Werner Fick ist seit über 25 Jahren Mathematik-, Physik- und Informatiklehrer am Gymnasium Königin-Katharina-Stift in Stuttgart und Leiter der LEGO-Roboter-AG an seiner Schule. Kürzlich wurde er mit dem Deutschen Lehrkräftepreis 2024 ausgezeichnet, für den seine Schüler*innen ihn nominiert haben. Neben seinem realitätsnahen, kreativen und organisierten Unterricht stellten die Schüler*innen sein außerordentliches Engagement als Lehrkraft, Coach, Mentor und Vertrauensperson heraus. Grund genug, den engagierten Lehrer zum DMV-Mathemacher des Monats zu küren.

Preisverleihung Deutscher Lehrkräftepreis – Unterricht innovativ 2024 am 31.03.2025 im AXICA Kongress- und Tagungszentrum in Berlin. Veranstalter: Deutscher Philologenverband und Heraeus Bildungsstiftung. Foto: Heraeus Bildungsstiftung Alle Infos: www.lehrkraeftepreis.deWerner Fick, DMV-Mathemacher der Monate Mai und Juni 2025. Foto: Heraeus Bildungsstiftung.

Bitte berichten Sie uns zunächst, wie Sie zu Ihrer Fächerkombination gekommen sind: Was gefällt Ihnen am meisten an diesen Fächern – und was am Lehrberuf?

Dass ich etwas mit Physik/Technik machen wollte, war in der Oberstufe relativ schnell klar. Da ich nicht in einem Labor landen wollte, habe ich mich für den Lehrerberuf entschieden – und da lag Mathematik einfach nahe.

Ihre Schüler*innen sind begeistert von Ihrem Unterricht und haben Freude an der Mitarbeit: Was zeichnet Ihren Unterricht aus, und welche Elemente sind Ihnen besonders wichtig?

Ich denke, ich kann einigermaßen gut erklären, was von den Schüler*innen in der Regel auch so rückgemeldet wird. Wenn es sich irgendwie anbietet, versuche ich die Mathematikinhalte mit dem täglichen Leben zu verknüpfen. Das funktioniert natürlich nicht bei jedem Thema, die Termumformungen beispielsweise muss man einfach üben.

An Ihrer Schule sind Sie bekannt dafür, Klausuren in Rekordzeit zu korrigieren – mögen Sie uns verraten, welche Strategien Sie nutzen, um dieses Tempo zu erreichen?

Das Tempo liegt einfach daran, dass ich die Klassenarbeiten von meinem Schreibtisch weghaben möchte. Außerdem ist eine Klassenarbeit so etwas wie eine Messung – und jede Messung muss hinterfragt werden. Und damit ich im Unterricht auf mögliche Mängel oder Fehlvorstellungen auch eingehen kann, sollte ich die Klassenarbeit relativ schnell zurückgeben. Ansonsten wären wir ja im Unterricht schon viele Stunden weiter und hätten das Thema unter Umständen bereits abgehakt, und dann würde sich mit der Rückgabe der Klassenarbeit herausstellen, dass bei den vergangenen Themen noch Schwierigkeiten bestehen.

Welche Ansätze nutzen Sie, um trotz unterschiedlicher Niveaus alle Schüler*innen mitzunehmen?

Wenn es sich einrichten lässt, lasse ich die Schüler*innen, die eine Aufgabe besonders gut durchdrungen haben, diese Aufgabe vorrechnen oder erklären. Sie können ihren Mitschüler*innen das Problem vielleicht auf etwas eingängigere Weise erklären, als ich es aus meiner Lehrerperspektive kann. Dabei wird den noch nicht so sicheren Lernenden weitergeholfen, und auch die Vortragenden profitieren, denn sie lernen dabei, präziser zu formulieren und ihre Argumentation zu schärfen.

Sie engagieren sich seit vielen Jahren als Leiter der Robotik-AG am Königin-Katharina-Stift Gymnasium. Wie strukturieren Sie typischerweise eine AG-Sitzung, und welche Fähigkeiten erwerben die Schüler*innen dabei?

In der AG arbeiten die Schüler*innen in der Regel sehr selbstständig und eigenverantwortlich. In der Unterstufe nehmen wir an der FIRST LEGO League (FLL) und der World Robot Olympiad (WRO) teil. Am Anfang erkläre ich die einzelnen zu lösenden Aufgaben, wir schauen den einen oder anderen Erklärfilm dazu an. Anschließend gehen wir mögliche Lösungsstrategien durch – und die Schüler*innen fangen an, ihren Roboter zu bauen. Ab da schaue ich mir jeweils an, wie der Roboter fährt und agiert, und gebe Tipps für Verbesserungen am Bau bzw. der Programmierung. Gelegentlich muss ich die Teams auch in längeren Gesprächen davon überzeugen, dass ein Umbau zwingend notwendig ist.

Ihre LEGO-Roboter-AG ist über die Jahre stetig gewachsen, Sie nehmen mit Ihren Roboter-Teams sehr erfolgreich an internationalen Wettbewerben teil. Wie erklären Sie sich das Wachstum, und was fasziniert die Jugendlichen an der Robotik-AG und an den Wettbewerben?

Den Jugendlichen gefällt es, dass sie hier selbstständig arbeiten, eigene Lösungswege suchen und gehen können. Es werden keine Noten vergeben, also gibt es auch keinen Notendruck. Die Aufgabe ist fest vorgegeben, aber die Lösung ist frei. Und da wir sehr viele Gruppen haben, können die Teams auch bei den anderen Teams abschauen, lernen, insbesondere auch von den größeren und erfahreneren Schüler*innen lernen, die ihre Kenntnisse gern mit den Jüngeren teilen. So entsteht eine Gemeinschaft über Klassen und Klassenstufen hinweg. Wenn die Schüler*innen älter sind, frühestens jedoch ab Klasse 8, können sie auch an der FIRST Tech Challenge (FTC) teilnehmen: Dabei wird ebenfalls ein Roboter gebaut und programmiert – dieser ist aber nicht mehr aus Lego, sondern aus jedem denkbaren Metall, außerdem größer, komplexer, und auch die zu lösenden Aufgaben sind schwieriger. Für die Vorbereitungen aller drei Wettbewerbe haben wir einen eigenen Raum, für den sich die Jugendlichen den Schlüssel aus dem Sekretariat holen und auch außerhalb der AG-Zeiten eigenverantwortlich an ihrem Roboter arbeiten und programmieren können. Das Selbstwertgefühl der Schüler*innen steigt ungemein, sobald sie die Erlaubnis haben, den Lego-Schlüssel zu holen.

