Unsere Mathemacherin der Monate November und Dezember 2024 ist Johanna Pirker. Die junge Professorin (Jahrgang 1988) der Angewandten Informatik ist am Institut für Interaktive Systeme und Datenwissenschaft der Technischen Universität Graz beheimatet; zuvor mit Stationen am MIT, der ETH und der LMU. In Graz leitet sie die Forschungsgruppe „Game Lab Graz“, ihre Forschungstätigkeit reicht von Informationssystemen im Allgemeinen bis hin zu Datenanalyse , Künstlicher Intelligenz und virtueller Realität im Speziellen. Als solche ist die engagierte Professorin regelmäßig auf Fachtagungen und einschlägigen Publikumsveranstaltungen zu Gast, wie z. b. auf der Gamescom. Eines ihrer spannenden Anwendungsbeispiele ist Wissenschaftskommunikation im Gaming-Format. Im Jahr 2018 landete sie auf der Forbes-Liste unter den „30 interessantesten Personen unter 30“.

jp picJohanna Pirker. Foto: Matthias Rauch/Github.

Mathematik liegt Ihrer Wissenschaft ja zu Grunde. Wie kommt es, dass Sie sich schon als Kind oder Jugendliche für Mathematik und Informatik interessiert haben?

Ein früher und offener Zugang, Neugier und keine Angst vor Fehlern – das waren entscheidende Faktoren. Eine meiner frühesten Erinnerungen ist, wie ich an der DOS-Maschine meines Vaters saß, vermutlich mit etwa drei Jahren. Zwar konnte ich noch nicht richtig lesen oder schreiben, aber ich wusste bereits, was ich in die Kommandozeile eintippen musste, um mein Lieblingsspiel Prince of Persia zu starten. Mein Interesse galt damals weniger explizit der Mathematik oder Informatik, sondern vielmehr der Faszination für virtuelle Welten und Räume und der Frage, wie diese entstehen. Dass ich später einmal solche Welten mit Mathematik und Informatik selbst erschaffen könnte, hätte ich nicht mal zu träumen gewagt.

Was hat sie dann zum Studium der Informatik geführt? Hatten Sie damals schon ein ganz bestimmtes Ziel vor Augen?

Ein konkretes Ziel hatte ich überhaupt nicht, geschweige denn das Ziel, irgendwann Professorin für Informatik mit Schwerpunkt auf Computerspielen zu werden – das konnte ich mir damals gar nicht vorstellen. Ich glaube, wir stellen jungen Menschen oft die falschen Fragen. Statt zu fragen, "Was willst du werden?", sollten wir eher fragen, "Was kannst du gut? Was macht dir Spaß?" Bei mir wären das Dinge gewesen wie Rätsel lösen, Probleme erforschen, Welten erschaffen, Sachen basteln. Diese Interessen haben mich letztlich zur Informatikforschung geführt.

Dabei war das Studium der Informatik ein reiner Glückstreffer. Ich wusse lange nicht was ich studieren möchte. Optionen waren damals Psychologie, Pharmazie, eventuell Musik. Informatik war dann  eine etwas spontane Entscheidung. Dabei hatte ich schon Jahre zuvor Interesse an Informatik gezeigt und ohne Vorbildung angefangen, kleine Programme oder Homepages zu basteln. Die meisten in meinem Umfeld wussten aber nicht wirklich, was Informatik überhaupt ist, oder was mich dort erwarten würde, und viele (auch Lehrer) hatten mir sogar abgeraten. Ich bin also ziemlich verunsichert und eigentlich ängstlich ins Studium gegangen und war schnell absolut überrascht, wie bunt und vielfältig die Informatik tatsächlich ist. Und fast ein bisschen wütend, wie wenig Menschen über die Informatik wussten. 

Die Informatik hat sich in den letzten Jahrzehnten ja sehr dynamisch entwickelt. Was waren anfangs und was sind heute für sie die spannendsten Teilgebiete?

Natürlich muss ich „alles“ sagen. Ich finde es auch unglaublich spannend, was meine Kolleg*innen in verschiedenen Bereichen wie Kryptographie, Cybersecurity oder Algorithmik leisten. Besonders faszinieren mich die Bereiche der KI und der Computergrafik und die enormen Fortschritte, die hier in den letzten Jahren gemacht wurden – vor allem, wenn man sieht, in welchen Bereichen die theoretischen Beiträge der Forschung schließlich Anwendung finden. Mich begeistert auch besonders die Forschung, die die Schnittstellen zwischen Informatik und anderen Disziplinen betrifft; zum Beispiel, wie KI und maschinelles Lernen zur Lösung von Problemen in der Medizin, in der Bildung oder im Klimaschutz beitragen können.

Bitte geben Sie uns dafür ein bis zwei praktische Beispiele.

Innovationen in der Computergrafik sehen wir in vielen Bereichen – sehr sichtbar natürlich in Videospielen, aber auch im Kino. Spannend ist zum Beispiel, dass der Informatiker Edwin Catmull sogar einen Oscar für seine Beiträge zur Filmindustrie erhalten hat. Besonders präsent ist derzeit natürlich alles rund um das Thema KI. Es ist inspirierend und motivierend zu sehen, dass nun auch Nobelpreise an Informatiker*innen vergeben werden. Für mich war es besonders spannend zu erleben, dass ein ehemaliger Spieleentwickler wie Demis Hassabis den Nobelpreis für Chemie erhalten hat. Ich denke, an beiden Beispielen wird deutlich, dass Informatik eine immense Relevanz für unterschiedlichste Bereiche hat und dass inter- und transdisziplinäre Forschung von großer Bedeutung ist.

