Hallo an Alle,

ich denke, dass die Bildung uns sehr wichtig sein sollte und möchte gerne über den
jetzigen Stand in den deutschen (insbesondere den Berliner Schulen) diskutieren.
Ich hoffe, dass sich viele an dieser Diskussion beteiligen, da sich dann deutlich mehr Ideen ergeben.
Da ich nicht an einer deutschen Schule im engen Sinne war (Französisches Gymnasium Berlin), aber dennoch einiges mit Schülern aus anderen Schulen zu tun hatte (Nachhilfe, Freunde, Kommilitonen, ...), würde ich gerne über Vor- und Nachteile der verschiedenen Systeme reden.

Ich habe leider den starken Eindruck, das, zumindest in Berlin, die Unterrichtsstandards nicht helfen, Mathematik als attraktives Fach und wichtige Geisteswissenschaft darzustellen. Besonders in deutschen Schulen steht viel mehr das Rechnen als das denken im Mittelpunkt und die Schönheit der Mathematik, die einen großen Bestandteil ausmacht, wird kaum vermittelt. Schüler müssen viel mit gerundeten Ergebnissen rechnen und bekommen immer 'krumme' Ergebnisse als Antwort. Gerade diesen Aspekt umgehen französische Schule meiner Ansicht nach sehr elegant, indem sie sich mehr mit irrationalen Zahlen beschäftigen und die korrekte Darstellung unterstützen. Des Weiteren werden in Frankreich Aufgaben gestellt, bei denen das Ergebnis eine 'einfache', 'schöne' Zahl ist. Damit meine ich, dass einfache Brüche wie sqrt(3)/2 oder ganze Zahlen die Antwort sind. Somit ist das Ziel der französischen Schulen nicht das korrekte Benutzen eines Taschenrechners zu vermitteln (zumindest nicht ausschließlich), sondern die Methodik und den Weg zum Ergebnis zu würdigen und weiterzugeben. Besonders aufgefallen ist mir das zu Beginn meines Studium bei der folgenden Situation: Zu faktorisieren war der Ausdruck der Art x^2 - 144. Studenten aus deutschen Schulen haben dann die p-q-Formel angewandt, um die Nullstellen dieses Polynoms herauszufinden und dann zu faktorisieren. Zwar führt diese Methode zum Ergebnis, allerdings erschien und erscheint sie mir als sehr unelegant und lang. Viel kürzer und schöner ist es offensichtlich die dritte binomische Formel anzuwenden, die viele Studenten im ersten Semester bereits wieder vergessen haben. Auch wäre dazu die Kenntnis der Quadratzahlen bis 20 von Nöten. Darauf wird in deutschen Schulen allerdings verzichtet, da der Taschenrechner stets bereitsteht. Dieses Beispiel soll exemplarisch demonstrieren, dass das französische System einige Vorteile gegenüber dem deutschen hat.
Allerdings wäre es überzogen, zu sagen, dass das französische System fehlerfrei ist. Besonders zu kritisieren ist hierbei, dass das französische Schulsystem den Schülern glauben macht, dass man einen richtigen Weg gehen kann, der Probleme immer löst. Ich hatte hier den Eindruck, dass dies in deutschen Schulen lockerer angegangen wird und somit das eigenständige Denken der Schüler gefördert wird. Auch hier kann ich ein Beispiel aufzeigen, dass dies verdeutlicht. Die französischen Abiturprüfungen beinhalteten dieses Jahr Aufgaben, die absolut nicht über dem Niveau der Schüler lag. Anders als bei den Aufgaben während des Jahres, waren sie allerdings auf eine spezielle Art und Weise gestellt, die eine ähnliche aber nicht absolut gleiche Argumentation wie innerhalb des Jahres gefordert hätte. Die Folge war, dass der Durchschnitt dieser Prüfung bei einer 4- lag. Viele Schüler sind mit dieser winzigen Änderung nicht klargekommen und konnten die Fragen nicht beantworten.

Weitere Mängel können bei beiden Systemen weiterhin ausgeführt werden, aber ich verschiebe das auf die folgende Diskussion, da sonst dieser Beitrag viel zu lang wird. Um alle Mängel des deutschen Systems aufzuzeigen, fordere ich außerdem eine umfassende Studie durch die DMV, wie die DPG (Studien der DPG, Physik in der Schule) sie dieses Jahr veröffentlicht hat.