Und was motiviert Sie, die AG und die Wettbewerbsteilnahmen mit solcher Kontinuität zu leiten und zu begleiten?

Man lernt die Schüler*innen von einer ganz anderen Seite kennen. Sie können hier Fähigkeiten einbringen, für die es im regulären Unterricht oft nicht die Möglichkeiten gibt. Ein Wettbewerbstag kann 10 bis 12 Stunden lang sein und ist für die Schüler*innen extrem anstrengend. Wenn man aber abends in die Augen der Jugendlichen schaut, die zufrieden mit ihrer Arbeit sind und mit Spaß den Tag verbracht haben, auch wenn sie nicht den ersten Platz gewonnen haben, dann weiß man, dass sich diese Anstrengung gelohnt hat. Zudem kommt von den AG-Teilnehmenden regelmäßig vor Ferien, vor dem Wochenende oder freien Tagen die Frage, ob sie trotzdem in die Schule kommen dürfen. Diese Frage hatte ich in den letzten 20 Jahren nicht einmal nach einer Mathe-Stunde, manchmal nach einer Physik-Stunde, wenn wir an einem praktischen Projekt arbeiten. Das zeigt, dass sich die Schüler*innen in der AG und ihrem Raum wohlfühlen und deshalb auch gerne in die Schule kommen.

 

sie die Physik einfacher macht.

 

Sie engagieren sich auch im Bereich Hochbegabung. Was macht für Sie eine gelungene Begabtenförderung aus, und welches konkrete Instrument oder Format hat sich in Ihrer Arbeit mit Hochbegabten als besonders wirksam erwiesen?

Im Wesentlichen fördere ich die hochbegabten Schüler*innen in meiner Robotik-AG. Auch die Wettbewerbe Jugend forscht, Explore Science, Informatik-Biber und den Jugendwettbewerb Informatik bewerbe ich in den Hochbegabtenklassen. Die Resonanz ist größer, wenn ich in der Klasse selber unterrichte.

Als Vertrauensperson unterstützen Sie Ihre Schüler*innen bei persönlichen Problemen, 2022 wurden Sie bei der FIRST Global Challenge als Outstanding Mentor ausgezeichnet. Wie verstehen Sie Ihre Rolle als Lehrkraft insbesondere im Hinblick auf die persönliche Begleitung der Jugendlichen?

Da gerade die sehr naturwissenschaftlich interessierten Schüler*innen in ihrem häuslichen Umfeld und zum Teil auch im Freundeskreis wenige bis gar keine Ansprechpersonen mit den gleichen Interessen haben, bin ich oft der einzige Ansprechpartner, mit dem sich die Jugendlichen dann auf Augenhöhe unterhalten können. Da kommen dann am Anfang eher allgemeine Fragen zur Quantenphysik, Astrophysik, Fragen zur Weltformel, … Mit den Jahren kommen manchmal auch privatere Fragen zu persönlichen Problemen auf. Mittlerweile hat es sich herumgesprochen, dass man „solche Probleme“ am ehesten mit Herrn Fick bereden kann. Für einzelne Schüler*innen bin ich dann tatsächlich im Laufe deren Schulzeit zur festen Bezugsperson geworden.

Was würden Sie jungen Kolleg*innen raten, die ähnlich viel Freude und Erfolg im Lehrberuf finden möchten wie Sie?

Erstens Freude und Interesse am Fach an sich. Dann den Wunsch und auch das Gespür dafür, Kindern, Jugendlichen, Schülerinnen und Schülern etwas Neues beibringen zu wollen. Schließlich muss man auch zugeben können, dass man etwas nicht weiß oder nicht kann, oder dass man einen Fehler gemacht hat (wobei der Unterricht natürlich nicht dauerhaft aus Fehlern bestehen sollte).

Die Fragen stellte Anna Maria Hengst vom Netzwerkbüro Schule–Hochschule der DMV.

Der promovierte Mathematiker Jörg Härterich von der Ruhr-Universität Bochum ist unser Mathemacher der Monate März und April 2025. Er bekam kürzlichen den Ars legendi-Fakultätenpreis im Fach Mathematik. Den Preis für „beste Lehre“ in Mathematik und Naturwissenschaften bekommen Wissenschaftler*innen, die sich durch herausragende, innovative und beispielgebende Leistungen in Lehre, Beratung und Betreuung ihrer Studierenden hervortun. Die Auszeichnung wird in den Kategorien Biologie, Chemie, Mathematik und Physik vergeben und ist mit je 5.000 Euro dotiert. Die Übergabe der Ars legendi-Fakultätenpreise erfolgt am Abend des 24. April 2025 in Berlin. Interessierte können sich anmelden per Mail an Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!. Details zum Programm gibt es hier (pdf).

Jörg Härterich lehrt Mathematik im Neben- und Hauptfach mit der Methode des „dosierten Prelearnings“. So sind die Studierenden schon zu Beginn jeder Vorlesung mit dem Stoff der Stunde vertraut. In der Präsenzphase ist dann Zeit für ein "warm-up" in Form eines Quiz und für weitere Elemente aktiven Lernens. Wir stellten dem frisch gebackenen Preisträger ein paar Fragen zu seinem Werdegang und seinem Ansatz für zeitgemäße Lehre.

Joêrg Haêrterich 03 25Jörg Härterich. Foto: Corina Minzlaff.

Wie haben Sie als junger Mensch zur Mathematik gefunden?