Wissenschaftskommunikation im Gaming-Format ist noch ein sehr neuer Ansatz. Wie soll das funktionieren und was ist das Ziel?

Leider wächst die Wissenschaftsskepsis, und die Kluft zwischen Wissenschaft und Gesellschaft wird immer größer. Auch erreichen wir unterschiedliche Gruppen durch unterschiedliche Medien. Deshalb müssen wir Wege finden, wissenschaftliche Themen auf spannende und zugängliche Weise zu vermitteln.

Gaming-Technologien bieten hier spannende Möglichkeiten, komplexe Inhalte auf neue, motivierende und inspirierende Weise zu erklären. Das kann natürlich in Form eines gut gestalteten Spiels geschehen, das spannende Aufgaben bietet und so verschiedene Themen interaktiver und motivierender vermittelt. Gaming-Formate bieten die Möglichkeit, die Neugier zu wecken, spielerisch Wissen zu vermitteln und gleichzeitig für Forschungsfragen zu begeistern. So wird Wissenschaft zugänglicher und erlebbarer. Aber es geht auch um die Welt rund um Games – etwa Plattformen wie Twitch, die hauptsächlich im Gaming-Kontext bekannt sind. Auch solche Orte bieten einen spannenden neuen virtuellen Raum, um Wissen auszutauschen und andere Zielgruppen für wissenschaftliche Themen zu begeistern.

 

sie eine universelle Sprache ist, die es uns ermöglicht, komplexe Ideen und sogar ganze – auch virtuelle – Welten darzustellen und zu formulieren.

 

Sie machen sich auch für Frauen in MINT-Fächern stark. Was ist hierfür ihre Motivation und wie wollen Sie junge Frauen für MINT-Fächer gewinnen?

Wir brauchen vielfältige Perspektiven und Ideen – und auf jeden Fall mehr Unterstützung. Ich selbst hatte kaum weibliche Vortragende in meinem Fachbereich. Da fehlt oft die Motivation und das Gefühl, einmal sagen zu können: „Wow, das könnte ich ja auch machen.“ Wenn man an Informatiker*innen denkt, haben viele leider immer noch das Bild des klassischen jungen Mannes vor einem schwarzen Bildschirm mit grünem Code im Kopf. Es ist dringend notwendig, mit diesen Vorurteilen aufzuräumen, und Vorbilder können dabei eine große Hilfe sein. Außerdem müssen wir zeigen, was MINT-Fächer wirklich sind und in welch vielfältigen Bereichen wir damit arbeiten und die Welt ein Stück besser machen können.

Was sagen Sie ihnen und wie können Computerspiele dabei helfen?

Computerspiele sind für mich ein extrem sichtbares Beispiel dafür, wie vielfältig, bunt und mächtig die Informatik ist. Ich wollte immer kreativ arbeiten, war aber nie besonders talentiert im Zeichnen oder Schreiben. Doch mit Coding kann ich die Welten, die in meinem Kopf entstehen, anderen visuell und sogar interaktiv zugänglich machen. Andere können so in meinen Gedanken spazieren gehen und mit ihnen interagieren. Das Schöne an der Spieleentwicklung ist auch, dass sie zeigt, wie vielfältig die Teams dahinter sein können. Wenn man an ein Videospiel denkt, sieht man schnell, dass da nicht nur Informatik-Innovationen drin stecken, sondern auch Musiker*innen, Künsterler*innen oder Storyteller daran mitgearbeitet haben. Das macht einfach Spass in so diversen Teams zu arbeiten. 

Was würde sich ändern, wenn wir mehr Frauen in MINT-Fächern hätten?

Abgesehen von der Thematik des Fachkräftemangels? Je mehr vielfältige Köpfe mit unterschiedlichen Perspektiven sich Gedanken über Problemstellungen machen, desto spannendere und vielfältigere Innovationen, Anwendungen und Lösungen werden wir sehen. Das ist entscheidend für Fortschritt in Forschung, Wirtschaft und vor allem in der Gesellschaft. Eine stärkere Präsenz von Frauen in MINT-Berufen trägt außerdem zu inklusiveren Arbeitsumgebungen und Unternehmenskulturen bei.

Dann noch ein kurzer Blick in die Zukunft: was werden künftig die zentralen Aufgaben und Anwendungen der Informatik sein?

Dass die Informatik in alle Bereiche eindringt bzw. bereits eingedrungen ist und eine wichtige Rolle dabei spielt, diverse globale Herausforderungen zu bewältigen, sehen wir schon heute. Ich denke, es wäre wünschenswert, nicht mehr klassisch nur in einzelnen Fachdisziplinen zu denken. Wir sehen bereits, wie vielseitig und bedeutsam die Beiträge der Informatik durch interdisziplinäres Arbeiten und Forschen in verschiedenen Fachbereichen sein können. Die zentrale Aufgabe wird es sein, Informatik so zu gestalten, dass sie für die Gesellschaft als Ganzes nutzbringend und nachhaltig wirkt.

Und welche Rolle spielt Mathematik dabei?

Durch Mathematik können wir abstrakte Konzepte präzise ausdrücken und Modelle schaffen, die uns helfen, die reale Welt besser zu verstehen und neue Welten zu gestalten. Sie schafft es Kreativität und Logik zu verbinden. Und sie hilft, dass meine Computerspiele laufen…(lacht)