dim | 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9 | 10 | 11 | 12 | 13 | 14 | 15 | 16 | 17 | 18 | 19 | 20 |
# Sn | 1 | 1 | 1 | ? | 1 | 1 | 28 | 2 | 8 | 6 | 992</td | 1 | 3 | 2 | 16256 | 2 | 16</td | 16 | 523264 | 24 |
Unbekannt ist die Anzahl der Differentialstrukturen auf der n-dimensionalen Sphäre für n=4 (der Ansatz von Kervaire und Milnor benutzt Chirurgietheorie, die erst ab Dimension 5 funktioniert) und für n=126 (weil in dieser Dimension die Kervaire-Vermutung noch nicht bewiesen wurde).
Für n=4 ist die Frage völlig offen, die Vermutungen über die Anzahl der Differentialstrukturen auf der 4-dimensionalen Sphäre reichen von 1 bis unendlich. Eine Reihe
potentieller Beispiele exotischer 4-Sphären wurde
kürzlich von Akbulut widerlegt, d.h. er bewies, daß diese Beispiele diffeomorph zur S
4 sind
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