Meine persönliche Einschätzung ist somit, dass ein Mittel der beiden Systemen eine sinnvolle Mischung ergeben könnten und das eine gewisse Vereinheitlichung der verschiedenen Lehrplänen gefordert werden muss. Des Weiteren muss aufgezeigt werden, in welcher Hinsicht die Mathematik als Geisteswissenschaft gesehen werden kann und ebenfalls sehr mit der Philosophie verbunden ist. Insbesondere fordere ich eine stärkere Vermittlung des Konzepts Logik. Um auf die Wichtigkeit dieser Forderung hinzuweisen, muss man sich nur einmal verdeutlichen, wie wenig Menschen in der Praxis zwischen einer hinreichenden und einer notwendigen Bedingung unterscheiden können. Dabei ist dieses Wissen von großer Bedeutung, insbesondere im Mathematikstudium, wie auch in den Sprachwissenschaften und in der Philosophie. Auch muss den Schülern vermittelt werden, dass es eine Geschichte der Mathematik gibt, die auch einige Aspekte sehr gut veranschaulicht. Bis zu einer Einführung eines Philosophieunterrichtes in deutschen Schulen, ist all dies Pflicht des Mathematik- und Griechischunterrichts.

Ich hoffe, dass die Diskussion weitere Ideen (auch aus anderen Ländern!) einführt und somit vielleicht auf die Bitte nach einer Studie gehört wird.

J. Kern

Hallo!

Ich möchte zuerst sagen, dass ich mein Abitur an einem "normalen" städtischen Gymnasium in NRW absolviert habe, wo sich einige Dinge vermutlich anders darstellen als in Berlin.

An meiner Schule gab es sehr wohl einen Philosophiekurs, allerdings war dessen Inhalt weit entfernt von Fragen, wie sie sich Mathematiker stellen würden. Wie dem auch sei, ich möchte meine Meinung zum vorhergehenden Beitrag gerne beisteuern:

Aus vielen traurigen Erfahrungen ergibt sich für mich, dass unbestreitbar ist, wie falsch und zusammenhanglos die Schulmathematik in Deutschland dargestellt wird. Denn tatsächlich geht es fast nur darum, dem Taschenrechner die (vermeintlich) richtige Antwort zu entlocken, was sowohl den Sinn der Aufgaben, als auch die eigentliche Erkenntnis über den Sachverhalt und den Umgang mit diesem verkennt. Denn beispielsweise sind viele Schüler der Oberstufe (auch noch des Leistungskurses Mathematik mit, ich zitiere von meinem Abiturzeugnis, "erhöhtem Anforderungsniveau") nicht in der Lage, die Antwort "0,6666667" des Taschenrechners zu verstehen. Sie wird entweder stumpf abgeschrieben, dabei oft falsch gerundet, oder herumgefragt, wie das sein könne. Die einzig mögliche Antwort "Schreib doch einfach 2/3 hin..." verursachte üblicherweise noch mehr Verwirrung. Ein anderes Beispiel dafür, dass die Schüler die Mathematik nicht verstehen, weil sie mit Rechnen geichgesetzt ist, ist die Einstellung vieler, so etwas werde man doch nie wieder brauchen, oder gleich, niemand würde so etwas jemals brauchen. Auch hier spreche ich aus trauriger persönlicher Erfahrung.

Insofern wäre eine Studie mit Sicherheit hilfreich, um die Folgen des Problems zu erkennen und richtig darstellen zu können, aber sie wäre auch nur der erste Schritt zur Lösung des Problems. Meiner Meinung nach besteht das Kernproblem nämlich darin, dass den Schülern die Rechenwege und -operationen völlig zusammenhanglos und maximal zum Selbstzweck, der Lösung, beigebracht werden. Stattdessen sollten sie als Teil von Beweis- und Erkenntnisverfahren gelehrt werden, die wiederum die Mathematik ausmachen und dem ganzen nicht nur Sinn, sondern vielleicht sogar Reiz geben könnten.

Inwieweit dazu das französische System besser geeignet ist, fällt mir schwer zu beurteilen, weil ich es kaum kenne, aber es scheint schon sinnvoll, dass sich die Schüler bspw. mit Quadratzahlen auskennen sollten. Und, was meiner Meinung nach fast das Wichtigste von allem ist: Es muss viel mehr Wert auf richtige Schreib- und Ausdrucksweisen gelegt werden, da Mathematik Definitionsfrage ist und nicht Diskutier- oder In-den-Rechner-tippen-und-die-Antwort-nicht-verstehen-Sache.

Mit Hoffnung auf Beteiligung und eine bessere Zukunft für die Mathematik :)

A. Martin