Mein Einstieg war über Mathematikwettbewerbe wie den Bundeswettbewerb Mathematik und die damit verbundenen Schüler*innenseminare, die in Baden-Württemberg für die Preisträger*innen angeboten wurden. Die Knobelaufgaben aus dem Bundeswettbewerb haben mich auf spannende Art an das mathematische Argumentieren und Beweisen herangeführt und in den Seminaren konnte man erleben, dass auch andere dieselbe Begeisterung dafür haben.

Wer oder was hat Sie im Laufe Ihres Werdegangs gefördert und motiviert?

Als Doktorand in Berlin habe ich in der Arbeitsgruppe viele positive Impulse bekommen. Dort war zu erleben, wie neue mathematische Resultate entstehen und wie mein Doktorvater immer wieder unerwartete Zusammenhänge zwischen verschiedenen Problemen aufzeigen konnte. Viele internationale Gäste kamen zu Vorträgen nach Berlin und waren dann für Fragen ansprechbar.

Was bedeutete das für Ihre Lehrtätigkeit?

Ein ungemein wichtiger Einfluss war später dann das Bündnis Lehreⁿ für Hochschullehre, das 2013 mit seinem Kolleg „Mathematik in der Ingenieurausbildung“ Kolleg*innen von der Ruhr-Universität Bochum und von fünf weiteren Hochschulen zum Austausch über den Transfer von Studienreformprojekten zusammenbrachte. Hier bin ich mir erst so richtig über meine Grundvorstellungen zur Servicelehre in der Mathematik klargeworden. Die Prinzipien Aktives Lernen, Kontakt zu Studierenden, Arbeit mit gut ausgebildeten Tutor*innen und zeitnahe Rückmeldung zum Lernerfolg sind bis heute Leitlinien für mich geblieben.

Seit 2018 gibt es an der Ruhr-Universität außerdem das HDM@RUB - Zentrum für Hochschuldidaktik Mathematik, das regelmäßig Veranstaltungen für Lehrende organisiert und so einen Austausch der Lehrenden untereinander zu aktuellen Themen fördert.

 

sie uns immer wieder einen neuen Blick auf bekannte Dinge erlaubt.

 

Was benötigen Studierende heutzutage um motiviert und nachhaltig Mathematik zu lernen?

Da hat sich in den letzten Jahrzehnten gar nicht so viel verändert: Studierende werden nur Spaß am Mathematikstudium haben, wenn sie sich auf die Fachkultur einlassen können. Dazu gehören der präzise Umgang mit Begriffen und die Freude an sauberen Argumentationen. Darüber hinaus benötigen sie eine gewisse Hartnäckigkeit, denn bei Übungsaufgaben muss man auch mal einige Umwege und Irrwege gehen, bis man eine richtige Lösung gefunden hat. Ich empfehle auch, keine Scheu vor Computern und Programmieren zu haben. Damit kann man sich an vielen Stellen Mathematik experimentell veranschaulichen.

Was verstehen Sie unter „dosiertem Prelearning“?

Ein bestimmter Aspekt der nächsten Vorlesung, z.B. ein schwieriger Begriff oder ein zentraler Satz, wird in einer kleinen Lektion von den Studierenden vorbereitet. Konkret könnte das der Begriff „Teilfolge“ oder der Mittelwertsatz sein. Mit Auszügen aus dem Skript, zusätzlichen Beispielen und Selbstkontrollfragen können die Studierenden sich dann mit diesem Thema im eigenen Tempo vertraut machen. Auf diese Weise möchte ich Situationen vermeiden, bei denen mit Begriffen argumentiert wird, die erst 30 Sekunden vorher definiert wurden und von denen viele Studierenden noch überhaupt keine klare Vorstellung haben.

Und wie sehen dann Ihre Präsenzveranstaltungen aus?

Wir beginnen meistens mit einem kleinen Warm-up Quiz, um wieder ins Thema zu kommen. Dabei kann ich gleich sehen, ob der Inhalt aus dem Prelearning gut verstanden wurde oder ob ich auf bestimmte Dinge noch einmal eingehen muss. Danach beginnt dann eine „normale“ Vorlesung, die ich aber möglichst an 2-3 Stellen unterbreche, um den Studierenden Gelegenheit zu geben, ein kleines Beispiel selbst auszuarbeiten oder über eine Frage zu diskutieren. Dabei gehe ich durch den Hörsaal und lasse mir von einzelnen Gruppen kurz ihre Überlegungen erklären, bevor wir dann gemeinsam Lösungen besprechen und noch offene Fragen klären.

MZ-RUB-HärterichJörg Härterich. Foto: Stig Bursche.

Wie muss sich die Lehre im Fach Mathematik  verändern, damit wieder mehr Menschen Freude am Studium der Mathematik haben?

In Mathematik, genau wie in vielen anderen Fächern, müssen die Hochschulen Wege finden, um Präsenzveranstaltungen für die Studierenden attraktiver zu machen als Vorlesungsvideos und Youtube-Tutorials. Speziell in Mathematik geht es auch darum, nicht schon im ersten Semester viele Studierende wieder zu verlieren. Vielleicht müssen wir am Anfang des Studiums mehr Angebote machen, in denen es weniger um konkrete mathematische Inhalte geht sondern mehr um die grundsätzlichen Herangehensweisen und Techniken. Im besten Fall finden Studierende dadurch Spaß daran, Probleme mit einer überzeugenden Argumentation zu lösen.      

Was würden Sie einem jungen Menschen heute raten, der Interesse an einem Mathematik-Studium hat?

Man sollte nicht zu schnell aufgeben. Der „Kulturschock“ beim Übergang von der Schule zur Hochschule ist nicht zu verleugnen, aber ich kenne genügend Beispiele von Studierenden, die am Anfang sehr gekämpft haben, aber später sowohl Freude als auch Erfolg im Mathematikstudium hatten. Etwas, das auch viel zu selten gesagt wird: Das Studium wird nicht von Semester zu Semester schwieriger, im Gegenteil: ist man erst einmal mit den Grundlagen vertraut, dann fällt vieles sogar leichter und durch Wahlmöglichkeiten kann man verstärkt die Dinge lernen, die einem besonders gut liegen. Vielleicht sollte man das auch klarer kommunizieren.

