Die DZLM-Lehrerfortbildungskurse im Lichte der Mathematik für MINT-Studienfächer

Bekanntlich ist das DZLM angetreten, um die Mathematikausbildung an den Schulen zu verbessern, insbesondere durch Lehrerfortbildung. Auf der Homepage des DZLM

dzlm.de/fort-und-weiterbildung/suche

wird die Zuordnung der Kurse zu den einzelnen Stufen (Primarstufe, Sek I, Sek II) aber mehr verschleiert als geklärt. Die Zahlen in der rechten Spalte erklären nicht die Realität, weil sie z.B. ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Primarstufe und Sek II suggerieren mit 50 bzw. 48 Einträgen. Der Grund ist vor allem in der Kombination Sek I/Sek II zu suchen. Dadurch erscheint die Sek II viel besser repräsentiert als es der Wahrheit entspricht.

Von 78 aufgelisteten Kurskonzepten gehören zu folgenden Stufen:

Nur Primarstufe: 18
Nur Sek I: 27
Sek I / Sek II: 21
Nur Sek II: 8
Sonstige: 4

Allein diese Zahlen deuten schon einmal auf einen Schwerpunkt im unteren Bereich und auf eine Vernachlässigung der anspruchsvollen Mathematik der Sek II hin. Vieles richtet sich an fachfremd
unterrichtende Lehrer, aber seltsamerweise nicht exklusiv an solche (mit einer Ausnahme: "ProFFunt Mathe"). Man scheint also die fachfremd unterrichtenden mit den anderen zusammen zu behandeln. Dabei sollte man meinen, dass gerade die fachfremd unterrichtenden Lehrkräfte einen fachlichen Nachholbedarf haben, um dem Unterricht überhaupt gewachsen zu sein. Davon ist nichts zu sehen. Das Grundschulrechnen wird vielfach im Zusammenhang mit den Modewörtern "Inklusion" und "Heterogenität" gesehen. Der entscheidende Punkt bei der Sekundarstufe ist die Tatsache, dass praktisch alle Kurskonzepte für die Sek I/Sek II gleichzeitig den folgenden Schulformen zugeordnet werden:

Hauptschule, Realschule, Gesamtschule, Gymnasium, gymnasiale Oberstufe,
oft noch zusätzlich der berufsbildenden Schule sowie dem Berufskolleg.

Selbst ein Kurskonzept wie
"Berücksichtigung individueller mathematischer Denkweisen im Mathematikunterricht: Spuren unterschiedlicher kognitiver Strukturen in Schülereigenproduktionen"
wird u.a. auch der Hauptschule zugeordnet.

Damit ist klar, dass in den Sek I/Sek II - Kursen
keine typische Sek II - Mathematik behandelt
werden kann, schon gar nicht eine solche, die auf ein künftiges MINT-Studium hinzielt. Zu vermuten ist, dass Dreisatz und Prozentrechnung zu Themen mehrschrittiger Modellierungsaufgaben avancieren, bei denen dann die Sachkontexte wichtiger sind als die Mathematik selbst. Maßgeblich sind dabei vermutlich eher die KMK-Standards für den mittleren Schulabschluss als die fürs Abitur.

Titel wie

"Differenzierung und Individualisierung, Binnendifferenzierung, mathematisches Modellieren, Förderung metakognitiver und diskursiver Aktivitäten, Kompetenzdiagnose, Aufgabenqualität, EXCEL im Mathematikunterricht, Ausbildung von PLG-Begleiterinnen und -Begleitern"

deuten zusätzlich darauf hin, dass mathematische Inhalte an den Rand gedrängt werden, wenn sie denn überhaupt noch vorkommen. Stets ist viel von den Leitideen, den Kompetenzen usw. die Rede.
Es sieht so aus, als seien diese Terminologie und die dem Bildungsmonitoring entlehnten Begriffe wichtiger als die Mathematik selbst.