Sie spielen seit vielen Jahren Trompete. Sehen Sie zwischen Mathematik und Musik Parallelen?

Ich bin mir nicht sicher, ob es da einen engen Zusammenhang gibt, aber in beiden Bereichen versucht man, Dinge zu strukturieren und dadurch verständlicher zu machen.

Informationen zu allen Preisträger*innen des Jahres 2025 gibt es hier.

Lars Menrath arbeitet bis Ende Januar 2025 als Mathematik- und Informatiklehrer an der Gaußschule in Braunschweig und ab Februar an der Michelsenschule in Hildesheim. Zusammen mit seinem Team erhielt er den
1. Preis beim Deutschen Lehrkräftepreis 2022 in der Kategorie „Unterricht innovativ“. Ausgezeichnet wurde Lars Menrath für sein MINT-Projekt „Game Based Learning“: ein 3D-Computerlernspiel, das von Lehrkräften und Schüler*innen der Gaußschule mit dem Ziel entwickelt wurde, Schüler*innen interaktiv zu unterrichten und für die MINT-Fächer zu begeistern. Lars Menrath wurde von Anna Maria Hengst aus dem DMV-Netzwerkbüro interviewt.

Wie sind Sie dazu gekommen, Mathematik und Informatik zu unterrichten, und was fasziniert Sie an diesen Fächern und dem Lehrberuf?

Während meiner Promotion in der mathematischen Physik überlegte ich mir, wie ich mir meinen weiteren beruflichen Werdegang vorstelle – und da mir die Lehre während meiner Promotionsphase immer sehr viel Freude bereitete, entschied ich mich als Quereinsteiger in den Lehrberuf zu wechseln. Die Mathematik, wie auch ihre Vermittlung sind für mich Herzensangelegenheiten. Ich denke, dass Schüler*innen heute auch sehr viel Interesse an Mathematik zeigen, insbesondere dann, wenn man während des Unterrichtes aufzeigt, welchen Spaß man daran haben kann. Das ist meiner Meinung nach auch das Faszinierende an dem Lehrberuf: Wir Lehrkräfte können die Schüler*innen mit Hilfe unserer Interessen und unserem Spaß für ein Fach motivieren und ihnen etwas beibringen.

Lars Menrath IMG 5660Lars Menrath. Foto: Jasmina Steege.

Können Sie uns einen Überblick über Ihr MINT-Projekt geben: Was ist „Game Based Learning“, wie funktioniert das Projekt, und für welche Klassenstufen eignet es sich?

„Game Based Learning“ ist ein Schülerprojekt, bei dem Schüler*innen des 12. und 13. Jahrganges in Form eines Seminarfaches gemeinsam mit den Lehrkräften ein Fächer übergreifendes 3D-Computerlernspiel entwickeln. Das Spiel ähnelt einem Escape-Spiel, bei dem die Schüler*innen Aufgaben aus den MINT-Fächern Biologie, Chemie, Physik, Mathematik und Informatik lösen müssen. Dabei sind die Schüler*innen dafür verantwortlich für jedes Fach eine Story für die jeweilige Welt zu entwickeln, die Welten selbst zu erstellen und – mit Hilfe der Lehrkräfte – in diese curricular passende Aufgaben einzubinden. Anschließend wird das Spiel dann im Rahmen einer Projektwoche in allen MINT-Fächern des 11. Jahrgangs gespielt. Theoretisch ist es aber auch möglich, es mit jüngeren Schüler*innen zu erstellen und zu spielen.

Wie kamen Sie auf die Idee für das Projekt „Game Based Learning“, und wie haben die Schüler*innen darauf reagiert?

Als Schüler habe ich früher das Spiel “Rayman – Lesen und Rechnen” gespielt, das in Zusammenarbeit mit Wissenschaftler*innen und Lehrkräften entwickelt wurde. Das fand ich als Zehnjähriger cool und hatte immer gehofft, dass dieser Ansatz Verbreitung findet. Dazu ist es jedoch leider nie gekommen. In meiner Jugend, im Studium und während meiner Promotion war das Schulfach Mathematik medial stets präsent und ich fragte mich immer wieder, weshalb dieser für mich offensichtliche Ansatz nicht weiter verfolgt wird. Als ich mich dann für den Lehrberuf entschied, erstellte ich für einen Verbeamtungsbesuch ein kleines Spiel, in dem die Schüler*innen Aufgaben für den Unterricht bewältigen mussten. Mein Schulleiter war davon sehr begeistert und regte nach dem Besuch an, dass wir so ein Spiel doch auch mal mit Schüler*innen gemeinsam erstellen könnten. Für mich bedeutete das, dass ich die Gelegenheit bekam, mich im Bereich der Entwicklung eines kleinen Lernspiels (Serious Games) auszutoben.

Wie ist es Ihnen gelungen, das Projekt in den Unterricht gemäß Lehrplan zu integrieren?

Da ich immer die Unterstützung meines Schulleiters erhielt, wurde mir ermöglicht ein Seminarfach anzubieten, bei dem das Projekt (weiter-)entwickelt wird. Ferner wurde auch die Möglichkeit geboten, dass das Spiel im 11. Jahrgang gespielt werden konnte. Das bedeutet aber auch, dass es von Anfang an das Ziel war, das Lernspiel so zu gestalten, dass es in den Unterricht eingebunden werden kann – sozusagen von der Theorie in die Praxis führt. Das bedingte einerseits viele Abstimmungen und anregende Diskussionen innerhalb der Fachgruppen, wie die curricular angebundenen Aufgaben aussehen müssen, und andererseits auch Erfahrungen zu sammeln, wie junge Menschen an ein Computerspiel herangehen, auch wenn sie noch nie ein Computerspiel gespielt haben. Die curriculare Anbindung hatte hierbei für uns oberste Priorität, um den unterrichtlichen Einsatz zu rechtfertigen.

Welche Fähigkeiten erwerben die Schüler*innen neben Kompetenzen in den jeweiligen MINT-Fächern?

Sie lernen die bei der Entwicklung eines Spiels unabdingbaren Prozesse kennen. Dazu zählen das Entwickeln und Designen von 3D-Objekten und Spielwelten, Programmieren, strukturiertes und logisch korrektes Arbeiten, Testen, Kommunikation untereinander, die Zusammenarbeit im Team und vieles mehr. Sie realisieren auch, dass ein Produkt, wie unser Lernspiel, nicht nur zu 80-90% entwickelt werden kann, sondern dass es notwendig ist, 99+% zu erreichen. Wenn mehr als 100 Schüler*innen dieses Spiel über insgesamt 10 Stunden spielen, rächt sich jeder noch so kleine Fehler. Dies wiederum führt auch dazu, dass die Schüler*innen ein Bewusstsein für präzises Arbeiten und Fehlerfreiheit gewinnen, also etwas, das in der Mathematik von sehr großer Bedeutung ist. Darüber hinaus lernen sie auch die andere Seite des Unterrichts kennen, also wie müssen Aufgaben gestellt sein, damit sie sinnvoll sind, warum macht es Sinn gewisse mathematische Inhalte in der Schule zu vermitteln etc.? Die Schüler*innen entwickeln so ein Bewusstsein für die Tätigkeit des Lehrberufes; und auch Aufgabenstellungen, die vielleicht realitätsfern gewirkt haben, sind es vielleicht auf einmal gar nicht mehr so sehr, wenn sie in einem Spiel in einem Fantasy-/Science-Fiction-Kontext auftauchen.

Und welche Kompetenzen benötigen Lehrkräfte, um „Game Based Learning“ erfolgreich umzusetzen?

Die Lehrkräfte müssen vor allem die Motivation und den Charakter haben, mit den Schüler*innen auf Augenhöhe zusammen zu arbeiten und zu akzeptieren und einzugestehen, wenn Schüler*innen etwas besser können. Schüler*innen haben zumeist viel mehr Spielerfahrung als Erwachsene und dieses Know-how sollten Lehrkräfte in diesem Kontext nutzen. Des Weiteren sollten sie sich selbst mit der dafür notwendigen Hard- und Software auseinandersetzen, ein digitaler Baukasten wird gestellt. Aber ein gewisses Maß an technischem Basiswissen sollte schon vorhanden sein. Und das ein oder andere Computerspiel mal gespielt zu haben, schadet auch nicht. Alles andere kann man sich gemeinsam mit den Schüler*innen erarbeiten.

 

Mathematik nachhaltige Innovation bedeutet!

 

Profitieren auch Schüler*innen von diesem Ansatz, die weniger MINT-affin sind? Welche Vorteile und Herausforderungen sehen Sie allgemein beim Einsatz von „Game Based Learning“ in den MINT-Fächern?

Vor allem weniger MINT-affine Schüler*innen profitieren ganz klar davon. Wenn es mit einem Lernspiel gelingt, dass Schüler*innen ihre Freizeit mit spannenden Tätigkeiten in Form von MINT-Aufgaben in einer Spiele-Umgebung verbringen, dann ist das ein klarer Fortschritt. Denn die Schüler*innen verbessern dabei ja nicht nur eine Spielfigur um Fähigkeiten, sondern sie erweitern ihre eigenen MINT-Kompetenzen um neue MINT-Inhalte. Wenn sich diese Art des Lehrens und Lernens ausbreitet, würde dies m.E. eine deutliche Verbesserung der MINT-Fähigkeiten unserer Schüler*innen bringen. Schüler*innen können sich heute genauso wie früher ohne Probleme viele Stunden am Stück konzentrieren; dies ist bspw. der Fall, wenn sie sich für ein gutes Computerspiel begeistern. Was wäre, wenn uns das für die Mathematik und alle anderen MINT-Fächer gelänge, welch einen Sprung würde die Entwicklung unserer Schüler*innen dann machen?! Unser Lernspiel ist weit entfernt von einem professionellen AAA-Spiel; wenn man allerdings sieht, wie intensiv die Schüler*innen sich mit den Aufgaben und dem Spiel auseinandersetzen, bin ich jedes Mal restlos begeistert.

Welche langfristigen Ziele verfolgen Sie mit Ihrem Projekt, und wie geht es für „Game Based Learning“ jetzt weiter? Können auch Schüler*innen und Lehrkräfte außerhalb der Gaußschule damit lehren und lernen?

Wir haben, sozusagen als Spin-Off, ein kleines VR-Lernspiel erstellt, welches wir auf der IdeenExpo 2024 im Rahmen des Ideenfang-Wettbewerbes der Stiftung Niedersachsenmetall präsentieren durften. Es handelt von der Gaußschen Summenformel, die man mithilfe eines Escape-Spiels und einer KI entdecken und verstehen sollte. Außerhalb der Gaußschule haben diese Spiele noch keine Anwendung gefunden, allerdings werde ich im Februar an die Michelsenschule in Hildesheim wechseln, wo wir bereits für die Projekttage im Sommer planen, ein kleines Jump & Run-Mathe-Lernspiel zu entwickeln. Ich freue mich bereits sehr darauf, weil wir dann auch Lernumgebungen speziell für iPads und Schüler*innen ab Jahrgangsstufe 7 entwickeln. Das erhöht den Nutzerkreis deutlich, weil wir bisher auf Windows-Geräte eingeschränkt waren und sich das Projekt bisher nur an Schüler*innen der Oberstufe richtete. Zudem bieten wir so den Schüler*innen die Möglichkeit, das Lernspiel auch mit dem eigenen Tablet zu Hause zu spielen. Auch habe ich mit einem Schüler zusammen unsere Erfahrungen und Erkenntnisse bei einem Workshop auf der digiMINT 2024 im phaeno Science Center in Wolfsburg vorgestellt und sie so interessierten Lehrkräften zugänglich gemacht.

Was würden Sie Lehrkräften empfehlen, die „Game Based Learning“ in ihren Unterricht integrieren möchten?