Was wird nun exklusiv für die Sek II angeboten ?
Bei dem Kurs zu "Goethe & Gauß" geht es viel um Literatur. Die 7 anderen Konzepte beinhalten

"Realitätsbezüge im Analysisunterricht,
Analysis - Kernideen vermitteln, Aufgaben entwickeln,
Fortbildungszyklus zum Einsatz digitaler Medien und Werkzeuge,
Kompetenzorientierter Mathematikunterricht mit CAS"

sowie drei Kurse zur Stochastik, alle im engen Zusammenhang mit digitalen Werkzeugen. Nur diese drei letztgenannten betreffen überhaupt
anspruchsvolle mathematische Inhalte, bei denen vielleicht ein Defizit auf Seiten der gymnasialen Lehrkräfte vorliegen mag. Das, was in den ersten vier genannten als Analysis konkret genannt wird,
sind nur Grundbegriffe, die in Schulbüchern für die Klasse 10 am G8-Gymnasium stehen.

FAZIT 1: Man scheint beim DZLM davon auszugehen, dass gerade bei anspruchsvoller Mathematik der Sek II kein Weiterbildungsbedarf besteht (etwa zur Auffrischung früher mal gelernter Inhalte)
oder dass die handelnden Personen da nichts beizutragen haben. Die vielfach beklagten Defizite bei MINT-Studienanfängern, denen auch ein Defizit bei den Lehrkräften an den Schulen entsprechen mag, werden ignoriert. Vielmehr wird der Bedarf offenbar hauptsächlich beim Grundschulrechnen und bei der Sek I verortet einschließlich Haupt- und Realschule.

Man fragt sich natürlich, wieso gerade bei den elementaren Dingen ein Nachholbedarf bestehen soll. Diese Paradoxie löst sich auf, wenn man unterstellt, dass es um Inhalte gar nicht gehen soll, sondern primär um das Konzept der "Kompetenzorientierung", um die "Heterogenität" sowie das "Bildungsmonitoring" und - last not least - die Auflösung des dreigliedrigen Schulsystems, indem alle Schulformen gleich behandelt und sozusagen "über einen Kamm geschoren" werden. Der neue Typus des "Gemeinschaftsschullehrers" zeichnet sich ab. Politische Forderungen nach der "einen Schule für alle" schimmern ganz dezent durch.

Etliche dieser Kurse dienen auch der Ausstellung von Zertifikaten für die Teilnehmer. Damit übernimmt das DZLM indirekt staatliche Aufgaben bei einem System der Beförderungen von Lehrern, und es geht nicht mehr primär um die Mathematik oder Mathematikdidaktik, sondern um eine Art von "Herrschaftswissen", vergleichbar der Parteidoktrin und dem Marxismus-Leninismus in der DDR.

Inzwischen pfeifen es die Spatzen von den Dächern,
dass in manchem Bundesland niemand mehr Schulleiter werden darf, der sich nicht auf die "Kompetenzorientierung" hat ausrichten lassen
durch eine Schulung. Über die Schulleitungen soll das dann allmählich von oben nach unten ganz durchgesetzt werden. Möglicherweise darf schon jetzt kein Referendar mehr eine feste Stelle
bekommen, der nicht die kompetenzorientierte Phraseologie im Munde führt. Die Mehrzahl der DZLM-Weiterbildungskurse geht genau in diese Richtung. Die sogenannte Stoffdidaktik bleibt außen vor. Warum die Telekom-Stiftung das gut findet und unterstützt, bleibt einigermaßen schleierhaft. In letzter Konsequenz betreibt man
am Ende eine Ausbildung von Mathematiklehrern ohne Mathematik.

FAZIT 2: Wenn es um die Behebung von (offensichtlich bestehenden) Defiziten bei
Studienanfängern der MINT-Fächer geht, braucht es andere Ideen und Konzepte, als das DZLM sie vertritt. Auch von der Fachdidaktik selbst war zu diesem Thema in letzter Zeit nicht viel zu hören.
Die Abspaltung der Schulmathematik von der Mathematik ist schon bedenklich weit fortgeschritten. Ein Umdenken wäre nötig, auf Neudeutsch: ein Paradigmenwechsel.

Wolfgang Kuehnel