Versuchen Sie es einfach! Ihre Schüler*innen werden Freude daran haben und Sie unterstützen – sowohl bei der Entwicklung als auch bei der Durchführung.

Möchten Sie darüber hinaus noch etwas mitteilen?

Ich möchte mich ganz herzlich bei allen Kolleg*innen und Schüler*innen für die Projekt-Unterstützung bedanken. Einen besonderen Dank möchte ich auch der Heraeus Bildungsstiftung und der Deutschen Mathematiker-Vereinigung aussprechen, die es mir ermöglichen, wie bspw. in diesem Interview, über die Entwicklung unterrichtlicher Konzepte zu diskutieren und diese Ideen zu teilen.

Unsere Mathemacherin der Monate November und Dezember 2024 ist Johanna Pirker. Die junge Professorin (Jahrgang 1988) der Angewandten Informatik ist am Institut für Interaktive Systeme und Datenwissenschaft der Technischen Universität Graz beheimatet; zuvor mit Stationen am MIT, der ETH und der LMU. In Graz leitet sie die Forschungsgruppe „Game Lab Graz“, ihre Forschungstätigkeit reicht von Informationssystemen im Allgemeinen bis hin zu Datenanalyse , Künstlicher Intelligenz und virtueller Realität im Speziellen. Als solche ist die engagierte Professorin regelmäßig auf Fachtagungen und einschlägigen Publikumsveranstaltungen zu Gast, wie z. b. auf der Gamescom. Eines ihrer spannenden Anwendungsbeispiele ist Wissenschaftskommunikation im Gaming-Format. Im Jahr 2018 landete sie auf der Forbes-Liste unter den „30 interessantesten Personen unter 30“.

jp picJohanna Pirker. Foto: Matthias Rauch/Github.

Mathematik liegt Ihrer Wissenschaft ja zu Grunde. Wie kommt es, dass Sie sich schon als Kind oder Jugendliche für Mathematik und Informatik interessiert haben?

Ein früher und offener Zugang, Neugier und keine Angst vor Fehlern – das waren entscheidende Faktoren. Eine meiner frühesten Erinnerungen ist, wie ich an der DOS-Maschine meines Vaters saß, vermutlich mit etwa drei Jahren. Zwar konnte ich noch nicht richtig lesen oder schreiben, aber ich wusste bereits, was ich in die Kommandozeile eintippen musste, um mein Lieblingsspiel Prince of Persia zu starten. Mein Interesse galt damals weniger explizit der Mathematik oder Informatik, sondern vielmehr der Faszination für virtuelle Welten und Räume und der Frage, wie diese entstehen. Dass ich später einmal solche Welten mit Mathematik und Informatik selbst erschaffen könnte, hätte ich nicht mal zu träumen gewagt.

Was hat sie dann zum Studium der Informatik geführt? Hatten Sie damals schon ein ganz bestimmtes Ziel vor Augen?

Ein konkretes Ziel hatte ich überhaupt nicht, geschweige denn das Ziel, irgendwann Professorin für Informatik mit Schwerpunkt auf Computerspielen zu werden – das konnte ich mir damals gar nicht vorstellen. Ich glaube, wir stellen jungen Menschen oft die falschen Fragen. Statt zu fragen, "Was willst du werden?", sollten wir eher fragen, "Was kannst du gut? Was macht dir Spaß?" Bei mir wären das Dinge gewesen wie Rätsel lösen, Probleme erforschen, Welten erschaffen, Sachen basteln. Diese Interessen haben mich letztlich zur Informatikforschung geführt.

Dabei war das Studium der Informatik ein reiner Glückstreffer. Ich wusse lange nicht was ich studieren möchte. Optionen waren damals Psychologie, Pharmazie, eventuell Musik. Informatik war dann  eine etwas spontane Entscheidung. Dabei hatte ich schon Jahre zuvor Interesse an Informatik gezeigt und ohne Vorbildung angefangen, kleine Programme oder Homepages zu basteln. Die meisten in meinem Umfeld wussten aber nicht wirklich, was Informatik überhaupt ist, oder was mich dort erwarten würde, und viele (auch Lehrer) hatten mir sogar abgeraten. Ich bin also ziemlich verunsichert und eigentlich ängstlich ins Studium gegangen und war schnell absolut überrascht, wie bunt und vielfältig die Informatik tatsächlich ist. Und fast ein bisschen wütend, wie wenig Menschen über die Informatik wussten. 

Die Informatik hat sich in den letzten Jahrzehnten ja sehr dynamisch entwickelt. Was waren anfangs und was sind heute für sie die spannendsten Teilgebiete?

Natürlich muss ich „alles“ sagen. Ich finde es auch unglaublich spannend, was meine Kolleg*innen in verschiedenen Bereichen wie Kryptographie, Cybersecurity oder Algorithmik leisten. Besonders faszinieren mich die Bereiche der KI und der Computergrafik und die enormen Fortschritte, die hier in den letzten Jahren gemacht wurden – vor allem, wenn man sieht, in welchen Bereichen die theoretischen Beiträge der Forschung schließlich Anwendung finden. Mich begeistert auch besonders die Forschung, die die Schnittstellen zwischen Informatik und anderen Disziplinen betrifft; zum Beispiel, wie KI und maschinelles Lernen zur Lösung von Problemen in der Medizin, in der Bildung oder im Klimaschutz beitragen können.

Bitte geben Sie uns dafür ein bis zwei praktische Beispiele.

Innovationen in der Computergrafik sehen wir in vielen Bereichen – sehr sichtbar natürlich in Videospielen, aber auch im Kino. Spannend ist zum Beispiel, dass der Informatiker Edwin Catmull sogar einen Oscar für seine Beiträge zur Filmindustrie erhalten hat. Besonders präsent ist derzeit natürlich alles rund um das Thema KI. Es ist inspirierend und motivierend zu sehen, dass nun auch Nobelpreise an Informatiker*innen vergeben werden. Für mich war es besonders spannend zu erleben, dass ein ehemaliger Spieleentwickler wie Demis Hassabis den Nobelpreis für Chemie erhalten hat. Ich denke, an beiden Beispielen wird deutlich, dass Informatik eine immense Relevanz für unterschiedlichste Bereiche hat und dass inter- und transdisziplinäre Forschung von großer Bedeutung ist.

Wissenschaftskommunikation im Gaming-Format ist noch ein sehr neuer Ansatz. Wie soll das funktionieren und was ist das Ziel?

Leider wächst die Wissenschaftsskepsis, und die Kluft zwischen Wissenschaft und Gesellschaft wird immer größer. Auch erreichen wir unterschiedliche Gruppen durch unterschiedliche Medien. Deshalb müssen wir Wege finden, wissenschaftliche Themen auf spannende und zugängliche Weise zu vermitteln.

Gaming-Technologien bieten hier spannende Möglichkeiten, komplexe Inhalte auf neue, motivierende und inspirierende Weise zu erklären. Das kann natürlich in Form eines gut gestalteten Spiels geschehen, das spannende Aufgaben bietet und so verschiedene Themen interaktiver und motivierender vermittelt. Gaming-Formate bieten die Möglichkeit, die Neugier zu wecken, spielerisch Wissen zu vermitteln und gleichzeitig für Forschungsfragen zu begeistern. So wird Wissenschaft zugänglicher und erlebbarer. Aber es geht auch um die Welt rund um Games – etwa Plattformen wie Twitch, die hauptsächlich im Gaming-Kontext bekannt sind. Auch solche Orte bieten einen spannenden neuen virtuellen Raum, um Wissen auszutauschen und andere Zielgruppen für wissenschaftliche Themen zu begeistern.

 

sie eine universelle Sprache ist, die es uns ermöglicht, komplexe Ideen und sogar ganze – auch virtuelle – Welten darzustellen und zu formulieren.

 

Sie machen sich auch für Frauen in MINT-Fächern stark. Was ist hierfür ihre Motivation und wie wollen Sie junge Frauen für MINT-Fächer gewinnen?

Wir brauchen vielfältige Perspektiven und Ideen – und auf jeden Fall mehr Unterstützung. Ich selbst hatte kaum weibliche Vortragende in meinem Fachbereich. Da fehlt oft die Motivation und das Gefühl, einmal sagen zu können: „Wow, das könnte ich ja auch machen.“ Wenn man an Informatiker*innen denkt, haben viele leider immer noch das Bild des klassischen jungen Mannes vor einem schwarzen Bildschirm mit grünem Code im Kopf. Es ist dringend notwendig, mit diesen Vorurteilen aufzuräumen, und Vorbilder können dabei eine große Hilfe sein. Außerdem müssen wir zeigen, was MINT-Fächer wirklich sind und in welch vielfältigen Bereichen wir damit arbeiten und die Welt ein Stück besser machen können.

Was sagen Sie ihnen und wie können Computerspiele dabei helfen?

Computerspiele sind für mich ein extrem sichtbares Beispiel dafür, wie vielfältig, bunt und mächtig die Informatik ist. Ich wollte immer kreativ arbeiten, war aber nie besonders talentiert im Zeichnen oder Schreiben. Doch mit Coding kann ich die Welten, die in meinem Kopf entstehen, anderen visuell und sogar interaktiv zugänglich machen. Andere können so in meinen Gedanken spazieren gehen und mit ihnen interagieren. Das Schöne an der Spieleentwicklung ist auch, dass sie zeigt, wie vielfältig die Teams dahinter sein können. Wenn man an ein Videospiel denkt, sieht man schnell, dass da nicht nur Informatik-Innovationen drin stecken, sondern auch Musiker*innen, Künsterler*innen oder Storyteller daran mitgearbeitet haben. Das macht einfach Spass in so diversen Teams zu arbeiten. 

Was würde sich ändern, wenn wir mehr Frauen in MINT-Fächern hätten?

Abgesehen von der Thematik des Fachkräftemangels? Je mehr vielfältige Köpfe mit unterschiedlichen Perspektiven sich Gedanken über Problemstellungen machen, desto spannendere und vielfältigere Innovationen, Anwendungen und Lösungen werden wir sehen. Das ist entscheidend für Fortschritt in Forschung, Wirtschaft und vor allem in der Gesellschaft. Eine stärkere Präsenz von Frauen in MINT-Berufen trägt außerdem zu inklusiveren Arbeitsumgebungen und Unternehmenskulturen bei.

Dann noch ein kurzer Blick in die Zukunft: was werden künftig die zentralen Aufgaben und Anwendungen der Informatik sein?

Dass die Informatik in alle Bereiche eindringt bzw. bereits eingedrungen ist und eine wichtige Rolle dabei spielt, diverse globale Herausforderungen zu bewältigen, sehen wir schon heute. Ich denke, es wäre wünschenswert, nicht mehr klassisch nur in einzelnen Fachdisziplinen zu denken. Wir sehen bereits, wie vielseitig und bedeutsam die Beiträge der Informatik durch interdisziplinäres Arbeiten und Forschen in verschiedenen Fachbereichen sein können. Die zentrale Aufgabe wird es sein, Informatik so zu gestalten, dass sie für die Gesellschaft als Ganzes nutzbringend und nachhaltig wirkt.

Und welche Rolle spielt Mathematik dabei?

Durch Mathematik können wir abstrakte Konzepte präzise ausdrücken und Modelle schaffen, die uns helfen, die reale Welt besser zu verstehen und neue Welten zu gestalten. Sie schafft es Kreativität und Logik zu verbinden. Und sie hilft, dass meine Computerspiele laufen…(lacht)

Christiane Klein hat an der Universität Heidelberg Physik studiert und wurde danach (2024) am Institut für Theoretische Physik in Leipzig zum Thema „Freie Quantenfeldtheorien im Inneren von Schwarzen Löchern"  promoviert. Das ging nicht ohne herausragende Mathematik-Kenntnisse, was ein Grund dafür ist, dass wir sie als Mathemacherin des Monats ehren. Ein weiterer Grund ist, dass Christiane Klein versucht anderen Menschen ihre anspruchsvollen Forschungsthemen zu erklären, was ihr kürzlich den Klartext-Preis für Wissenschaftskommunikation der Klaus Tschira Stiftung eingebracht hat, der ihr im Oktober in Heidelberg überreicht werden wurde. Lesen Sie nun, wie Christiane Klein ihre Leidenschaft für die „harten Fächer" Mathematik und Physik entdeckt hat.

Um Physik zu studieren und auf dem Gebiet der theoretischen Physik zu forschen muss man Mathe mögen. Wie haben Sie als junger Mensch den Weg in die Mathematik gefunden?

Mathematik lag mir schon als Schulfach, und als ich mich zum Physikstudium entschieden habe, hatten wir da viel Mathe im Grundstudium. Es hat mir Spaß gemacht, mit meinen Kommiliton*innen zusammen die Beweise für unsere Übungszettel auszuarbeiten. Das hat bis heute gehalten.

christiane kleinChristiane Klein. Foto: Annette Mueck/Klaus Tschira Stiftung.

Und wie ging es dann in die theoretische Physik, speziell in die Quantenfeldtheorie?

Ich hab‘ mich schon in der Schule für Teilchenphysik interessiert. Ich fand es spannend erklären zu können, aus was Materie besteht, wie sie funktioniert, was sie zusammenhält. Im Studium ist mir dann relativ schnell klar geworden, dass mir die theoretische Seite der Physik mehr liegt. Beides kombiniert führt dann zur Quantenfeldtheorie, die theoretische Grundlage der modernen Teilchenphysik. Während der Masterarbeit ist mir dann immer mehr klar geworden, dass ich gerne noch besser verstehen würde, wie genau diese Theorie mathematisch funktioniert. So bin ich in die mathematische Physik gekommen.

Was besagt die Quantenfeldtheorie und inwiefern hilft sie schwarze Löcher zu erklären? Wenn Sie das bitte kurz erklären könnten.

Schwarze Löcher an sich kommen ohne Quantenfeldtheorie aus. Aber wenn man verstehen möchte, wie sie mit Materie wechselwirken, kommt die Quantenfeldtheorie ins Spiel. Normalerweise benötigt man sie nur, wenn man Materie bei hoher Energie oder auf kleinen Längenskalen beschreiben möchte. Und offenbar auch, wenn man die Wechselwirkung von Materie mit Schwarzen Löchern verstehen möchte.  Mit Quantenfeldtheorie kann man dann zum Beispiel erklären, wie Schwarze Löcher verdampfen, also ihre Masse verlieren können. Sie halten also nicht für immer, sondern verschwinden mit der Zeit.

Schwarze Löcher verdampfen?

Ja, indem sie Teilchen abstrahlen. Anhand dieser Strahlung kann man ihnen, ähnlich wie der Sonne oder einem heißen Topf, eine Temperatur zuordnen. Je größer und massereicher, desto kälter ist das schwarze Loch und desto langsamer verliert es seine Masse. Je leichter es wird, desto mehr heizt es sich auf und desto schneller wird der Prozess. Allerdings sind die Schwarzen Löcher, die wir kennen, so groß, dass ihre Temperatur sehr klein und die Strahlung sehr schwach ist. Daher konnte der Effekt bisher nicht beobachtet werden.

 

die Naturwissenschaften nur mit ihr Theorien formulieren können, die genaue Vorhersagen machen.

 

Mathematik und Physik sind ja von Männern dominierte Fächer. Wie fühlt man sich da als Frau?

Besonders in der mathematischen Physik sind die Frauen deutlich in der Unterzahl. Hauptsächlich fällt mir das bei Konferenzen auf. Mir persönlich macht es nicht viel aus, ich finde es hauptsächlich schade, dass anscheinend immer noch viele Frauen abgeschreckt werden, oder die Schule und die Uni es nicht schaffen, sie für das Thema zu begeistern.

Hatten Sie in Ihrem Umfeld eine Physik-Professorin als Vorbild?

Nicht wirklich. Die erste Physik-Professorin habe ich im Studium kennen gelernt, als sie eine meiner Vorlesungen hielt.

Wie haben Sie es geschafft sich in dem Umfeld, in dem ja auch der Aufstieg schwierig ist, für einen Weg in die Forschung zu motivieren?

Forschung ist spannend. An verschiedenen Fragestellungen und mit verschiedenen Kolleg*innen zu arbeiten bietet sehr vielfältige Herausforderungen. Ich möchte zumindest herausfinden, wie weit ich in der Forschung kommen kann.

Sie forschen nun (als „Postdoc“) an der "Université Grenoble Alpes“ (UGA) in Südfrankreich. Gibt es dort mehr Frauen in der mathematischen oder physikalischen Forschung? 

Ich bin dort am Institut für Mathematik, also kann ich zur Physik nicht viel sagen. Und soweit ich weiß, ist in der reinen Mathematik der Frauenanteil insgesamt etwas höher. Daher ist die Frage für mich schwer zu beantworten.

Ist es dort einfacher die "gläserne Decke" zu durchstoßen?

Das habe ich bisher noch nicht versucht. Es ist dort sicherlich einfacher, innerhalb der Wissenschaft eine feste Anstellung zu bekommen, da es einen größeren akademischen Mittelbau gibt. Ich kann mir vorstellen, dass es das auch leichter macht die „gläserne Decke“ zu durchbrechen.

Was würden Sie einer jungen Frau heute raten, wenn sie sich dafür interessiert, Mathematik oder Physik zu studieren?

Jeder jungen Frau, die gerne Mathe oder Physik studieren möchte, würde ich raten, es einfach mal zu versuchen, und sich nicht von Vorurteilen abschrecken zu lassen. Physik und Mathe können eine Menge Spaß machen, auch wenn das Studium und die Arbeit damit manchmal anstrengend sind. Und wenn der Lebensweg doch nicht in die Forschung führen sollte, bietet einem das Studium noch jede Menge andere Optionen – von IT über Forschung zu MRT bis zur Entwicklung von Satelliten.